VerkehrLuftfahrt

Die Flugversuche auf dem Tempelhofer Feld

Meine Berliner Eindrücke

Von Armand Zipfel

Die Woche • 6.2.1909

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Als die Frage an die Gebrüder Voisin herantrat,  nach Berlin einen Aeroplan ihres Systems zu senden und ihn dort vorführen zu lassen, bin ich mit Freuden auf den Vorschlag meiner Freunde, als Luftschiffer zur deutschen Reichshauptstadt zu gehen, eingegangen. Hierzu wurde ich nicht nur durch die persönliche Freundschaft, die mich mit Charles und Gabriel Voisin verbindet, veranlasst, sondern namentlich auch durch den Umstand, dass es mir sympathisch war, dem Flugsport auch an anderen Orten förderlich zu sein. Armand ZipfelFlugtechniker Armand Zipfel auf dem Aufstiegsplatz. Ich habe mich schon seit den frühesten Jahren mit der Luftschifffahrt beschäftigt und bin in stetem Konnex mit den Arbeiten auf flugtechnischem Gebiet geblieben, aber erst im vergangenen Jahr war es mir vergönnt, eine eigene Fabrik zu gründen, in der ich Aeroplane Voisinschen Typs herstelle. Auch der Drachenflieger, mit dem ich jetzt auf dem Tempelhofer Feld operiere, ist in meinen eigenen Werkstätten zu Villeurbanne an der Rhone bei Lyon entstanden.

Ich war mir sehr wohl bewusst, dass ich in der kurzen Übungszeit, die mir zu Gebote gestanden hat, in Bezug auf meine Leistungen noch nicht so weit bin wie Farman und Delagrange, die sich bei ihren Übungen eines Apparates gleichen Typs bedienen.

Ich hoffe jedoch, in kurzer Zeit so weit zu sein, dass ich auch das große Meeting zu Monte Carlo mit einigem Erfolg bestreiten kann. Ich habe für das dortige Wettfliegen meine Meldung abgegeben und will im März mit meinem Apparat an die Riviera reisen.

Überdies war mir die Versicherung gegeben, dass es sich bei den Berliner Versuchen lediglich um instruktive Vorführungen handle, und dass man nicht daran denke, etwa große Rekordflüge sehen zu wollen. Man sagte mir, Berlin habe seit den Tagen des großen Vaters der Flugtechnik Otto Lilienthal noch keine Flüge über größere Strecken gesehen. Auch Lilienthal ist es ja nicht gelungen, mehr als einige 100 Meter im Gleitflug, das heißt im Fluge in sanft abwärts geneigter Bahn, zu durchmessen. Ferner war es mir sehr sympathisch, dass die Vorführungen völlig kostenlos stattfinden sollten, und dass man jedermann gestatten wolle, den Flügen beizuwohnen. So durfte ich denn hoffen, ein nachsichtiges Publikum zu finden, das mir als Gast des Veranstalters dieser Flugversuche, des Verlages des Berliner Lokal-Anzeigers, zweifellos freundlich gegenüberstehen würde. Ich muss gestehen, dass meine Erwartungen sich nicht nur erfüllt haben, sondern dass sie sogar übertroffen worden sind. Ich kann über die Gastfreundschaft, die ich in Berlin genossen habe und noch genieße, nur Worte des größten Lobes haben. Die Haltung des Publikums war mustergültig, obgleich ich an den ersten beiden Tagen nicht das erreicht habe, was ich erreichen muss, wenn meine Maschine in Ordnung ist. Armand Zipfels Flug über das Tempelhofer FeldArmand Zipfels Flug über das Tempelhofer Feld. Ebenso ruhig, wie die Zuschauer gekommen waren, blieben sie, obgleich starke Kälte herrschte, während der Wartezeit, und ebenso ruhig waren sie auch später, als ich am vergangenen Freitag die Versuche einstellen musste, weil von den acht Zylindern meines Motors nur vier oder fünf in Tätigkeit waren. Ich habe sehr wohl gesehen, dass vielleicht an 100 000 Personen das Feld umstanden, und habe mich gewundert, dass so viele Leute eine solche Disziplin halten können, obgleich nur ein geringes Aufgebot von Soldaten und Schutzleuten für die Ordnung zu sorgen hatte. Die Polizei hat eigentlich nur nötig gehabt, Direktiven zu geben, wo sich die Leute ausstellen sollten, und welches Terrain für mich frei bleiben musste, eine Aufgabe, der sie sich mit großer Höflichkeit und Ruhe entledigte. Ohne hast und Lärmen haben sich alle Zuschauer ruhig auf ihre Plätze begeben. Der Voisinsche Monteur, der Farman und Delagrange nach Amerika, Belgien und Italien begleitet hat, kann etwas davon erzählen, wie sich das Publikum in Italien und in Amerika zum Teil benommen hat.

