VerkehrLuftfahrt

Unsere Lehrmeister im Schwebeflug

Von Otto Lilienthal

Prometheus • 23.10.1895

Voraussichtliche Lesezeit rund 12 Minuten.

Noch nie habe ich mich mit solcher Lust an den Schreibtisch gesetzt, um meine flugtechnischen Eindrücke zu Papier zu bringen, als zu diesem Aufsatz, wo ich alle jene jüngst gesehenen wundervollen Flugbilder noch einmal in der Erinnerung an mir vorüberziehen lassen kann, welche klar und deutlich beweisen, dass das Fliegen viel leichter sein muss, als wir gewöhnlich glauben, wenn wir nur dreist mit richtigen Flügeln dem Wind uns anvertrauen. Storchenflug Alles Grübeln über leichte Motoren und Spekulieren über die Verminderung der zum Fliegen nötigen Kraft tritt in den Hintergrund angesichts der Tatsache, dass der Wind allein schon ausreicht, um jede Art eines freien Fluges zu bewirken.

Wenn wir jene prächtigen Vorbilder im Fliegen nicht hätten – große, schwere Vögel, die ohne Flügelschlag vom Wind sich tragen lassen –, so dürften die Zweifler Recht behalten, weil uns einfach der Mut fehlen würde, dem Problem mit der nötigen Ausdauer zu Leibe zu gehen. So aber, wo das greifbare Resultat sich nicht wegleugnen lässt, dass es einen Flug gibt, welcher keiner Anstrengung bedarf, bei dem nur die Flügelform und Flügelstellung richtig zu sein brauchen, um in der Luft zu schweben, zu kreisen und zu segeln, in beliebigen Höhen und nach beliebigen Richtungen, da wird unsere Zuversicht, selbst nach vielen vergeblichen Versuchen, immer wieder von neuem genährt.

Welche Vögel sind nun aber die geeignetsten Vorbilder im Schwebeflug? Wie gelangen wir am besten in die Lage, fruchtbare Beobachtungen anzustellen?

Wenn man im Sommer die Gefilde durchstreift, sieht man hin und wieder einen Raubvogel kreisen. Auch ein vorüberziehender größerer Sumpfvogel erregt zuweilen unsere Aufmerksamkeit. Will man eigens zu solchen Beobachtungen ins Freie sich begeben, so kann es sich ereignen, dass man tagelang vergeblich auf der Lauer liegt. Kommt nun gar ein schwebender Vogel zu Gesicht, so ist er meist himmelhoch und weit entfernt, so dass man von ihm wenig lernen kann.

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Neuerscheinung

Leicht ist es wahrlich dem Menschen nicht gemacht, frei wie der Vogel das Luftreich zu durchmessen, aber die Sehnsucht danach ließ Otto Lilienthal keine Ruhe. Er war der festen Überzeugung, dass das freie Fliegen des Menschen sich nicht durch eine einzige technische Großtat erfinden lässt, sondern in allmählicher Entwickelung seiner Vollendung entgegen geht.
Lilienthal entwickelte die aerodynamische Formgebung von Tragflügeln in ausführlichen theoretischen Vorarbeiten und erprobte diese praktisch mit Hilfe seiner selbst konstruierten Gleitflugzeuge in über 2000 erfolgreichen Gleitflügen.
In der Zeitschrift ›Prometheus‹ berichtete Otto Lilienthal über die Fortschritte bei seinen Flug-Experimenten in regelmäßigen Aufsätzen, die in diesem Buch gesammelt vorliegen.
  PDF-Leseprobe € 12,90 | 90 Seiten | ISBN: 978-3-8192-5031-6

• Auf epilog.de am 14. Oktober 2025 veröffentlicht

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