Bau & Architektur – Tunnel
Eröffnung des Tiergartentunnel in Berlin
tvi.ticker • 13. März 2006
Nach mehr als zehn Jahren Bauzeit wird der 390 Mill. € teure Tiergartentunnel am 26. März 2006 für den Verkehr freigegeben.
Die Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer: Die Geschichte des Tiergartentunnels ist lang, manch einem erschien sie schon wie eine unendliche Geschichte. Über mehr als 10 Jahre hinweg mussten viele verschiedene Bauprojekte mit dem Tunnelneubau koordiniert werden. Beispielhaft nenne ich hier nur den Neubau des Hauptbahnhofs. Außerdem war von Anfang an klar, dass nur ein außerordentlich sicherer Tunnel dem Verkehr übergeben werden kann. Für uns galt während der gesamten Bau- und Probephase: Sicherheit geht vor – auch vor Schnelligkeit.
Vorgeschichte
Der Tunnel Tiergarten Spreebogen ist Bestandteil Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich (Fernbahn, B 96, U 5) und damit Teil des Verkehrskonzeptes, dass im wiedervereinigten Berlin für den Wiederaufbau der Bahnanlagen und die Führung des Straßenverkehrs entwickelt wurde. Um den bisher an der Oberfläche verlaufenden Durchgangsverkehr vom Tiergarten- und Spreebogenareal fernzuhalten, wurde die B 96 in einen Tunnel verlegt. Diese Tunnelführung – zwischen der Heidestraße im Norden und dem Landwehrkanal im Süden – ermöglicht:
- die Begrenzung der Verkehrsbelastung in den ebenerdigen Erschließungsstraßen
- die Aufnahme des aus der Neubebauung am Potsdamer Platz resultierenden Verkehrsaufkommens
- die Freihaltung des Parlaments- und Regierungsviertels vom Durchgangsverkehr
- die Wiederherstellung des Tiergartens und seiner Funktionen für Flora, Fauna und Erholung.
Baumaßnahme
Mit dem Rohbau wurde 1995 begonnen. Die letzten Blöcke des Tunnelrohbaus in der gemeinsamen Baugrube am Lehrter Bahnhof wurden im Dezember 2003 hergestellt.
Der Rohbau wurde in 5 Abschnitten realisiert:
- Bereich Kanalufer bis Potsdamer Straße
- Potsdamer Straße bis Kemperplatz
- Kemperplatz / Spreebogen
- Spreequerung
- Bereich Lehrter Bahnhof
In jedem Bereich waren spezielle Herausforderungen an die technische Lösung zu stellen. Beispielhaft genannt seien hier, die Verknüpfungen mit den Baukomplexen von Daimler Crysler und Sony, die schall- und erschütterungsarme Bauweise im Bereich der Schweizer Botschaft, die Spreequerung und die Überbauung am Lehrter Bahnhof.
Parallel zur Herstellung der letzten Tunnelsegmente im Dezember 2003 und der Herstellung der Rampe zur Invalidenstraße im April 2005 begann die technische Ausrüstung des Tunnels. Mit einer Länge von 2,4 km verfügt dieser innerstädtische Richtungstunnel über mehrere Zu- und Abfahrten privater Anlieger und war deshalb mit hochkomplexen betriebs- und verkehrstechnischen Anlagen auszustatten. Dazu gehören die drei unterirdischen Betriebsgebäude (Lehrter Bahnhof, Kemperplatz und Reichpietschufer) mit den Schalteinheiten für Beleuchtung, Belüftung, Verkehrslenkung, Brandschutz , den Regenpumpwerken und den Energieversorgungszentralen. Im Tunnel selber befinden sich Anlagen der Beleuchtung, Belüftung, Verkehrstechnik, Sicherheitstechnik, Überwachung und Löschwasserversorgung.
Verkehr
Für den Hauptabschnitt des Tunnels zwischen Invalidenstraße und Kemperplatz liegt die prognostizierte Verkehrsbelastung für beide Fahrtrichtungen zusammen bei rund 50 000 Kfz pro Tag, der Lkw-Anteil liegt bei 10 %. In diesem Tunnelabschnitt hat jede Röhre zwei Fahrstreifen und einen seitlichen Nothaltestreifen. Die nördlich und südlich anschließenden Tunnelabschnitte haben in jeder Fahrtrichtung jeweils einen Fahr- und einen Nothaltestreifen.
