VerkehrLuftfahrt

New York – Berlin in 60 Stunden

Von Hans Dominik

Die Woche • 30.9.1922

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.
GroßluftschiffDas projektierte Großluftschiff für den Passagierverkehr zwischen Deutschland und Amerika.
SchiffskörperDer Schiffskörper von hinten und von vorne.

Der Versailler Friedensvertrag macht für absehbare Zeit den Bau zeitgemäßer Luftschiffe in Deutschland unmöglich. Während in anderen Ländern und namentlich in den Vereinigten Staaten auf dem Gebiete des Luftschiffbaus emsig weitergearbeitet wurde, stand die deutsche Technik infolge des Friedensvertrags vor der Entscheidung, entweder die eigenen wertvollen Erfahrungen, die in mühevoller Arbeit und unter großen Opfern gewonnen waren, ungenutzt veralten und verkommen zu lassen oder aber im Ausland neue Stützpunkte zu suchen. Im ersteren Fall mussten die amerikanischen Techniker alle diese deutschen Erfahrungen unter einem sehr erheblichen Aufwand von Zeit, von Mitteln und sicher auch von kostbaren Menschenleben noch einmal sammeln. Im anderen Fall bot sich die Möglichkeit, mit den amerikanischen Technikern und Kapitalisten ein Abkommen zu treffen, welches diesen die wertvollen deutschen Erfahrungen zugänglich machte, der deutschen Technik aber die Möglichkeit bot, in den Vereinigten Staaten und unter dem Schutz des Sternenbanners an der Weiterentwicklung der Luftschifffahrt rüstig mitzuarbeiten und die führende Stellung auf diesem Gebiete zu bewahren. Sowohl die Amerikaner als auch der deutsche Schütte-Lanz-Konzern haben diesen letzteren Weg für den vorteilhafteren erachtet, und so sind bei dem diesjährigen Besuch des Geheimrats Schütte in den Vereinigten Staaten die Vereinbarungen und Gesellschaftsgründungen zustande gekommen, die nun in Kürze die Errichtung eines großzügigen Luftschiffverkehrs in den Vereinigten Staaten zur Folge haben werden.

FührergondelDie Führergondel (Kommandobrücke) im vorderen Teil des Schiffes (älteres Modell).
Innere des SchiffesDas Innere des Schiffes: Laufgang, der durch den ganzen Schiffskörper führt und in dem Wasserballastsäcke und Benzintanks aufgehängt sind (älteres Modell),
SchlafkabineInneres einer Wohn- und Schlafkabine.

Als erste Linie ist die Strecke New York – Chicago in Aussicht genommen. Sie soll mit großen Schiffen der Bauart Schütte-Lanz von 110 000 – 150 000 m³ Inhalt betrieben werden Nur Schiffe von mindestens dieser Größe, die eine Länge von etwa 275 – 300 m und eine Bauhöhe von etwa 40 m besitzen, gestatten einen wirtschaftlichen und für die Passagiere angenehmen Verkehr, wie ihn kleinere Luftschiffe naturgemäß niemals bieten können. Für die ausreichende Wirtschaftlichkeit des geplanten Betriebs bei mäßigen Fahrpreisen geben die Rentabilitätsberechnungen des deutschen Konzerns eine zuverlässige Unterlage. Was die Annehmlichkeiten des Aufenthalts an Bord für die Passagiere anbelangt, so sind derartig große Schiffe so stabil und ruhig in der Fahrt, dass die Seekrankheit, die auf Wasserschiffen den Passagieren oft genug so übel mitspielt, den Passagieren hier mit Sicherheit fernbleiben wird. So weit die Annehmlichkeit dagegen in allerlei Bequemlichkeiten und komfortablen Einrichtungen zum Ausdruck kommt, geben unsere Bilder eine Vorstellung davon. Die Passagiere werden an Bord dieser großen und schnellen Schiffe nicht nur geräumige und elegant ausgestattete Wohn- und Schlafkabinen haben, sondern weiter auch Gesellschafts- und Restaurationsräume, Rauchsalon, Promenadendecks, Bäder, Musikzimmer, kurz: allen jenen Komfort und Luxus, den auch die großen Seeschiffe ihren Passagieren zu bieten pflegen. Dass die Schiffe nebenbei vollkommene Sicherheit bieten, braucht wohl kaum betont zu werden.

