Verkehr – Nahverkehr
Straßenbahnbetrieb mit Gasmotoren
Das Neue Universum • 1897
Neuerdings hat man nach allen Richtungen hin versucht, ein möglichst vorteilhaftes mechanisches Betriebssystem für die dem großstädtischen Verkehr dienenden Straßenbahnen ausfindig zu machen. Zu diesem Zweck hat man Proben mit den verschiedenartigsten Betriebssystemen angestellt, so den Betrieb mit Serpolletschen Dampfwagen, den Betrieb mit komprimierter Luft, mit elektrischen Leitungen und mit elektrischen Sammelbatterien und neuerdings auch mit Gasmotoren eingeführt. Die meisten dieser Betriebsarten befinden sich jedoch noch im Versuchsstadium, und man hat daher erst noch abzuwarten, ob sie die erhofften günstigen Resultate ergeben, die man durch weitere Verbesserung der Systeme auf Grund der gewonnenen Erfahrungen zu erlangen hofft.
Abb. 1. Äußere Ansicht des Gasbahnwagens.Der Straßenbahnbetrieb mit Gasmotorwagen ist zuerst von der Kontinentalgasgesellschaft in Dessau seit dem Jahr 1894 zur Anwendung gebracht worden. Diesem Beispiel folgte dann die Gas Traction Company in London und alsdann die Pariser Gascompagnie. Die genannte englische Gesellschaft hat die deutschen Patente von Lühring erworben und baut in ihren Werkstätten zu Manchester Wagen mit Gasmotoren nach verschiedenen Modellen. Die Abb. 1 zeigt einen von dieser Gesellschaft gelieferten und in Betrieb gesetzten Wagen; derselbe ist elegant und solid gebaut und gewährt den Fahrgästen große Bequemlichkeit. Der Gasmotor hat zwei horizontale Zylinder und arbeitet nach dem Viertakt. Die Zylinder sind nach dem Tandemsystem hintereinander angeordnet. Der Gaszutritt in dem einen Zylinder stimmt mit der Kompression im anderen überein. Der Motor befindet sich an der Seite des Wagens, wie die zweite Abbildung zeigt. In der Mitte ist das Schwungrad angebracht, an dessen Kurbelwelle beiderseits die Kolbenstange eines Motorzylinders angreift. Der Gasvorrat findet in drei Behältern Platz, von denen zwei unterhalb des Wagens und einer unter dem Vorderteil liegt.
Der Motor vermag bis 15 PS zu leisten, wobei er für gewöhnlich 100 Umdrehungen in der Minute macht; seine Geschwindigkeit kann aber bis auf 250 Umdrehungen erhöht werden. Der Anfangsdruck des im Zylinder entzündeten Gases beträgt etwa 10 Atmosphären. Zum Kühlen der Zylinder dient eine unausgesetzt zirkulierende Wassermenge von 85 l. In den Gasbehältern befindet sich das Gas unter starkem Drucke komprimiert; sein Volumen unter gewöhnlichem Druck beträgt 1250 m³.
Abb. 2. Äußere Ansicht des Gasbahnwagens.Besonderes Interesse bietet die Übertragung der Bewegung des Motors auf die Radachsen. Die Motorwelle, welche sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit dreht, trägt ein Zahnrad, welches in ein zweites auf einer zweiten parallelen Welle sitzendes Zahnrad eingreift; diese letztere trägt drei lose Räder, die sich je zwischen zwei mit Holz belegten Bremsscheiben befinden. Diese Scheiben können durch einen Mechanismus mittelst eines Hebels so verschoben werden, dass sie sich fest an das entsprechende Rad anlegen, und da sie durch Nut und Feder mit der Welle verbunden sind, so wird dadurch auch das betreffende Zahnrad fest mit der Welle verkuppelt. Durch die Bewegung des Hebels nach rechts oder links wird somit das eine oder das andere der beiden Räder in Umdrehung versetzt, worauf sich seine Bewegung auf die Räderachse überträgt. Auf diese Weise ist es möglich, den Wagen vor- oder rückwärts in Bewegung zu setzen. Stellt man den Hebel in die Mittellage, so wird der Wagen außer Betrieb gesetzt, ohne dass der Motor angehalten zu werden braucht. Das verbrannte Gas entweicht geräuschlos durch einen besonderen Apparat.
Die Ingangsetzung der Motorwelle erfolgt einfach dadurch, dass das Schwungrad einige Mal umgedreht wird, worauf sich das in den Zylinder eintretende Gas entzündet und der Motor in Betrieb kommt.
Der Wagen vermag im Inneren und auf dem Verdeck zusammen etwa 42 Personen aufzunehmen. Sein Gewicht im leeren Zustand beträgt 7000 kg, während er besetzt etwa 10 000 kg wiegt. Der Gasverbrauch eines Wagens beträgt für den Kilometer zurückgelegter Strecke etwa 550 l und die Fahrgeschwindigkeit 16 km/h. Das Gas wird mit 22 Atmosphären Druck in die Behälter eingepresst. Vorläufig ist der Betrieb noch als ein Versuch zu betrachten, so dass noch keine ganz sicheren Betriebsresultate hinsichtlich des Kostenaufwands vorliegen.