Handel & IndustrieMaschinenbau

Das größte Wasserrad

Prometheus • 21.1.1891

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Zu den ältesten Maschinen gehören zweifellos die Wasserräder, welche die in einer stetig zufließenden Wassermenge durch das Gewicht und das Gefälle derselben vorhandene Arbeit nutzbar gestalten. Reuleaux gibt in seiner Theoretischen Kinematik an, dass die unter schlächtigen Wasserräder wohl die ersten Repräsentanten dauernd umlaufender Maschinen sind. Sie gelangten wahrscheinlich zuerst in Verbindung mit Wasserschöpf-Maschinen in Ägypten, Assyrien, China, Griechenland und Rom zur Anwendung. Plinius, Ingenieur und Baumeister unter Julius Cäsar und Kaiser Augustus, beschreibt in dem 19. Buch seiner 77 n. Chr. beendeten historia naturalis, dieser wertvollsten Notizensammlung über alle Gebiete des Wissens jener Zeit, Schöpfräder, wie sie damals, als unmittelbare Verbindung eines treibenden Wasserrades und einer getriebenen Schöpfmaschine sich kennzeichnend, gebräuchlich waren, um Wasser aus einem Fluss zu schöpfen. Ob die Erfindung des Schöpfrades den Chinesen zugeschrieben werden muss, wie neuere englische Schriftsteller behaupten, ist nicht erwiesen, jedoch sind solche Maschinen, gänzlich aus Bambusrohr und Bambusbast, ohne jede Benutzung von Metall, hergestellt, in China seit Jahrtausenden im Gebrauch. Der römische Architekt Vitruvius, dem Kaiser Augustus die Aufsicht über das Bauwesen im ganzen Reiche übertrug, erörtert im zehnten Buch seines in den Jahren 16 – 13 v. Chr. verfassten Werkes De archileclura verschiedene Arten von Wasserförderungsmaschinen und darunter auch Schöpfräder, welche von Menschen umgetrieben werden und solche, deren Bewegung durch Wasserkraft erfolgt. Für letztere Art gibt Vitruvius folgende Beschreibung: »Man macht auch im Fluss Schöpfräder, wie dies oben beschrieben ist. Nur befestigt man außen an den Schöpfrädern Schaufeln, welche, vom strömenden Wasser gefasst, durch ihr Vorwärtsgehen die Räder zwingen, sich zu drehen, und, indem sie so in den Kästchen das Wasser schöpfen und nach oben bringen, leisten sie ohne die Arbeit des Tretens, durch die Strömung des Flusses selbst umgedreht, die erforderlichen Dienste«. Vitruvius erläutert dann noch Wasserräder in Verbindung mit einer Mahlmaschine, deren Mühlstein durch das von einem Fluss getriebene Rad unter Zwischenschaltung eines Rädervorgeleges in Drehung versetzt wird.

Mit der Entwickelung des Maschinenbaues erfuhren auch die Wasserräder manche Verbesserung; wohl findet man in unseren Dorfmühlen noch jene einfachen, fast ausschließlich aus Holzbalken und Brettstücken zusammengebauten Räder, wie sie sich seit Jahrhunderten in fast unveränderter Form erhalten haben; aber dort, wo es notwendig wird, eine zur Verfügung stehende Wasserkraft möglichst vollkommen auszunutzen, da tritt der Maschinenkonstrukteur in seine Rechte, und das Wasserrad, nunmehr gänzlich aus Eisen hergestellt, erhält diejenige Form, wie sie aus theoretischer Berechnung und Erfahrungsregeln sich ergibt. In dieser Weise entstehen Räder, die bezüglich der Ausnutzung der verfügbaren Arbeit zu den vollkommensten Maschinen gehören, insbesondere wenn der Eintritt des Wassers in die im Radkranz angebrachten Zellen an der höchsten Stelle, also am Radscheitel, erfolgt. Solche gut konstruierte Räder können bei mittleren Gefällen mit den in neuerer Zeit insbesondere zur Anwendung gelangenden Turbinen in Wettstreit treten und werden denselben vorzuziehen sein, wenn die zu treibende Arbeitsmaschine langsamen Gang besitzt, so dass das zwischen dem gleichfalls langsam laufenden Wasserrad und der getriebenen Maschine einzuschaltende Triebwerk keine Geschwindigkeitserhöhung zu bewirken hat und daher einfache Konstruktion erhalten kann. Es ist dies z. B. der Fall, wenn zum Antrieb von Pumpen, mittels deren die Wasserbewältigung einer Grube ausgeführt wird, eine in der Nähe zur Verfügung stehende Wasserkraft ausgenutzt werden soll. Indem letzteres durch ein Wasserrad erfolgt, kann von diesem aus durch ein einfaches Gestänge der Betrieb der im Schacht aufgestellten Pumpen erhalten werden, da letztere wie das Rad langsamen Gang besitzen.

