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Ein Kippversuch mit Wiener Imperial-Autobussen

Allgemeine Automobil-Zeitung • 15.2.1914

Als die ersten Imperial-Autobusse, die ›rasselnden Ungeheuer‹, wie sie einer ihrer Feinde taufte, durch die Straßen Wiens fuhren, sprachen manche die Befürchtung aus, dass die hohen Fahrzeuge leicht kippen könnten; diese Gefahr sei durch die stark gewölbte Straßendecke noch wesentlich erhöht. Man sagte, der Schwerpunkt des Fahrzeuges liege zu hoch und es bedürfe nur eines verhältnismäßig geringen Anstoßes, um den Imperial-Autobus zum Kentern zu bringen. Alle diese Befürchtungen sind grundlos. Tatsächlich fällt der zweistöckige Wagen nicht leichter um als ein gewöhnlicher. Als man im Publikum in der hohen Karosserie eine Gefahr für die Sicherheit des Lebens usw. erblickte, hatte man nicht daran gedacht, dass das Gewicht ja keineswegs gleichmäßig verteilt, sondern in die untere Hälfte konzentriert ist.

Schematische Darstellung der Kippbewegung.Eine schematische Darstellung der Kippbewegung.
A. Der Omnibus steht auf ebenem Boden. | B. Beginn der Kippbewegung. Der Omnibus hat, wie der Pfeil oben anzeigt, noch die Tendenz, nach links in die Ruhelage zurückzukehren. | C. Labile Stellung. Der Omnibus kippt weder nach links noch nach rechts. | D. Über die Grenze der Kippbewegung hinaus. Der Omnibus fällt.

Das schwere Chassis, der schwere Motor setzen allen eventuellen Kippversuchen einen sehr energischen Widerstand entgegen, der vor kurzem in der Straßenbahnremise Prater-Vorgartenstraße experimentell bewiesen wurde. Unser Bild zeigt einen Imperial-Autobus in einer Lage, die praktisch nie eintreten wird. Die stärkste Neigung des Wagens wird im Betrieb wenige Grade nicht übersteigen. Das Übrige ist Sicherheitskoeffizient. Die Theorie ergibt durch den Umstand, dass der wirkliche Schwerpunkt des ganzen Fahrzeuges tief liegt, ein sehr günstiges Gleichgewichtsmoment. Es ist ungefähr dem Prinzip des ›Stehaufmandels‹ ähnlich. Der Schwerpunkt des Imperial-Autobusses liegt etwa 2 m über der Erde. Wenn man sich den bekannten Satz aus der Physik in Erinnerung ruft, dass ein Körper so lange nicht stürzt, »als das Lot seines Schwerpunktes in seine Unterstützungsfläche fällt«, so wird man erkennen, wie grundlos die Befürchtungen derer waren, die sagten, dass der Imperial-Autobus ein unsicheres Fahrzeug sei.

Die Kippgrenze des Imperial-Omnibusses.Das Bild ist in der Garage der Straßenbahngesellschaft in der Vorgartenstraße aufgenommen, es zeigt die Kippgrenze, bei der der Omnibus noch im labilen Gleichgewicht ist.

Die Erfahrungen, die man anderwärts, zum Beispiel in London, mit den Imperial-Omnibussen gemacht hat, sind außerordentlich günstig. In London herrscht auf den Straßen ein anderes Tempo als auf den Wiener Straßen, denn das langsame, den Verkehr hemmende Pferdefuhrwerk zählt dort schon zu den Seltenheiten, und trotz der Geschwindigkeit, mit der dort gefahren wird, ist es noch nicht vorgekommen, dass eines dieser rollenden Häuser verunglückt wäre. Das große Gewicht (ein Imperial-Autobus wiegt leer nahezu fünf Tonnen) ist ein so wirksamer Schutz gegen das Umstürzen, dass man sich dem Fahrzeug getrost anvertrauen kann, ohne ein Ende mit Schrecken erwarten zu müssen.

Buchtipp:
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• Auf epilog.de am 3. Dezember 2025 veröffentlicht

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