VerkehrStraßenverkehr

Das Radfahrerfangnetz an der Ramingobrücke

Das Neue Universum • 1898

Zu den gefährlichsten Stellen, welche der Radfahrer auf Touren zu passieren hat, gehören alle die Fälle, in denen eine stark abfallende Chaussee mitten im Gefälle oder am Ende desselben eine scharfe Kurve macht. Das in schnellster Bewegung befindliche Rad lässt sich alsdann nur mit Aufbietung großer Geistesgegenwart und Berechnung ungefährdet durch die Kurve bringen, und nur zu oft gibt es an solchen Stellen unfreiwillige und gefährliche Trennungen des Reiters von seinem Rade. Befindet sich dann vollends neben der Kurve noch ein Abhang, ein Gewässer und dergleichen, so ist das Passieren solcher Stellen in schnellem Tempo – und ein langsames verbietet sich bei stark abschüssigen Wegen mitunter von selbst – in hohem Grade lebensgefährlich.

Eine solche Straßenstelle von dunklem Ruf befindet sich auf der schönen, von Radfahrern in allen Jahren viel­benutzten Straße zwischen Nizza und Menton. An der tiefsten Stelle einer langen Chaussee­strecke von starkem Gefälle (8 m auf 100 m Länge) führt uns die Brücke von Ramingo über eine Schlucht von 16 m Tiefe, und da die Straße sich hüben und drüben fast in derselben Richtung am Abhang des Tales hinauf- bzw. hinabzieht, so bildet die Brücke mit jeder Flanke des Weges einen rechten Winkel. Jeder Radfahrer, der eins von diesen Gefällen hinabfährt, ohne den Lauf seines Rades durch die Bremse genau regulieren zu können, kommt mit einer derartigen Geschwindigkeit an der zur Brücke führenden Kurve an, dass der Sturz über das Geländer in den Abgrund fast die unausbleibliche Folge davon ist. Selbst Fuhrwerke, deren Kutscher in dem steilen Gefälle die Herrschaft über ihre Pferde verlieren, fallen mit ihren Insassen in großer Zahl dieser gefährlichen Straßenstelle zum Opfer. Im Laufe von drei Jahren sind trotz den auf beiden Seiten aufgestellten Warnungs­tafeln mehr als hundert Personen – und unter ihnen zwanzig Radfahrer – in die Schlucht hinabgestürzt; fast alle wurden schwer verwundet, mehrere auf der Stelle getötet.

Auf die Verwendung und unter Mithilfe des französischen Touren­clubs hat nun endlich die Straßenbauverwaltung diesem gefährlichen Zustand ein Ende gemacht. Schutznetz an der RamingobrückeDas Schutznetz an der Ramingobrücke. Das in unserer Abbildung wiedergegebene Fang- und Schutznetz neben dem außenseitigen Brückengeländer, wohin die Zentrifugalkraft die herab­kommenden Fuhrwerke treibt, hat in der kurzen Zeit seines Bestehens schon manchem in Todesgefahr schwebenden Radler gute Dienste geleistet. Mit verhältnismäßig geringen Kosten wurde das in unserer Abbildung deutlich erkennbare Netz aus starken Eisendrähten hergestellt und auf kräftigen, in das Mauerwerk der Brücke eingelassenen Konsolen angebracht. Die Länge des Schutznetzes beträgt 16 m, die Breite 1,3 m und die Höhe des aufgebogenen Randes 1 m. Die Festigkeit ist hinreichend, um selbst das Gewicht und den Anprall zweier Pferde, welche durch die Zentrifugalkraft über den Rand der Brücke geschleudert werden, aufzufangen.

Am 5. April 1897 war das Schutznetz fertig. Vier Tage später verlor ein Radfahrer auf dem Gefälle der Chaussee die Herrschaft über seine Maschine, prallte gegen das Brückengeländer und wurde unversehrt vom Netz aufgefangen, während das Rad zerbrach. Im Laufe von zwei Monaten ereigneten sich fünf weitere Fälle des Sturzes von Radfahrern oder Wageninsassen, die sämtlich ohne Verletzungen vom Netze aufgefangen wurden.

Es wäre besonders in Hinsicht auf den starken Verkehr von Radfahrern auf allen Straßen unseres Vaterlandes von großem Nutzen, wenn auch bei uns an gefährlichen Wegstellen solche Schutznetze eingeführt würden.

• Auf epilog.de am 17. August 2025 veröffentlicht

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