Über meine Versuche bemerke ich Folgendes: Es war in der Absendung des Aeroplans eine Verzögerung eingetreten, so dass ich erst am vergangenen Donnerstag mit der Montierung fertig werden konnte. Ich vermochte nicht mehr, den Motor der erforderlichen Probe zu unterziehen, glaubte aber trotzdem, mit den Experimenten beginnen zu können, da mich dieser neue Motor bislang noch nicht im Stich gelassen hatte. Es war nicht gut, dass ich so handelte, denn es stellte sich bald heraus, dass doch auf dem Transport beziehungsweise beim Auf- und Abladen verschiedene Teile beschädigt waren. Hierdurch wurde der Gang des Motors beeinträchtigt, und die Schrauben vermochten nicht, die nötige Umdrehungszahl zu erzielen. Obgleich in den beiden Tagen auch mir Äußerungen zu Ohren kamen, die sich ungünstiger über meine Leistungsfähigkeit aussprachen, so war ich doch meiner Sache zu sicher, um irgendwie in Unruhe zu geraten. Ich habe als Techniker schon mancherlei Versuche selbst gemacht und schon manchen Versuchen beigewohnt und weiß sehr wohl, dass bei allen neuen Dingen die Ereignisse mit wechselndem Erfolg vor sich gehen. Leider ist die Witterung nicht derart, wie ich es wohl wünschte, es hindert mich weniger der starke Wind, sondern mehr die stoßweise Luftbewegung – rafale sagt man französisch – weil durch die unregelmäßige Windbewegung die Gleichgewichtslage des Fliegers sehr leicht gestört wird. Zuschauer am StartplatzSchaar der Zuschauer am Startplatz auf dem Tempelhofer Feld. Glücklicherweise besitzt mein Aeroplan so viel Stabilität, dass er sich trotz der ungünstigen Windverhältnisse doch immer wieder aufzurichten vermochte, wenn ihn der Wind auf die Seite zu drücken begann. Die Zuschauer müssen bemerkt haben, dass sich häufig die eine Seite des Fliegers erheblich gesenkt hatte; ebenso werden sie gesehen haben; dass sich die Flugmaschine bald wieder aufrichtete, wobei ich aber gleichzeitig an Geschwindigkeit und damit an Höhe verlor. Aus diesem Grunde ist es äußerst schwierig, Wendungen zu fahren, und ich kann versichern, dass auch meine Kollegen in Frankreich den stoßweisen Wind bei ihren Versuchen nicht lieben und nach Möglichkeit vermeiden.

Sehr interessant war es für mich, dass sich längere Zeit Prinz Heinrich von Preußen mit mir unterhielt. Ich war außerordentlich überrascht, bei diesem Prinzen nicht nur eine genaue Kenntnis von den Motoren zu finden, sondern auch ein tiefgehendes Verständnis für die Aufgaben und Ziele der Flugtechnik. Ich glaube, wenn dieser Prinz sich der bislang in Deutschland stiefmütterlich behandelten aerodynamischen Luftschifffahrt annähme, würde es bald besser damit stehen.

Ich war noch nie zuvor in der Reichshauptstadt, und ich muss ganz besonders die große Sauberkeit bewundern, die in der frühsten Morgenstunde schon in den Straßen der Stadt herrscht. Am Abend des Geburtstages des Deutschen Kaisers hatte ich Gelegenheit, eine Rundfahrt zu machen und die Illumination zu bewundern, die in allen Straßen nahe des Schlosses, der Linden, Friedrichstraße und so weiter zu sehen war. Das Bild, das sich mir darbot, hat einen tiefen Eindruck hinterlassen.

Was die Aufnahme meiner Person anbelangt, so bin ich entzückt darüber, in welcher Weise man sich meiner annimmt und versucht, mir in den wenigen Mußestunden, die mir abends zur Verfügung stehen, alles Sehenswerte von Berlin zu zeigen. Ich glaube, dass ich meinen Aufenthalt in der Reichshauptstadt so leicht nicht wieder vergessen werde.

• Auf epilog.de am 22. Oktober 2017 veröffentlicht

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