AussichtsraumAussichtsraum für die Fahrgäste im unteren Stock der Vordergondel.
PromenadengangPromenadengang vor den Kabinen.

Neben der Passagierbeförderung ist ein wichtiges Moment für die Wirtschaftlichkeit die Postbeförderung, die von Handel und Industrie wegen ihrer großen Vorteile sicher stark in Anspruch genommen werden wird.

WohneinrichtungenLängsschnitt durch einen Teil der Wohneinrichtungen im Promenadengang.

Die Schnelligkeit der geplanten Schiffe wird bei gewöhnlicher Fahrt 100 km/h, bei forcierter Fahrt 140 km/h betragen. Sie werden also im Überlandverkehr immer noch den schnellsten Zügen überlegen sein, im Überseeverkehr die Dampfschiffe weit hinter sich lassen. Die vorliegenden Projekte sehen zunächst einen Überlandverkehr vor, der sehr schnell über die erste Anlage hinaus weiter nach Westen wachsen und San Francisco erreichen dürfte. Der Betrieb dieser großen Überlandlinie wird naturgemäß die Anlage von Hallen und Betriebswerkstätten geeigneter Ausmaße an der atlantischen und pazifischen Küste und wahrscheinlich auch an wenigstens zwei Stellen der Strecke im Binnenland notwendig machen. Für die eigentlichen Landungspunkte, die man gewissermaßen als Luftbahnhöfe ansprechen kann, wird nach Angabe von Schütte-Lanz möglicherweise eine ganz neue Form inmitten der Großstädte selbst gefunden werden.

FührergondelDas Gehirn des Schiffes: Inneres der Führergondel mit Steuereinrichtung, Maschinentelegraf, Navigationsinstrumenten und Kommandoapparat.

Sind alle diese Anlagen einmal vorhanden, und haben sich die neuen Schiffe auf der großen Überlandlinie eingefahren und bewährt, so ist es ein leichtes, den Verkehr nach beiden Seiten hin über die See auszudehnen. Nach Osten hin käme zunächst die Linie New York – Berlin (evtl. auch Bremen) in Betracht, eine Strecke von 6000 km, welche die Schiffe in höchstens 60 Stunden zurücklegen können. Nach Westen hin würde der Verkehr z. B. über Hawaii nach den Philippinen gehen können. Die Amerikaner bekommen auf diese Weise in der Zusammenarbeit mit Schütte-Lanz als erstes Land der Welt einen großzügigen Luftschiffverkehr und eine vorzügliche Luftschiffflotte. Weiter aber werden diese ersten Überland- und Überseelinien gewissermaßen die Keimzellen eines künftigen Weltluftverkehrs werden. Auf den Philippinen könnten sich Linien nach Australien, Indien und Afrika anschließen; eine Schnellverbindung zwischen Amerika und Ostasien kann geschaffen werden; in Europa werden Linien nach Asien und Afrika entstehen (man denke z. B. nur an die Fahrt quer durch Sibirien nach Ostasien), und in sehr absehbarer Zeit wird der Ring um den Erdball geschlossen und damit einer der kühnsten Menschenträume erfüllt sein. Schon heute darf man an Hand der vorliegenden und in der Verwirklichung begriffenen Projekte behaupten, dass das 20. Jahrhundert des Jahrhundert des Luftverkehrs werden wird, so wie das 19. Jahrhundert dasjenige des Eisenbahnverkehrs gewesen ist.

Entnommen aus dem Buch:
Der Ingenieur, Journalist und Schriftsteller Hans Dominik (1872 – 1945) gehört zu den erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren Deutschlands. Neben zahlreichen Romanen und Kurzgeschichten verfasste er vor allem auch populärwissenschaftliche Beiträge für Zeitschriften und Jahrbücher. Für dieses Buch wurden seine verkehrstechnischen Plaudereien und Betrachtungen zusammengetragen und vermitteln dem Leser einen unverfälschten Blick auf die Verkehrsgeschichte des jungen 20. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 12,90 | 92 Seiten | ISBN: 978-3-7534-7686-5

• Auf epilog.de am 19. Mai 2024 veröffentlicht

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