VerkehrLuftfahrt

Weshalb ist es so schwierig,
das Fliegen zu erfinden?

Von Otto Lilienthal

Prometheus • 3.10.1894

Voraussichtliche Lesezeit rund 15 Minuten.

Leicht ist es wahrlich uns Menschen nicht gemacht, frei wie der Vogel das Luftreich zu durchmessen. Aber die Sehnsucht danach lässt uns keine Ruhe; ein einziger großer Vogel, welcher über unserem Haupte seine Kreise zieht, erweckt in uns den Wunsch, gleich ihm am Firmament dahin­zu­schweben.

Otto Lilienthal

So weit geht das physikalische Verständnis jedes gemeinen Mannes, um zu vermuten, dass hier nur der rechte Schlüssel gefunden werden brauche, um uns eine ganz neue Welt des Verkehrs zu erschließen. Mit welcher Ruhe, mit welcher vollendeten Sicherheit, mit welchen überraschend einfachen Mitteln sehen wir jenen Vogel auf der Luft dahingleiten! Das sollte der Mensch mit seiner Intelligenz, mit seinen mechanischen Hilfskräften, die ihn bereits wahre Wunderwerke schaffen ließen, nicht auch fertigbringen? Und doch ist es schwierig, außerordentlich schwierig, nur annähernd zu erreichen, was der Natur so spielend gelingt. Wie hat man sich nicht schon vergeblich angestrengt, die Kunst der Vögel auch dem Menschen zugänglich zu machen! Auch die Wissenschaft hat sich der Flugfrage ernstlich angenommen. Die Erscheinungen des natürlichen Fliegens sind zergliedert, anatomisch und mechanisch, optisch durch die Moment­foto­grafie und grafisch durch elektrische Aufzeichnungen. Jetzt haben wir den Vogel endlich so weit, dass er uns theoretisch nicht mehr hinters Licht führen kann, aber praktisch macht er uns dennoch ein X für ein U. Sobald wir unsere Weisheit zum wirklichen Fliegen verwerten wollen, tritt unsere Stümper­haftig­keit elend zu Tage und die Schwalben fliegen uns um den Kopf und lachen uns aus. Es mag wohl auf keinem anderen technischen Gebiete so schwierig sein, den rechten Übergang von der Theorie zur Praxis zu finden.

Wir wissen heute sehr gut, was den fliegenden Vogel trägt. Sein Fittich durchschneidet die Luft mit großer Geschwindigkeit und zwingt durch die schlanke Krümmung seines Profils selbst diesem dünnen Medium die nötige Tragekraft noch ab. Der Wind, welcher unter den ausgebreiteten Segelflächen des Vogels dahin­streicht, findet an der konkaven Unterfläche der Flügel eine sanfte Ablenkung, welche bei genügender Windstärke in dem ausreichenden Hebe­druck sich äußert. Der Flügelschlag ergänzt, was die Segelwirkung allein nicht erreicht.

Der Laie ist zwar daran gewöhnt, den fliegenden Vogel mit den Augen so zu verfolgen, dass ihm die Flügelbewegungen wie ein einfaches Auf- und Niederschlagen erscheinen. Der Flugtechniker aber kombiniert die Flügelschläge mit der Fluggeschwindigkeit und der Luftbewegung und weiß, dass es auch beim Ruderflug namentlich der größeren Vögel nur um sehr spitzwinklige Durch­schneidungen des Luftmediums mit den Trageflächen sich handelt, und dass schon ein sanftes Herabdrücken der Flügel beim schnellen Vorwärts­schießen viel Tragekraft bei wenig Arbeitsleistung ergibt.

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Neuerscheinung

Leicht ist es wahrlich dem Menschen nicht gemacht, frei wie der Vogel das Luftreich zu durchmessen, aber die Sehnsucht danach ließ Otto Lilienthal keine Ruhe. Er war der festen Überzeugung, dass das freie Fliegen des Menschen sich nicht durch eine einzige technische Großtat erfinden lässt, sondern in allmählicher Entwickelung seiner Vollendung entgegen geht.
Lilienthal entwickelte die aerodynamische Formgebung von Tragflügeln in ausführlichen theoretischen Vorarbeiten und erprobte diese praktisch mit Hilfe seiner selbst konstruierten Gleitflugzeuge in über 2000 erfolgreichen Gleitflügen.
In der Zeitschrift ›Prometheus‹ berichtete Otto Lilienthal über die Fortschritte bei seinen Flug-Experimenten in regelmäßigen Aufsätzen, die in diesem Buch gesammelt vorliegen.
  PDF-Leseprobe € 12,90 | 90 Seiten | ISBN: 978-3-8192-5031-6

• Auf epilog.de am 12. September 2025 veröffentlicht

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