Forschung & Technik – Erfindungen & Patente
Seenotretter testen über der Ostsee erfolgreich unbemanntes Luftfahrtsystem für Seenotfälle
tvi.ticker • 22. November 2019
Über der Ostsee hat die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) gemeinsam mit neun Partnern erfolgreich ein unbemanntes Luftfahrtsystem für den Einsatz im Seenotfall getestet. Am Ende des vor drei Jahren gestarteten Forschungsprojektes ›Larus‹ (lat. Möwe) steht nun ein automatisches Starrflügelflugzeug, das bereits rund 660 Seemeilen (rd. 1220 km) sicher über See zurückgelegt hat. Eine weiterentwickelte Version könnte künftig auch unter erschwerten Einsatzbedingungen Kommunikation und Datenaustausch bei der Koordinierung von Such- und Rettungsmaßnahmen durch die Seenotleitung Bremen der DGzRS verbessern – und damit Menschenleben retten. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat das Projekt im Rahmen des Forschungsprogramms für die zivile Sicherheit gefördert.
Auf See wird die Rettung an sich auch künftig durch Menschen in Seenotrettungskreuzern und Hubschraubern erfolgen. Unbemannte Luftfahrtsysteme können aber – sofern sie automatisiert fliegen – zusätzliche Kommunikationskapazitäten schaffen und aktuelle Lagebilder liefern
, unterstreicht DGzRS-Geschäftsführer Kapt. Udo Helge Fox die Bedeutung der Forschung.
Vor der vorpommerschen Küste zwischen Rügen und Usedom hat ›Larus‹ erstmals in den deutschen Seegebieten, also im Zuständigkeitsbereich der DGzRS, ein unbemanntes Luftfahrtsystem in ein Szenario zur Suche und Rettung von Menschen in Seenot integriert (SAR = Search and Rescue). Es galt, einen Dummy in der Ostsee aufzuspüren. Der ›Larus‹-Demonstrator hat das Objekt schnell gefunden, die Daten an den Seenotrettungskreuzer ›Berthold Beitz‹ sowie die Seenotleitung Bremen übertragen und die Seenotretter sicher zu dem ›Schiffbrüchigen‹ geführt
, berichtet DGzRS-Wissenschaftler und Projektleiter Thomas Lübcke.
Datenaustausch mit Seenotrettungskreuzer und Seenotleitung
Das ›Larus‹-System verfügt über einen eigens modifizierten Transponder für das in der Schifffahrt übliche Automatische Identifikationssystem (AIS). Damit kann es Ortungssender lokalisieren, wie sie in modernen Rettungswesten zum Einsatz kommen. Die AIS-Signale sind meist nur in kleinem Radius um die im Wasser befindliche Person zu empfangen. Das ›Larus‹-System kann sie aus der Luft aufspüren und die Daten an Rettungseinheiten weiterleiten, die noch nicht vor Ort sind.
Im Rahmen des ›Larus‹-Projekts wurde ein vom Bremer Unternehmen Hanseatic Aviation Solutions entwickeltes, unbemanntes Starrflügelflugzeug mit 3,6 m Spannweite für die Anforderungen im Seenotrettungsdienst weiterentwickelt und durch verschiedenste Kommunikations- und Sensorik-Komponenten erweitert. Mit dem ›Larus‹-Demonstrator haben wir verschiedene optische und sensorische Nutzlastkomponenten ebenso wie neuartige Konzepte für eine zuverlässige Funkvernetzung erprobt. Alle Komponenten senden Live-Informationen zum Boden, von wo aus der sichere Flugbetrieb ständig überwacht werden kann. Es geht darum, die Seenotretter mit sehr leistungsfähiger Technik für Einsätze unter besonders schwierigen Bedingungen zu unterstützen
, sagt der Koordinator des Forschungsverbundes Prof. Dr.-Ing. Christian Wietfeld, Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationsnetze an der Technischen Universität Dortmund.
Neuland in vielfacher Hinsicht
Mit ›Larus‹ haben die Wissenschaftler vielfach Neuland betreten. Erstmal wurde im deutschen zivilen Luftraum über See ein unbemanntes Luftfahrtsystem mit etwa 25 km Abfluggewicht bewegt. Es hat das Lagebild in Echtzeit gleichzeitig an verschiedene Nutzer übertragen, darunter der Seenotrettungskreuzer ›Berthold Beitz‹ der Station Greifswalder Oie und die Seenotleitung Bremen der DGzRS.
Diese Daten können browserbasiert, also ohne zusätzliche Software, in einem laufenden Einsatzszenario genutzt werden. Der vom Luftfahrtsystem erfasste hochauflösende Videostream wurde in Echtzeit über einen im Projekt erforschten, neuartigen Multi-Link-Ansatz an die Bodenstation übertragen: Hierbei wurden zwei öffentliche LTE-Netze mit einem spezifisch für das ›Larus‹-System aufgebauten automatisiert so kombiniert, dass bei kurzzeitigen Störungen der Funkausbreitung die Daten des Luftfahrtsystems zuverlässig übertragen werden. Störungen der Funkausbreitung entstehen beispielsweise, wenn sich Reflexionen der Funkwellen auf der Wasseroberfläche mit der direkten Funkverbindung zwischen Luftfahrtsystem und den Basisstationen überlagern.
