Eisenbahnstadt Berlin

Aufbau Ost für die moderne Bahn

tvi.ticker • 15. Oktober 1999

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Mehr als vier Stunden fuhr der Interzonenzug einst von Hannover nach Berlin, nur knapp 100 Minuten dauert die komfortable Reise heute im ICE: Der Vergleich erhellt schlaglichtartig ein bedeutsames Kapitel des ›Aufbaus Ost‹. Zehn Jahre nach der Wende, nach dem Mauerfall, ist die Schieneninfrastruktur zwischen Ost und West aber auch in den neuen Bundesländern umfassend erneuert worden. Bis Ende dieses Jahres werden weit über 42 Mrd. DM in den Schienenwege-Ausbau geflossen sein. Das ist etwa jede zweite Mark, die in den letzten zehn Jahren in die ostdeutsche Verkehrsinfrastruktur investiert wurde.

Lückenschlüsse

›Großer Bahnhof‹ für das Städtchen Arenshausen in Thüringen: Am 27. Mai 1990, gut sechs Monate nach der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze, war mit der Wiederherstellung von rund dreieinhalb  km Gleis hinüber ins hessische Eichenberg der erste Lückenschluss zwischen den bis auf acht Grenzübergänge vollständig getrennten Netzen der damaligen Reichsbahn und Bundesbahn vollzogen. In Nord und Süd, an der rund 1400 km langen innerdeutschen Grenze, aber auch an den Mauer-Grenzen West-Berlins, folgten in den kommenden Jahren nach und nach weitere Lückenschlüsse.

Verkehrsprojekte Deutsche Einheit

Mit der Betriebsaufnahme auf der wieder hergestellten Linie Uelzen–Salzwedel–Stendal zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt strebt das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 3 am 19. Dezember dieses Jahres seiner Vollendung entgegen. Es ist eins von insgesamt 17 ehrgeizigen Verkehrsprojekten Deutsche Einheit (VDE) zur Modernisierung der wichtigsten Ost-West-Verbindungen auf Schiene, Straße und Wasserstraße, die 1991 vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurden. Neun dieser Projekte betreffen Bahnstrecken mit einer Gesamtlänge von annähernd 2000 km.

Rund 18 Mrd. DM flossen bis Ende letzten Jahres allein in diese neuen Schienenprojekte. Auf den Strecken blieb buchstäblich kein Stein auf dem anderen: Nachdem zu DDR-Zeiten gerade der Ausbau und Erhalt der Ost-West-Verbindungen extrem vernachlässigt worden war, bedeuteten die Sanierungen praktisch einen Neubau von Grund auf. Nicht selten unter dem rollenden Rad des fahrplanmäßigen Betriebs, häufig aber auch während vorübergehender Totalsperrungen, mussten alte Gleisanlagen bis auf den Untergrund abgetragen und neu verlegt werden. Die Signaltechnik, überwiegend noch auf dem technischen Stand der Vorkriegsjahre, wurde durch hochmoderne rechnergesteuerte Betriebsleittechnik ausgetauscht, Bahnhofsanlagen, Brücken sowie Tunnel restauriert oder ersetzt. Außerdem wurden Oberleitungen gespannt, um nach und nach die elektrifizierten Streckennetze in Ost und West miteinander zu verbinden.

Eines der ersten fertiggestellen Großprojekte war die Erneuerung der wichtigen ehemaligen ›Interzonenstrecke‹ Hamburg–Berlin (VDE Nr. 2). Der Ausbau dieser 270 km langen Strecke mit Investitionen von rund 3,8 Mrd. DM wurde 1995 abgeschlossen. Die Reisezeit wurde deutlich verkürzt: von viereinhalb Stunden im Jahr 1990 auf nur zwei Stunden zwanzig Minuten heute. Weitere Großprojekte folgten: Helmstedt–Magdeburg–Berlin (VDE Nr. 5) wurde ebenfalls 1995 fertiggestellt, Bebra–Erfurt (VDE Nr. 7) wurde zum Sommerfahrplan 1997 in Betrieb genommen. Ein gutes Jahr zurück liegt inzwischen auch der Abschluss des Verkehrsprojektes Nr. 4, die Fertigstellung der Schnellfahrstrecke Hannover–Berlin mit der Anbindung von Stendal. Seit dem 15. September 1998 ist die Bundeshauptstadt damit an das allmählich zusammenwachsende europäische Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen.