WasserradDas größte Wasserrad der Welt.

Solche ›Wasserradkünste‹ finden sich bei vielen Bergwerken; eine derartige Anlage darf unser besonderes Interesse erregen, weil sie wohl das größte Wasserrad der Welt aufweist. Dasselbe, in beistehendem Bilde ersichtlich, befindet sich bei Laxey auf der Insel Man. Laxey liegt an der Ostküste von Man an der Laxey-Bay, 5 km nördlich von der Hauptstadt Douglas, an der Mündung des Laxey-Valley. Die Insel Man bildet einen ergiebigen Bergbaudistrikt Großbritanniens; sie liefert Silber, Blei, Zink, Zinn, Eisen, Kupfer usw. In der Umgegend von Laxey befinden sich mehrere der Laxey Mining Company gehörige Bleibergwerke, welche einen jährlichen Ertrag von Erz im Wert von 28 – 30 000 Pfund liefern. Dieses Bleierz enthält 2 – 3 kg Silber auf eine Tonne. Die Gruben, in welchen 300 Bergleute arbeiten, werden durch Tiefbau betrieben; der tiefste Schacht erstreckt sich auf 420 m. Zum Antrieb der zur Wasserhaltung in den Schächten aufgestellten Pumpen sind Wasserräder verwendet, denen das Aufschlagwasser aus der die Insel durchziehenden Bergkette zufließt. Auch sind kleinere Wasserräder ausgestellt, welche die Maschinen der Aufbereitungsanstalten treiben. Das größte Rad, welches unser Bild veranschaulicht, ergibt eine Arbeitsleistung von 200 PS; es hat einen Durchmesser von 22 m und eine Radkranzbreite von 1,8 m. Das Betriebswasser wird im Gebirge in einem Behälter gesammelt und fließt von dort durch einen unterirdisch angelegten Kanal nach einem Turm, in dem es aufsteigt und von dessen oberem Ende es durch ein Gerinne dem Rad zuläuft, um am Scheitel desselben in die Zellen des Radkranzes einzutreten. Das Gewicht des in den letzteren befindlichen Wassers bewirkt dann die Drehung des Rades, Der Turm ist mit einer Wendeltreppe versehen, die nach einer über dem Rad, das als Sehenswürdigkeit häufig besichtigt wird, angelegten Galerie führt. Das Rad macht eine Umdrehung in der Minute und treibt mittels einer auf seiner Welle sitzenden und durch ein Gegengewicht ausbalancierten Kurbel ein Gestänge, das dadurch hin- und hergezogen wird. Zur Lagerung der schweren Gestängebalken dienen Hebel, deren Drehpunkte auf gemauerten Bogen fest verlagert sind. Dieses Feldgestänge, welches zur Kraftübertragung vom Wasserrad nach dem Pumpengestänge angeordnet ist, treibt ein sogenanntes Kunstkreuz, das über dem Schacht angebracht ist und an welchem zwei die Wasserhaltungsmaschinen bewegende Gestänge hängen. Diese Pumpen fördern zusammen in der Sekunde etwa 110 Liter Wasser aus einer Tiefe von 120 m. Das große Rad ist von Mr. Casement, einem Eingebornen der Insel, erbaut und wurde am 27. Oktober 1854 in Betrieb gesetzt.

• Konrad Hartmann

• Auf epilog.de am 20. Juni 2024 veröffentlicht

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