Verkehr – Eisenbahn
Die Stromzuführungsschiene bei der Baltimore und Ohio-Bahn
Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens • 1904
Die Anlage für den elektrischen Betrieb der Tunnelstrecke bei Baltimore ist hier beschrieben, welcher zur Verminderung der Rauchbelästigung eingeführt wurde. Die Personenzüge werden auf der ganzen, die Güterzüge, einschließlich der nicht arbeitenden Dampflokomotiven, nur in dem etwa 2,3 km langen Tunnel durch die elektrischen Lokomotiven befördert.
Tunnelausgang zu Baltimore mit den elektrischen Stromleitungen.
Für die Stromzuführung wurde zunächst Oberleitung eingerichtet, die wegen des hohen Stromverbrauches der Lokomotiven bis zu 2000 A recht kostspielig gewesen ist; auf der Abbildung ist zu erkennen ist, welch schwere Traggerüste die Leitungsdrähte erfordert haben. Die Leitungsanlage wurde verworfen und an ihrer Stelle eine dritte Stromzuführungschiene eingebaut. Der Umbau war Anfang 1901 vollendet und auch sehr kostspielig.
Da auf der Bahn gewöhnliche Fahrzeuge verkehren, so musste die neue Anlage diesen angepasst und möglichst so gestaltet werden, dass an dem Vorhandenen möglichst wenig zu ändern war, dass also die Stromabnehmer innerhalb des Durchfahrtquerschnittes blieben, und die dritte Schiene dieses berührte. Man fand aber bei eingehender Untersuchung durch Aufzeichnung der Umgrenzungen aller Fahrzeuge und des lichten Raumes aller Hindernisse, dass die Erbauer sich nicht genau an die Umgrenzungslinie gehalten hatten, und dass besonders die Schüttrinnen der Güterwagen Talbotscher Bauart und die Niederdruckzylinder der Verbundlokomotiven bei der Bewegung im Gleis der die dritte Schiene zum Schutz begleitenden Holzplanke gefährlich nahekommen mussten. Deshalb wurde es nötig, die Schiene weiter hinauszulegen, und zwar wurde sie 775 mm von der Innenkante der benachbarten Laufschiene bei 75 mm Überhöhung angeordnet. Bei dieser Festsetzung ergab sich ein Hinausragen des Stromabnehmerschuhes aus der Umrisslinie, also die Notwendigkeit beträchtlicher Veränderungen an den festen Teilen des Bahnkörpers, wie Weichensignalen, welche verkleinert werden mussten, Bahnsteigen und Eckstücken der eisernen Brücken; ferner erhielt man auf diese Weise bei Kreuzungen erheblich größere Lücken in der dritten Schiene und eine Vermehrung der gleich zu erwähnenden beweglichen Schienenstücke auf das Doppelte. Übrigens ergab sich später im Betrieb, dass diese Lücken die Stromentnahme nicht beeinträchtigen.
Bei manchen Kreuzungen war es unvermeidlich, die dritte Schiene innerhalb der Laufschienen des anderen Gleises durchzuführen, wo sie, wenn fest angebracht, die andere Umrisslinie durchschnitten hätte. Man führte diese Schienenstücke deshalb senkrecht beweglich aus, indem man sie auf die Zapfen zweier um waagerechte Wellen drehbarer Kurbeln setzte. Die Wellen sind mit dem Weichengestänge in starrer Verbindung. Je nach der Weichenzungenlage werden die Kurbelzapfen und mit diesen das bewegliche Leitungsschienenstück in der oberen oder unteren Stellung gehalten. Das längste Stück ist 11,5 m lang.