Verkürzte Reisezeit durch Geschwindigkeitserhöhung

Noch Anfang der 1990er Jahre dauerte die Fahrt mit dem Intercity von Berlin nach Frankfurt/M fast sechs Stunden; heute schafft es der ›ICE-Sprinter‹ als schnellster Non-Stop-Zug in etwa dreieinhalb Stunden – eine Reisezeitverkürzung um fast 50 %. Jedoch nicht nur auf der ICE-Strecke, sondern auch auf allen anderen modernisierten Gleisen können nach der Fertigstellung erheblich höhere Geschwindigkeiten gefahren werden. Soweit es technisch möglich war, wurde die Infrastruktur für eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h präpariert. Davon profitiert nicht nur der Fernverkehr, sondern insbesondere auch der Regionalverkehr. So fahren heute beispielsweise viele RegionalExpress-Züge in Berlin und Brandenburg mit 160 km/h – mit dem Erfolg, dass die Reisezeiten sich seit der Wende in vielen Verbindungen auch hier praktisch halbiert haben.

Weitere Investitionen in das Netz der ehemaligen Deutschen Reichsbahn

Die umfassende Erneuerung der Schieneninfrastruktur beschränkte und beschränkt sich nicht nur auf die wichtigen Ost-West-Verbindungen. Über sie hinaus flossen bis Ende letzten Jahres weitere 24 Mrd. DM praktisch flächendeckend in die Sanierung und Elektrifizierung des ehemaligen Reichsbahn-Gleisnetzes. So zählte die Strecke Berlin–Dresden zu den ersten, die durch eine umfassende Erneuerung wieder mit Tempo 160 genutzt werden konnte. Im Gange sind derzeit auch die Arbeiten an Deutschlands ältester Fernbahn, der Strecke Dresden–Leipzig (VDE Nr. 9); bereits 44 km sind für Tempo 200 ausgebaut. Weitere geplante Großprojekte sind der Ausbau der ›Sachsen-Franken-Magistrale‹ von Karlsruhe–Stuttgart–Nürnberg nach Leipzig/Dresden und der ›Mitte-Deutschland-Verbindung‹ von Paderborn–Bebra–Erfurt–Weimar–Jena–Glauchau nach Chemnitz.

Für den ›Kombinierten Ladungsverkehr‹ wurden als Schnittstelle zwischen Schiene und Straße neue Umschlagbahnhöfe gebaut. In Erfurt und Großbeeren sind die Anlagen bereits fertiggestellt, ab dem nächstem Jahr steht dann auch der Umschlagbahnhof Leipzig zur Verfügung. Insgesamt wurden in diese Projekte etwa 118 Mill. DM investiert.

Baumaßnahmen in Berlin

Zu den Schwerpunkten in Ausbau und Erneuerung des Schienennetzes zählen die Projekte in und um die Bundeshauptstadt Berlin. Auch hier ging es zunächst darum, Lückenschlüsse zu vollziehen. So konnte bereits am 2. Juli 1990, ein Vierteljahr vor der Wiedervereinigung, im Bahnhof Friedrichstraße die am ehemaligen DDR-Grenzkontrollpunkt unterbrochene S-Bahn-Verbindung zwischen Ost und West auf der innerstädtischen Stadtbahnstrecke wieder hergestellt werden.

Der neue Lehrter BahnhofFoto: Deutsche Bahn AG/ArchimationGrößter Bahnhofsbau des Kontinents: 800 Mill. DM kostet der neue Lehrter Bahnhof, dessen Bau 1996 begann. Bürogebäude von 42 Metern Höhe umrahmen die imposante Bahnhofshalle, wie die Computersimulation zeigt.

Seitdem wird kontinuierlich daran gearbeitet, das durch die Mauer zerschnittene S-Bahn-Netz Berlins sukzessive wieder herzustellen. Mit Erfolg: Seit der Wende wurden 68 km S-Bahn-Strecke wiedereröffnet. Bereits in Betrieb ist der südliche Teil des innerstädtischen Ringes. An der Wiederherstellung des Nordringes – voraussichtlich bis Ende 2001 – wird fieberhaft gearbeitet.

Markanteste Bahnbaustelle in Berlin ist aber der künftige Bahnhof in Höhe des Lehrter Stadtbahnhofes, der in unmittelbarer Nähe zum Reichstagsgebäude und Regierungsviertel entsteht. Im Bau ist ein hochmoderner, mehrgeschossiger Verkehrsknotenpunkt, der unter seinen Dächern Nah- und Fernverkehr, Individual- und öffentlichen Verkehr zusammenführt. Bahntechnisch bedeutsam ist die Schaffung einer völlig neuen Nord-Süd-Verbindung für den Fern- und Regionalverkehr, die nördlich des Lehrter Bahnhofs beginnt und weitgehend unterirdisch Berlin-Mitte quert. Der insgesamt rund 3,5 km lange Tunnel entsteht im Bereich des Tiergartens und südlich des Potsdamer Platzes auf etwa 1,2 km im Schildvortrieb. Dieser wird für die 4 Tunnelröhren unter dem Tiergarten noch in 1999 abgeschlossen. Der Tunnelbau zwischen Potsdamer Platz und Landwehrkanal beginnt Ende des Jahres, im künftigen Regionalbahnhof Potsdamer Platz laufen die Ausbauarbeiten. Die neue Verbindung soll 2005 in Betrieb gehen.

