Verkehr – Luftfahrt
Neue Aussichten für die Luftschifffahrt
Die Gartenlaube • 1890
Hundert Jahre sind vergangen, seit sich zum ersten Mal ein Mensch in die Lüfte erhob – dennoch befindet sich die sogenannte Luftschifffahrt noch immer im Zustand der Kindheit. Über uns breitet sich der schrankenlose Luftozean aus, freier als das Meer, zugänglich zu jeder Zeit und durchschnitten von zahllosen lebenden Wesen; aber das Vorbild, welches uns hie Natur zur Beherrschung des Luftreichs im fliegenden Vogel gegeben hat, konnte vom Menschen bis jetzt nicht nachgeahmt werden, ja selbst die Mechanik des Vogelflugs war lange genug völlig dunkel. Unsere heutige Luftschifffahrt hat sich nicht den Vogel zum Vorbilde genommen, sondern den Fisch; der Zufall, welcher die Gebrüder Montgolfier auf die Verwendung eines mit warmer, leichter Luft angefüllten Ballons brachte, blieb Herrscher, denn alle späteren Versuche klammerten sich an die Form des Ballons.
Indessen gibt es eine gewichtige Tatsache, welche beweist, dass der Mensch sich hiermit schwerlich auf dem richtigen Wege befindet. Die Natur nämlich, die große Lehrmeisterin, in deren Anordnungen sich allenthalben ein dem unsrigen unendlich überlegener Verstand, ja eine göttliche Weisheit ausspricht, hat für die Geschöpfe der Luft die Schwimmblase nicht gewählt, sondern letztere nur den Tieren des Wassers verliehen. Dies ist ein deutlicher Fingerzeig, welcher uns belehrt, dass diese Blase – also auch der mit leichtem Gas gefüllte Ballon – für die Bewegung durch die Luft ungeeignet ist und unter allen Umständen verworfen werden muss. Ob wir die Gründe für dieses Ungeeignetsein sämtlich kennen oder nicht, ist völlig Nebensache, der Umstand, dass die Natur das Prinzip des Ballons bei den Tieren der Luft nicht angewendet hat, ist ein ganz ausreichender Beweis dafür, dass dasselbe hier ungeeignet ist. Will man also in Bezug auf die Luftschifffahrt zu wirklichen Fortschritten gelangen, so muss man zur Natur zurückkehren und den Vogelflug studieren. Der fliegende Vogel lehrt uns, dass es möglich ist, das Luftmeer ebenso vollkommen zu beherrschen wie den Wasserozean. Unsere Fluss- und Seeschiffe sind nichts anderes als mehr oder weniger unvollkommene Nachahmungen des Gesetzes, welches dem Bau des Fisches zugrunde liegt; unsere Luftschiffer müssen ihr Vorbild im fliegenden Vogel suchen. Diese einfache Wahrheit ist in der Tat auch schon ausgesprochen worden, ja, man braucht nicht auf die alte Sage von dem Griechen Dädalus zurückzugreifen, um Leute zu treffen, welche es unternommen haben, mit künstlichen Flügeln zu fliegen. Der Erfolg war bis jetzt freilich immer ein kläglicher, allein, so darf man fragen, wie viele Menschen mögen wohl im Wasser umgekommen sein, ehe es dem Ersten gelang, schwimmend über einen Strom zu setzen?
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