Berliner Brücken
Die Gasexplosion auf der
Kaiser-Wilhelm-Brücke in Berlin
Zentralblatt der Bauverwaltung • 22.3.1890
Am Montag, den 17. März, abends gegen 7 Uhr hat auf dem südlichen Bürgersteig der Kaiser-Wilhelm-Brücke eine Gasexplosion stattgefunden, durch welche nicht unerhebliche Zerstörungen an dem Bestand des Bürgersteiges hervorgerufen worden sind; leider sind auch Verletzungen von Fußgängern zu beklagen. Zur Klarlegung und Würdigung dieses außergewöhnlichen Ereignisses sei zunächst auf Grund der Zeichnung Folgendes mitgeteilt.

Aus dem Querschnitt erhellt, in welcher Weise unter den Bürgersteigen Hohlräume zur Aufnahme von Gas- und Wasserrohren, Kabeln usw. angeordnet sind. Den größten Hohlraum nimmt, wie aus der Zeichnung ersichtlich, das Gasrohr der städtischen Gaswerke ein. Es besitzt einen länglich runden Querschnitt und besteht aus einzelnen schmiedeeisernen, genieteten Schossen in Längen von etwa 6 m, welche an den Stößen aufgenietete Flansche erhalten haben. Diese Flansche sind unter Verwendung einer Bleidichtung durch 22 Schrauben miteinander verschraubt. Die Verschraubung des Rohres, welches der Neigung der Brückenabdeckung – vgl. den Längenschnitt – folgt, geschah auf Böcken oberhalb des Hohlraums. Nach der Verschraubung wurde das Rohr in ganzer Ausdehnung auf seine Dichtigkeit geprüft und alsdann in den Hohlraum hinabgelassen, an verschiedenen Stellen untermauert und bis zur Unterkante des Plattenbelages sorgfältig mit gutem, reinem Sandboden verfüllt. Diesem Gasrohr zunächst, und zwar unmittelbar neben dem Brückengeländer – vgl. den Querschnitt –, befindet sich ein Hohlraum, welcher den Elektrizitätswerken zur Aufnahme ihrer Straßenkabel überwiesen worden ist. Von diesen Kabeln zweigen auch die Leitungen für die elektrischen Lampen auf der Brücke ab. Dieser Raum war nicht verfüllt, da die Elektrizitätswerke Wert darauf legten, jederzeit unbehindert zu ihren Kabeln gelangen zu können. Die Platten des Bürgersteigs, in einer Stärke von 13 cm, waren überall auf den Wangen in Zementmörtel verlegt und die Stoßfugen ebenfalls mit einem solchen sauber verstrichen. Um ohne Zerstörung der Platten jederzeit bequem zu den einzelnen Rohren gelangen zu können, war eine Anzahl von Platten in eigens konstruierte, eiserne Zargen lose verlegt und auf der Oberfläche mit zwei Ringen versehen, die ein leichtes Herausnehmen der Platten gestatteten. Die Zargen ihrerseits waren ebenfalls in Zementmörtel verlegt. Unmittelbar vor den Pylonen, welche die elektrischen Lampen tragen, befinden sich über dem Kanal der Elektrizitätswerke zwei derartige kleinere Platten von etwa 0,5 m im Geviert. Sockel und Schaft der Pylone sind bis zur Höhe der bronzenen Arme, an denen die elektrischen Lampen hängen, durchbohrt. So die Beschaffenheit der Bürgersteige.
