VerkehrLuftfahrt

Eine Fahrt im Luftschiff von Amerika nach Europa

Die Gartenlaube • 1859

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.
Die Längenangaben und andere Maße des Originaltextes wurden in das metrische System umgerechnet.

Schon in  Ein neues Luftschiff ist erzählt worden, dass der Amerikaner Lowe die Absicht hat, in einem Luftballon über das Weltmeer zu schiffen und uns in Europa einen Besuch zu machen. Er ließ sich zu diesem Zweck den größten Ballon fertigen, den er ›City of New York‹ nannte, der einen Durchmesser von 41 Metern, eine Höhe von 64 Metern, ein Gewicht von 3½ Tonnen hat, über 20 Tonnen tragen und 22 500 m³ Gas fassen kann. Zu diesem Riesenballon wurden sechstausend Ellen Zeug verwendet. Um ihn her liegt ein Geflecht von Flachsstricken; von diesen hängt ein Korb herab und unter diesem ist noch ein Boot angebracht. Der Korb (von dessen Inneren wir eine Ansicht geben) ist von spanischem Rohr gebaut und mit Leinwand überdeckt. In ihm läuft rund an den Seiten herum eine Art Sofa und darüber sind nicht nur Pflöcke usw. zum Aufhängen von Instrumenten und Kleidungsstücken, sondern auch Fenster mit Glas angebracht. Geräumige Kisten enthalten die notwendigen Lebensmittel. Lowes Ballon mit dem RettungsschiffLowes Ballon mit dem Rettungsschiff. Selbst ein Ofen fehlt nicht darin, der aber nicht durch Kohlen oder Holz geheizt werden soll, sondern durch ungelöschten Kalk und in den, sich auch ein Kochapparat befindet. In der Mitte des Korbbodens endlich ist eine Falltür angebracht, durch welche man auf einer Strickleiter in das darunter hängende Boot steigen kann. Dieses ist ein neuerfundenes Rettungsboot, 9½ Meter lang, gut 2 Meter breit und 1,3 Meter tief, und hat eine Decke von Kautschuk, unter welche die kühnen Reisenden sich flüchten können, wenn sie ihr Boot in das Meer hinablassen müssen. Zu diesem Zweck ist es auch mit einer Ericson’schen Wärmemaschine von vier Pferdekräften versehen, die, mit feinen Kohlen und Spiritus geheizt, das Boot ziemlich rasch durch die Meerflut treiben kann. Der Gebrauch von Feuer in Geräten an einem Ballon ist etwas ganz Neues, da bisher kein Luftschiffer dasselbe zu benutzen wagte, weil alle sich vor der Gefahr fürchteten, das Feuer könne sich dem Gas mitteilen und eine Explosion verursachen. Lowe hat dagegen das feste Vertrauen, ohne Gefahr Feuer in seinen, Ofen und seiner Maschine führen zu können.

Die wunderlichen Anhängsel, die man an dem Boote sieht, sind erstens ein Ruder, das aus einem 2½ Meter langen und vorn einem Meter breiten dünnen Holz besteht, und zweitens ein Treibrad von 2½ Metern im Durchmesser, das zur Leitung des Ballons dienen soll. Aus Fürsorge werden die Reisenden ein zweites ähnliches, aber kleineres Rad mit sich nehmen.

Das Boot soll durch die Lebensmittel und durch Wasser – genug für zehn Personen auf sechs Monate – die nötige Schwere erhalten. Für den Fall, dass es nötig würde, den Ballon abzuschneiden und sich in das Boot zu begeben, ist dieses auch mit einem Anker von 50 kg versehen.

Eine neue Vorrichtung will man benutzen, um die verschiedenen Luftströmungen zu prüfen. Es ist dies ein sehr langer Strick mit einem Bleigewicht am Ende und mit Flaggen an verschiedenen Punkten. Der Strick wird herunterhängen und die Richtung der Fähnchen daran die Richtung der Luftströmungen angeben, so dass die Reisenden diejenige Strömung zu wählen imstande sind, welche sie für die vorteilhafteste halten.

Die Stube von Lowes BallonDie Stube im Korb.

Um mit Schiffen oder Städten in Verbindung treten zu können, wird der Ballon hundert kleine Fallschirme und eben so viel Kautschuksäcke mit Briefen und Zeitungen mit sich nehmen und dieselben auf große Schiffe und auf Städte hinablassen, über die man hinfährt. Dass es dem neuen Fahrzeug an den verschiedensten Instrumenten nicht fehlt, versteht sich von selbst, da mehrere Naturforscher die Reise mitzumachen und allerlei Experimente anzustellen gedenken.

Soviel man von den Regionen weiß, welche die kühnen Reisenden durchschiffen wollen, gibt es eine Luftströmung, die unveränderlich, in einer gewissen Höhe, von Westen nach Osten geht. Das Hauptbestreben wird also zunächst sein, diese Strömung zu erreichen und zu benutzen. Gelangen sie gleich im Anfang dahin und bleiben sie auf der ganzen Fahrt darin, so würden sie Spanien schon nach drei Tagen erreichen. Sollte die Luftströmung abweichen oder der Ballon aus derselben herausgetrieben werden, so gedenkt man entweder im Norden, in England oder Frankreich, oder im Süden, in Spanien, Portugal oder Afrika, zu landen.

Damit es der Reise auch an einer ausführlichen und getreuen Beschreibung nicht fehle, wird die Expedition ein New Yorker Journalist begleiten, und um nichts zu versäumen, was von dem Fortgang der Reise etwa Nachricht geben kann, nimmt man auch eine Anzahl Brieftauben mit, die mit Reiseberichten von Zeit zu Zeit losgelassen werden sollen.

Es bleibt nur noch zu erwähnen, dass Carlincourt Lowe, der Unternehmer, ein junger Mann von siebenundzwanzig Jahren ist, der Chemie studierte und sich sehr bald der Luftschifffahrt widmete. Er hat bereits sechsunddreißig glückliche größere und kleinere Luftreisen gemacht, und die Vorbereitungen zu der Fahrt über den Ozean beschäftigen ihn seit länger als einem Jahre. Sein großer Ballon mit der ganzen fertigen Einrichtung ist gegenwärtig in New York ausgestellt, die Zeit der Abfahrt aber noch nicht fest bestimmt.

Entnommen aus dem Buch:
Die ›Zeitreisen‹ knüpfen an die Tradition der Jahrbücher und Zeitschriften ›zur Bildung und Erbauung‹ aus dem 19. Jahrhundert an. Eine bunte Auswahl von Originalartikeln begleitet den authentischen und oft überraschend aktuellen Ausflug in die Geschichte. Kultur- und Technikgeschichte aus erster Hand, behutsam redigiert, in aktueller Rechtschreibung und reichhaltig illustriert.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 124 Seiten | ISBN: 978-3-7543-5702-6

• Auf epilog.de am 24. Oktober 2016 veröffentlicht

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