Der Bahnbau in Berlin ist ein Spiel mit großen Zahlen: Über 250 Einzelprojekte im Fern- und S-Bahn-Netz in und um die Stadt werden nach und nach verwirklicht – ein Auftragsvolumen von 17 Mrd. DM, von dem bislang 10,6 Mrd. DM in über 5000 Verträgen vergeben sind.

Beschleunigung der Bauplanung

Um die gewaltigen Bauaufgaben für die Schieneninfrastruktur in den neuen Ländern so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen, ging auch der Gesetzgeber neue Wege. Im Dezember 1991 verabschiedete der Bundestag das Beschleunigungsgesetz für die Verkehrswegeplanung, das auch für den Schienenausbau gilt. Das Paragrafenwerk strafft vor allem das planungsrechtliche Prozedere vor dem eigentlichen Baubeginn durch kürzere Fristen, vereinfachte Schritte und durch die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes bei gerichtlichen Überprüfungen von Planfeststellungsbeschlüssen – mit großem Erfolg: Gegenüber herkömmlichen Verfahren zur Schaffung von Baurecht konnten die Planungszeiten halbiert werden.

Planungsgesellschaften unter dem Dach der DB Netz AG

Die Bahn ging ebenfalls bei der Realisierung der großen Bauvorhaben neue Wege. Um die Vielzahl der Infrastrukturprojekte zeitgerecht, in der erforderlichen Qualität und zudem kostengünstig zu realisieren, gründeten die Bundesbahn und die Reichsbahn 1990 zunächst die Planungsgesellschaft Schnellbahnbau Hannover-Berlin (PGS) sowie 1991 die Planungsgesellschaft Bahnbau Deutsche Einheit (PBDE). Damit waren zu den Zeiten, als beide Bahnen vor der Bahnreform noch öffentlich-rechtliche Verwaltungen waren, die Voraussetzungen für ein privatwirtschaftlich organisiertes, effizientes Projektmanagement geschaffen worden. In den Händen der Planungsgesellschaften liegen die Vorbereitungen zur Schaffung des Baurechts, der Grunderwerb, Ausschreibung und Vergabe von Planungs- und Bauleistungen, Projektmanagement, Abnahme und Erfolgskontrolle sowie Übergabe schlüsselfertiger Anlagen an die Bahn.

Die beiden Gesellschaften sind heute unter einem Dach vereint und über die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit hinaus auch stark in die Realisierung von Großvorhaben im übrigen Netz der Bahn eingespannt. So obliegt der PBDE jetzt auch die Umsetzung des S-Bahn-Projektes Halle–Leipzig sowie der Ausbau der Knoten Halle/Leipzig und Magdeburg. Bis zum Jahresende wird sie der Bahn rund 2200 km Gleis, etwa 900 km Strecke sowie 15 elektronische Stellwerkszentralen, wie z. B. die in Erfurt und Magdeburg, übergeben haben. Der Erfolg des Managements in den Planungsgesellschaften veranlasste die mittlerweile privatisierte Deutsche Bahn AG, auch die Baumaßnahmen in und um Berlin einer Tochter mit einem qualifizierten Projektmanagement zu unterstellen: 1996 gründete sie die DB Projektgesellschaft Knoten Berlin.

Ausblick

Zahlreiche Projekte wurden seit der Wende in den Schienennetzen der alten und insbesondere der neuen Bundesländer realisiert. Das Resultat: erhebliche Verkürzungen der Reisezeit, Verbesserungen des Reisekomforts und der Infrastrukturqualität, die unseren Kunden zugutekommen. Dennoch markiert der zehnte Jahrestag des Mauerfalls nur eine Etappe auf dem noch langen Weg zu einem umfassend attraktiven, leistungsstarken Schienennetz zwischen Ostsee und Erzgebirge. Um dieses Ziel zu erreichen, sind in den nächsten Jahren noch weitere Investitionen in Milliardenhöhe erforderlich.

Quelle: Deutschen Bahn AG

• Auf epilog.de am 16. Oktober 1999 veröffentlicht

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