Der Tunnel ist über die vier oberirdischen Knotenpunkte Heidestraße, Invalidenstraße, Kemperplatz und Kanalufer mit dem Stadtstraßennetz sowie über die benachbarten Kreuzungen verknüpft. Die Verkehrsbeeinflussung an den Knotenpunkten erfolgt durch Lichtsignalanlagen und Wechselwegweisung. Parallel dazu wird der Verkehr im Tunnel über Fahrstreifensignale, Wechselverkehrszeichen und Schrankenanlagen beeinflusst.
Die Verkehrsdaten (Verkehrsbelegung, Klassifizierung und Geschwindigkeit) werden sowohl innerhalb, als auch außerhalb des Tunnels mittels Radardetektoren erfasst und über Streckenstationen und Unterzentrale zur Verkehrsregelungszentrale der Polizei übermittelt. In der Unterzentrale werden die auflaufenden Daten verarbeitet und mit Hilfe von hinterlegten Programmen als Befehl an die Streckenstationen weitergegeben, die dann die Außenanlagen (Schranken, LSA, Fahrstreifensignale usw.) ansteuern. Zur Stauvermeidung im Tunnel kann das Verkehrssystem automatisch eine Drosselung an den Tunnelzufahrten bzw. eine Grünzeitverlängerung an den Tunnelausfahrten steuern.
Betrieb
Die betriebstechnischen Anlagen des Tunnels und der Betriebsgebäude werden von der ständig besetzten Tunnelleitzentrale Tegel überwacht, gesteuert und optimiert. Die Tunnelleitzentrale steht in engem Kontakt zur Verkehrsregelungszentrale.
Sicherheit
Im gesamten Tunnel ist ein seitlicher Nothaltestreifen; beiderseits der Fahrbahn bzw. des Nothaltestreifens sind Notgehwege angeordnet. Die Tunnelmittelwand hat etwa alle 140 m Türen, durch die Fluchtwege in die benachbarte Röhre führen. Beleuchtete Piktogramme und Markierungen auf den Tunnelwänden weisen auf die Fluchttüren hin. Jeweils gegenüber den Fluchttüren werden in seitlichen Nischen Notrufstationen mit Notrufmeldern und Trockenfeuerlöschern ausgerüstet.
Zusätzlich zu den Portalen und den Aus- und Einfahrtsrampen sind drei Notausstiege zur Geländeoberfläche vorgesehen. Der Tunnel ist videoüberwacht und mit Tunnelfunk, Lautsprechern sowie einer automatischen Brandmeldeanlage ausgestattet. Die Ausstattung des Tunnels genügt hohen Sicherheitsanforderungen. Dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die verkehrlichen Abläufe im Tunnel wegen der Spuradditionen in den Bereichen der Zu- und Abfahrten und wegen der Tunnelanlieger außerordentlich komplex sind und ein hohes Maß an Aufmerksamkeit von jedem Verkehrsteilnehmer erfordern.
Trotz der realitätsnahen Erprobungsphase können bestimmte Feineinstellungen erst in den Wochen nach der Verkehrsfreigabe vorgenommen werden. So wird z. B. die Lautstärke der Tunnellautsprecher an die Grundgeräusche im Betrieb angepasst oder die Feineinstellung der Videodetektion vorgenommen. Die Videokameras erkennen Rauch im Tunnel, aber auch Fußgänger, Falschfahrer oder liegengebliebene Fahrzeuge. Auch die Anpassung der sensiblen verkehrstechnischen Anlagen im und um den Tunnel kann in letzter Feinabstimmung erst unter Verkehr erfolgen. Dazu wird der Tunnel auch nach der Eröffnung jeweils für kurze Zeit in verkehrsarmen Zeiten (Wochenende, Nacht) gesperrt werden müssen.
Obwohl die Auswirkungen der infolge des Tunnels geänderten Verkehrsströme durch eine detaillierte Betrachtung aller Knotenpunkte im Umfeld des Tunnels analysiert wurden, sind in der ersten Phase nach Tunneleröffnung Verkehrsbehinderungen zu erwarten.
Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung • Berlin