Durch die Explosion sind nun auf dem südlichen Bürgersteig zunächst die beiden oben erwähnten lose aufliegenden Platten hinausgeschleudert worden; dann sind mehrere Platten über dem Kanal der Elektrizitätswerke, und zwar in unmittelbarer Nähe des dem Schloss zunächst stehenden Obelisken, teils zertrümmert und in den Kanal hinabgestürzt, teils gelockert worden. Auf dem Kanal, in welchem das Gasrohr liegt, sind mehrere Platten ebenfalls gelockert. An dem Geländer zeigen sich Spuren der Zerstörung an den Deckplatten und Docken, welche wohl durch umhergeschleuderte Granitstücke bewirkt sind. Die elektrischen Lampen an dem Obelisken sind zum Teil zertrümmert und die beiden sie haltenden Bronzearme von ihrer senkrechten Auflagerfläche abgehoben. Endlich ist der Kran, welcher sich noch über der Mittelöffnung befindet und mit Hilfe dessen demnächst die noch fehlenden Schlusssteinfiguren an Ort und Stelle geschafft werden sollten, in seinem Gerüste erschüttert, aber zum Glück nicht zum Absturz gekommen. Die Brücke selbst ist nicht im geringsten beschädigt worden; weder haben sich Fugen am Geländer noch an den Pylonen geöffnet. Dass die Explosion immerhin eine beträchtliche Kraft entwickelt hat, geht daraus hervor, dass ein Fußgänger über das Brückengeländer geschleudert worden, zum Glück aber auf die unter dem Kran befindliche Plattform gefallen ist; andernfalls würde er wohl unrettbar ertrunken sein. Mehrere andere Personen sollen durch umherfliegende Steinsplitter unerheblich verletzt sein. Es ist ein Glück, dass die sonst so belebte Brücke um die Zeit, wo die Explosion stattfand, wenig begangen war.
Die Entzündung des Gases muss nun unmittelbar neben dem oben erwähnten Pylonen stattgefunden haben, da hier neben der losen Platte die einzigen Schlitze waren, aus welchen das in dem Kabelkanal befindliche Gas entweichen konnte. Hierfür spricht ferner der Umstand, dass der Sockel des Pylonen, welcher unmittelbar über der Platte aufsteigt, vollständig mit Staub beschlagen ist; endlich das Abheben der Bronzearme von ihrer Auflagerfläche. Leider ist es unmöglich gewesen, den Tatbestand unmittelbar nach der Explosion festzustellen, da die alarmierte Feuerwehr sofort die zertrümmerten Platten beiseitegeschafft und außerdem noch eine größere Zahl der nur gelockerten Platten über dem Gasrohrkanal unverständlicherweise abgehoben hat. Im Interesse der Wissenschaft ist dieses Vorgehen sehr zu beklagen. Wie die Entzündung entstanden, ist ebenfalls nicht aufzuklären. Dass ein elektrischer Funke dieselbe bewirkt habe, ist zwar vermutet worden, erscheint auch nicht geradezu ausgeschlossen, ist aber wenig glaublich, zumal auch der spätere Zustand der Leitungen für eine solche Annahme nicht den mindesten Anhalt bietet. Dann bleibt aber nur die Möglichkeit, dass ein fortgeworfenes brennendes Zündholz oder eine glimmende Zigarre den Anlass zu der Entzündung gegeben hat.
Nach erfolgter Explosion wurde die Unfallstätte von der Polizei abgesperrt, die Feuerwehr herbeigerufen und die städtischen Gaswerke zur Absperrung ihres Rohres veranlasst. Am folgenden Tag begannen die Aufgrabungen des Rohres und ergaben die Undichtigkeit einer Flanschverbindung, welche dem nach der Burgstraße zu stehenden Obelisken etwa gegenüberliegt. Es waren auf der oberen Seite fünf Schraubenbolzen abgesprengt, und eine Fuge hatte sich gebildet, welche ein reichliches Ausströmen von Gas gestattete. Über der Flanschverbindung liegt ebenfalls in schmiedeeiserner Zarge eine herausnehmbare Platte. Diese Zarge war auf ihrer Unterlage gelockert, und von hier aus muss das Gas den Weg in den Kabelkanal gefunden haben.
Den Grund für das Absprengen der Bolzen, welche allerdings nicht gerade aus dem besten Schmiedeeisen bestanden, anzugeben, erscheint unmöglich. Wahrscheinlich indessen haben die Bolzen bereits beim Einbringen des Rohres eine außergewöhnliche Spannung erhalten und die geringste weitere Lagenveränderung des Rohres hat dann genügt, sie abzusprengen.
Die Wiederherstellungsarbeiten sind sofort in Angriff genommen, werden aber in Rücksicht auf die große Zahl zertrümmerter Platten längere Zeit in Anspruch nehmen.
• Pinkenburg.