Die größten Schwierigkeiten und Umstände machte die Verhütung der Unfälle, welche durch die Berührung der stromführenden Schiene durch Menschen und Tiere verursacht werden. Auf freier Strecke ist die Schiene beiderseits von Holzplanken eingefasst, welche weithin sichtbare, die Gefahr bezeichnende Aufschriften tragen. Auf den Bahnsteigen der Bahnhöfe wurde der Bohlenbelag dieser über die Leitungsschienen hinweg durchgeführt und zum Durchlassen der Stromabnehmerschuhe mit entsprechenden Schlitzen versehen. Schließlich brachte man für die ganzen Gebiete der Bahnhöfe eine Bauart der Stromzuführung zur Anwendung, welche sich als ›Teilleiter mit selbsttätigen Ausschaltern‹ bezeichnen lässt. Sie besteht darin, dass die Leitungsschiene aus einzelnen stromdicht verlegten Stücken zusammengesetzt ist, welche nur Strom erhalten, wenn eine darüber stehende Lokomotive Strom verbraucht, sonst aber stromlos sind. Die Ausbildung dieser Bauart hat große Arbeit und Kosten verursacht, soll jetzt aber so betriebssicher und vollendet sein, dass die Stromzuführung durch den selbsttätigen Ausschalter bei Betriebsspannungen zwischen 175 V und 500 V und schon bei einem Mindeststromverbrauch von 25 A oder 1 % des höchsten durchaus sicher ist. Im Ganzen sind auf der Bahnstrecke 26 solche Teilleiter vorhanden; jeder hat seinen eigenen Ausschalter, welcher in gleicher Höhe mit dem Schienenstück außerhalb des Bahnkörpers auf einem gemauerten Sockel aufgebaut ist.
Die Ausschalter arbeiten in folgender Weise: Im Ruhezustande liegt der Teilleiter über die eine Spule des Ausschalters an Erde. Sobald eine fahrende Lokomotive mit dem vorderen ihrer beiden Stromabnehmerschuhe den Teilleiter berührt, entsteht vom stromführenden hintern Schuh aus durch den vorderen hindurch und vom Teilleiter über den Ausschalter zur Erde fließend ein Stromstoß, welcher die Spule erregt. Der hierdurch angezogene Anker löst den bestehenden Erdschluss und verbindet den Teilleiter mit der Speiseleitung. Nun fliest der Strom vom Ausschalter zum Teilleiter und über die Triebmaschinen der Lokomotive zur Erde; er durchfließt eine zweite Spule des Ausschalters und hält damit den Anker gehoben. Der Anker fällt herab, wenn die Lokomotive das Teilleiterstück verlassen und den Arbeitsstrom unterbrochen hat. Der Teilleiter ist damit wieder stromlos.
Eine besondere Vorrichtung erforderte noch die Herstellung des Stromschlusses für den Fall, dass die Lokomotive stromlos über Teilleiterstücke fährt oder darauf stillsteht. Dazu muss sie selbst den nötigen Stromstoß erzeugen, wozu man die elektrische Triebmaschine der Bremspumpe herangezogen hat. Die Pumpe ist so gebaut, dass sie sich nach Erreichung eines bestimmten Überdruckes im Hauptluftbehälter unter Beibehaltung derselben Umlaufrichtung selbsttätig umsteuert und ihrerseits die Triebmaschine als Stromerzeuger antreibt. Die Lokomotiven können also nicht anfahren, wenn kein Druck im Hauptluftbehälter ist. Wenn der Stromschluss eines Teilleiterstückes einmal hergestellt ist, so bleibt er auch bei ausgeschaltetem Arbeitsstrom der Lokomotive und stillstehender Luftmaschine erhalten, und zwar dadurch, dass die Stromquelle über starke auf der Lokomotive angebrachte Widerstände mit der Erde in Verbindung bleibt.
Jede Lokomotive hat beiderseits zwei Stromabnehmerschuhe, welche von den Enden der Pufferbohlen getragen werden. Besonders beachtenswert erscheinen dabei die Erfahrungen mit den schleifenden Teilen der Schuhe, welche 500 mm lang und 100 mm breit sind. Versuche mit Gusseisen und Messing ergaben sehr kurze Lebensdauer und ungenügende Reinhaltung der Schienenoberfläche von Rost. Nur Flussstahl hat sich bewährt und erzeugte eine glänzende reine Gleitfläche. Dagegen werden in Tunneln, wo Rost und Feuchtigkeit einen zähen Belag der Schienen erzeugen, diese nur dann von den Gleitschuhen blank erhalten, wenn auf dem betreffenden Gleis starker Verkehr mit schweren Zügen liegt. Haben sich in Zeiten leichtern Verkehrs erst solche Beläge gebildet und fahren dann schwere Züge darüber hinweg, so treten an den Schuhen sehr starke Funken auf, und sie erhitzen sich bis zur Rotglut.
• Street Railway-Journal