Insgesamt ist das System in der Abschlussphase des Projektes rund 660 Seemeilen (mehr als 1220 km) geflogen. Einen großen Teil dieser Strecke legte es außerhalb der Sichtweite der Bodenstation in Höhen von bis zu 2500 Fuß (rd. 760 m), also bis zur Obergrenze des unkontrollierten Luftraums, zurück.
Das ›Larus‹-System war für Sichtbarkeitstests auch gemeinsam mit einem Such- und Rettungshubschrauber des Typs Sea King aus dem Marinefliegergeschwader 5 der Deutschen Marine in der Luft. Es ist bis zu 140 km/h schnell und bei Windstärken bis sieben Beaufort (mehr als 60 km/h Windgeschwindigkeit) gestartet, geflogen und wieder gelandet. Die Bundesnetzagentur hat ›Larus‹ zudem die erste deutsche Frequenz für einen automatischen Starrflügler im SAR-Dienst (SAR Fixed Wing Aircraft) zugeteilt. Fliegerisch hat das System alle Erwartungen der Projektleitung erfüllt.
Umfangreiche übergreifende Zusammenarbeit
Die für die Luftfahrt wie für die Seenotretter bedeutenden Testflüge sind bisher einzigartig. Realisiert wurden sie dank übergreifender Zusammenarbeit von Behörden und Organisationen auf Landes- wie Bundesebene. Die Landesluftfahrtbehörde Mecklenburg-Vorpommern hat das Genehmigungsverfahren frühzeitig begleitet. Foto: TU DortmundDGzRS-Wissenschaftler Thomas Lübcke (l.) und ›Larus‹-Projektkoordinator Prof. Dr.-Ing. Christian Wietfeld (TU Dortmund, r.) mit dem ›Larus‹-Projektteam nach der Abschlusspräsentation der beiden Flugsystem-Demonstratoren und den mobilen Bodenstationen im Hintergrund. Bundesverkehrsministerium und Deutsche Flugsicherung (DFS) haben für den Betrieb des unbemannten Fluggerätes außerhalb der Sichtweite und in Höhen oberhalb von 300 m über Grund zwei großflächige, temporäre Flugbeschränkungsgebiete eingerichtet und damit die luftverkehrsrechtliche Grundlage für die Test- und Validierungsflüge vor dem Fischland und über dem Greifswalder Bodden geschaffen.
Droniq, ein Gemeinschaftsunternehmen der DFS Deutsche Flugsicherung und der Deutschen Telekom, sorgte mit dem UTM (Unmanned Aircraft System Traffic Management System) für die Darstellung der Luftlage. Dafür wurde das unbemannte Fluggerät mit einem LTE-Modul mit integrierter SIM-Karte und GPS-Empfänger ausgestattet. Über Mobilfunk meldete das Modul die aktuelle Position des Fluggeräts an die Server der DFS. Von dort wurde das aktuelle Luftlagebild webbasiert bereitgestellt.
Bis Ende des Jahres wird ›Larus‹ fortgeführt, um die Ergebnisse zu sichern und auf dieser Basis konkreten weiteren Entwicklungsbedarf zu benennen, der das System langfristig zur Praxistauglichkeit führen soll.
Zum Forschungsprojekt ›Larus‹
Partner des Forschungsprojektes sind der Lehrstuhl für Kommunikationsnetze der Technischen Universität Dortmund als Verbundkoordinator, die DGzRS als rettungsfachlicher Koordinator, das Institut für Flugsystemdynamik der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen, sowie die Firmen Hanseatic Aviation Solutions GmbH, Bremen, IMST GmbH, Kamp-Lintfort, und OptoPrecision GmbH, Bremen. Assoziierte Partner waren das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, die Bundespolizei See, die Deutsche Telekom AG und die Global Health Care GmbH.
Projektträger ist das VDI-Technologiezentrum. Das Verbundprojekt wird im Rahmen der Bekanntmachung ›Innovative Rettungssysteme‹ im Sicherheitsforschungsprogramm ›Forschung für die zivile Sicherheit‹ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Über die Seenotretter
Die DGzRS ist zuständig für den maritimen Such- und Rettungsdienst in den deutschen Gebieten von Nord- und Ostsee. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben hält sie rund 60 Seenotrettungskreuzer und -boote auf 55 Stationen zwischen Borkum im Westen und Usedom im Osten einsatzbereit – rund um die Uhr, bei jedem Wetter. Jahr für Jahr fahren die Seenotretter mehr als 2000 Einsätze, koordiniert von der Seenotleitung Bremen der DGzRS (MRCC = Maritime Rescue Co-ordination Centre). Die gesamte unabhängige und eigenverantwortliche Arbeit der Seenotretter wird ausschließlich durch freiwillige Zuwendungen finanziert, ohne Steuergelder. Seit Gründung der DGzRS 1865 haben ihre Besatzungen mehr als 85 000 Menschen aus Seenot gerettet oder drohenden Gefahren befreit. Schirmherr der Seenotretter ist der Bundespräsident.