Handel & Industrie

Die Gewinnung des Natureises

Die Gartenlaube • 1896

Voraussichtliche Lesezeit rund 12 Minuten.

Zu denjenigen Bedürfnissen, welche, vor nicht allzu langer Zeit noch unbekannt oder auf enge Kreise beschränkt, heute zu einem selbstverständlichen Erfordernis für Hunderttausende geworden sind, gehört auch der sommerliche Eisverbrauch, der besonders in den Großstädten einen erstaunlichen Umfang angenommen hat. Vor einem Menschenalter ein Privileg weniger Gewerbe, spielt er heute nicht nur bei einer langen Reihe von Geschäftsleuten, sondern auch bei einer großen Menge privater Haushaltungen eine wichtige Rolle, und wie viele derartige allgemein werdende Bedürfnisse, so hat der Eiskonsum in allen Großstädten mehr oder minder umfangreiche Industrien großgezogen, deren Geschäftsbetrieb für denjenigen, der ihn zuerst kennenlernt, gewiss nicht ohne Interesse ist. Hat sich doch wohl mancher, der in den heißen Sommertagen die Eiswagen mit der Regelmäßigkeit und Unermüdlichkeit des Milchlieferanten die Straßen durchfahren sah, der in den Wild- oder Fischläden die gewaltigen Becken voll täglich schmelzenden und täglich erneuten Eises erblickte, gefragt, woher diese scheinbar unerschöpflichen Massen von Eis kommen, ob es Natur-, ob es Kunsteis ist, und durch welche Kunstgriffe es aus dem Frost des Winters in die schwülen Sommermonate hineinerhalten wird. Man wird dem Verfasser daher wohl gern folgen, wenn er einiges von den Merkwürdigkeiten, die er in den Eislagern des größten Unternehmens dieser Gattung nicht in Berlin allein, sondern wahrscheinlich in ganz Deutschland, zu sehen bekam, an der Hand lebenstreuer Illustrationen dem großen Leserkreise der Gartenlaube wiedererzählt.

Vor allem sei vorausgeschickt, dass alles Eis, welches z. B. in den Häusern, Straßen und Geschäften Berlins jahraus, jahrein verkauft wird, fast ausnahmslos Natureis ist. Es fehlt zwar nicht an großartigen Maschinenanlagen zur Herstellung künstlichen Eises, aber für gewöhnlich ist dasselbe zu teuer, um einen starken Konsum zu erzeugen; nur nach ungewöhnlich milden Wintern, wenn das aufgespeicherte Eis der Seen vorzeitig zu Ende geht, greift man notgedrungen zu dem Kunsteis. So muss sich denn also die Sorge der großen Eislieferanten in erster Linie auf die Plünderung der zahlreichen Wasserbecken richten, von denen ein großer Kranz Berlin umgibt. Aber in der Nähe einer Weltstadt hat alles, und so auch eine gefrorene Wasserfläche des Winters, einen ganz anderen Wert als an anderen Orten. Der Schlittschuhsport ist hier bereit, die höchsten Opfer zu bringen, um sich in den wenigen Frosttagen der spiegelblanken Flächen ungestört zu erfreuen; und der Pachtzins, den der Schlittschuhbahnunternehmer für eine Eisfläche auswerfen kann, geht deshalb in vielen Fällen weit hinaus über den Gewinn, welchen der Eisverkäufer durch das Aufspeichern aus ihr erzielen kann.

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• Auf epilog.de am 13. Februar 2024 veröffentlicht

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