U-Bahn in Berlin
Überbauung der
Charlottenburger Untergrundbahn
durch das Deutsche Opernhaus
Deutsche Bauzeitung • 22.1.1913
Das vom Stadtbaurat von Charlottenburg H. Seeling erbaute ›Deutsche Opernhaus‹ in Charlottenburg wird von drei Straßenzügen begrenzt: der Bismarckstraße im Süden, der Sesenheimer Straße im Westen und der Krummen Straße im Osten. Die beiden erstgenannten Straßenzüge nun, die nahezu rechtwinklig zueinander verlaufen, enthalten die Tunnelbauten der Untergrundbahn, wobei der an der nordöstlichen Straßenecke vermittelnde Tunnelteil in scharfer Kurve verläuft.
Da nun zurzeit der Erbauung der Untergrundbahn das an vorerwähnter Straßenecke liegende Grundstück in nicht wertvoller Weise bebaut war, wurde der Bahngesellschaft seitens der Eigentümerin des Grundstückes, der Stadt Charlottenburg, gestattet, für den in der Kurve verlaufenden Tunnelteil außer dem Straßengelände auch den an der Ecke gelegenen Teil des Baugeländes in beschränkter Weise mit in Benutzung zu nehmen. Bedingung war dabei, dass die Bebauungsmöglichkeit des Grundstückes keine Einschränkung erfahren durfte. Diese Forderung konnte freilich nur in der Form erfüllt werden, dass der in das Grundstück einschneidende Teil des Untergrundbahn-Tunnels nachträglich überbaut wurde. Diese Notwendigkeit trat ein, als das betreffende Grundstück für den Neubau des Deutschen Opernhauses in Anspruch genommen wurde. Der durch die Untergrundbahn in Benutzung genommene Teil des Baugeländes, der angenähert die Form eines gleichschenklig rechtwinkligen Dreieckes zeigt (vgl. Abb. 1 u. 2), hat in den Baufluchten liegende Schenkellängen von rd. 12 m, abgesehen von einer dort gleichfalls gelegenen Lüftungsöffnung für die Untergrundbahn.
Bei der Planung des Opernhauses wurde nun eine nur teilweise Ausnutzung der Ecke des Grundstückes vorgesehen, derart, dass die Außenfluchten der beiden Frontwände etwa 1,5 m gegen die Baufluchten zurücktreten. Immerhin kragen die Frontwände dabei noch rd. 8 m über den Tunnelbau hinweg, so dass die Gebäudeecke nahe der Tunnelmitte liegt. Eine Belastung des Tunnelbaues durch den Hochbau war aber in jedem Falle auszuschließen.
Nebenbei sei noch erwähnt, dass der in Rede stehende Teil der Frontwand an der Bismarck-Straße im Untergeschoss keine Öffnungen enthält, während derjenige der Sesenheimer Straße Eingangsöffnungen aufweist (Abb. 2). Die nahe der zweiten und dritten Öffnung gelegene, bereits erwähnte Lüftungsöffnung, die nun in Straßenhöhe überdeckt werden musste, entlüftet jetzt in zwei Schlote, die als Pfeilervorlagen des Gebäudes ausgeführt wurden (Abb. 1 u. 2) und die bis über die Brüstungshöhe des ersten Stockes reichen. Die der Ecke zunächst liegenden beiden hohlen Pfeilervorlagen dienen somit nur dekorativem Zweck.
Zur konstruktiven Gestaltung der Abfangung des Hochbaues sei nun mitgeteilt, dass es sich verbot, die 8 m weit auskragenden Frontwände etwa auf Freiträgern zu errichten, die in den rückwärts gelegenen Teilen der Frontwände hätten Halt finden können. Die Abfangung musste vielmehr in Form einer regelrechten Überbrückung der Untergrundbahn vorgenommen werden, wobei die Unterzugträger zu beiden Seiten, außerhalb der Tunnelwände, aul besonders auszuführenden Mauerpfeilern aufruhen (Abb. 2 – 5).
Abb. 6. Einzelheiten der Ausbildung der Zweigelenk-Bogenträger.Fünf parallel verlegte Unterzugträger von 10,4 m Stützweite kamen zur Verwendung, wobei der durch die Gebäudeecke gehende radial zur Krümmung verlegt ist. Abb. 2 u. 5 lassen dabei erkennen, dass zwei in je 92 cm Abstand verlegte Trägerpaare den Eckpfeiler und den zunächst liegenden Frontwandpfeiler an der Sesenheimer Straße unterstützen, während ein Einzelträger die volle Frontwand an der Bismarckstraße noch nahe der Mitte der Kragweite stützt. Einfache I-Walzträgerwechsel, die an den Hauptträgern verlascht sind (Abb. 3 u. 4) stützen die Wandteile, welche zwischen diesen liegen. Beide Trägerpaare erhielten Kreuzverbände, deren Glieder z. T. durch vorerwähnte Wechsel gebildet werden.
Für die Gestaltung der Hauptträger stand eine nur geringe Konstruktionshöhe von rd. 60 cm zu Gebot, da einerseits ihre Unterkante ausreichenden Spielraum gegen die Tunneldecke halten, während anderseits oberhalb der Träger für Rohrleitungen und Straßenpflasterung ausreichender Platz verfügbar bleiben musste. Ihrer Belastung und der auftretenden Biegungsmomente angemessen, konnten die beiden Unterzugträger des äußeren Paares als genietete Balkenträger (Abb. 4) zur Ausführung kommen, während die drei übrigen Träger als Zweigelenkbogen (Abb. 3) gestaltet wurden, deren Schenkellänge 2 m beträgt. Dadurch war es möglich, diese letztgenannten besonders ungünstig belasteten Träger in den zulässigen Grenzen zu halten. Die Träger sind dabei durchweg einwandige.
Die Einzeldurchbildung der Bogenträger zeigt Abb. 6. Die Gelenkpunkte wurden bei Umgehung von Bolzengelenken unter Verwendung von gewölbten Druckplatten gebildet, die seitlichen Halt durch aufgenietete Ränder der Auflagerplatte finden. Letztere wurde bei allen Zweigelenkstützpunkten als eiserner Rost von höchstens 150 × 450 cm Seitenabmessung (Abb. 3 u. 6) ausgeführt, der in die aus Beton gebildeten Widerlager eingelassen und vergossen worden ist.
Die fotografischen Aufnahmen (Abb. 7 u. 8) zeigen einerseits die bloßgelegte Tunneldecke und die für Aufnahme der Widerlager in Ausführung begriffene innere Baugrube, anderseits in Flucht der Bismarckstraße die Frontwand von letzterer, ihre Abfangung und Unterstützung durch die Zweigelenkbogen.
Verfasser, der von der Bauverwaltung mit Entwurf und Einzelbearbeitung aller Konstruktionen des Opernhauses betraut war, bearbeitete auch die vorgeschilderte Bauaufgabe. Ihre Ausführung bewirkten die Vereinigten Kammerich und Belter & Schneevoglschen Werke in Berlin-Wittenau.
• Otto Leitholf