Handel & IndustrieLandwirtschaft

Der Holzschlag in der Via Mala

Illustrirte Welt • 1854

Holz und Kräuter sind der Reichtum der Alpen, aber die Kühe können nicht auf alle Weiden gelangen, sie müssen die wilderen der abenteuerlustigen Ziege und dem nomadischen Mäher überlassen, der an den schroffsten Abhängen über unermesslichen Untiefen seine Kräuter sammelt. Auch die Wälder sind häufig schwer zugänglich und der Holzschlag kann nur mit großer Anstrengung und Gefahr vorgenommen werden. Bisweilen von der Abdachung der Berge begünstigt, welche das Tal schließen, wirft der Holzhacker, nachdem er die Scheite bis an den Felsenrand gezogen, sie mit einem Stoß in die Ebene. Dieses Verfahren genügt bei dem Brennholz, das zerbrechen darf.

Wenn der Ort, an welchem das Holz verbraucht werden soll, entfernt ist, so nimmt es bisweilen ein Sturzbach oder ein Strom, der unten vorüberfließt, auf, und führt es nach dem nächsten Dorf, wo man die Flöße daraus bildet, welche das Erzeugnis der Alpen in ferne Lande tragen.

Anderwärts erlauben die Bergabhänge den Holzschlägern das Holz selbst in das Tal zu ziehen, oder es an Stricken herabgleiten zu lassen, wo man weder mit Pferden, noch mit Wagen hinkommen kann.

Holzschlag in der Via Mala

Wenn die Umgebung keinen zugänglichen Abhang zeigt, wenn in der Tiefe eines Abgrundes, wie auf unserem Bild, der Sturzbach schäumt und durch die Schluchten stürmt, in denen sich das Holz festrennen würde, so muss man auf andere Mittel sinnen, um die Schätze der Alpenfelsen auszubeuten. Die Holzhacker steigen an einem steilen Abhang hinauf und errichten, wenn sie an Ort und Stelle angekommen sind, einen Mechanismus, von welchem unser Bild eine klare Anschauung gibt. Auf jeder Seite des Abhanges befestigt man einen Flaschenzug, zwischen welchem ein starkes Seil läuft. An diesem rollt das Holz über dem Abgrund hin und kommt an dem Ort an, wo die Wagen halten.

Wir sind hier mitten in der Via Mala, im Kanton Graubünden. Meist werden Kohlen an dieser großen mechanischen Vorrichtung hinabgelassen, indessen auch häufig Bau-und Brennholz. Die beiden Endpunkte sind 300 Meter voneinander entfernt.

In der Tiefe dieses furchtbaren Abgrundes, zwischen dem Schamser- und Domletschgertal stürzt sich der Hinterrhein hinab. Die Via Mala, welche ihren Namen von den großen Unglücksfällen trägt, die durch Lawinen und Felsenstürze veranlasst wurden, ist seit dem Jahre 1470 angelegt. Später schlug man Brücken über den Abgrund und wer sie passiert, wird dem kühnen Architekten Christian Wildener seine Achtung nicht versagen. Die Tiefe unter der großen Brücke beträgt 150 Meter.

Kommt man aus den Engpässen heraus nach Ander, so ist man angenehm überrascht, wenn man die hübschen, von grünen Wiesen umgebenen Häuser sieht und sich in einem ausgezeichneten Wirtshaus erquicken kann.

Graubünden ist einer der am wenigsten besuchten Teile der Schweiz und verdient es doch weit mehr, als manche andere. Keine Alpengegend bietet solche Kontraste, eine solche Kette lachender und wilder Szenen.

• Auf epilog.de am 27. Juni 2024 veröffentlicht

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