Verkehr – Straßenverkehr
Ein Riesentricycle
Der Stein der Weisen • 1897
Die gigantischen Formen, welche das Leben und die mit demselben in innigem Zusammenhang stehenden menschlichen Einrichtungen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika annehmen, äußern sich in allen Zweigen der emsigen Tätigkeit dieser – wie alle Anzeichen dafür sprechen – sich kräftig entwickelnden neuerstehenden Nation. Wenn auch viele den amerikanischen Nationalcharakter so kennzeichnende Neuerungen oder Eigenheiten im Bau- und Verkehrswesen, sowie in der industriellen Entwickelung nicht nach dem Geschmack des mehr in konservativer Bedächtigkeit fortschreitenden Europäers sind, so darf dennoch der aneifernde Einfluss des raschen Fortstürmens der Amerikaner auf andere Nationen von geringerer Beweglichkeit nicht verkannt werden.
Sind doch diese kraftvollen Praktiker, die uns unbekannte Gebiete menschlichen Wissens und Könnens durch ihr Genie zugänglich machten, zugleich die Förderer jeglichen Aufschwunges auch in den außeramerikanischen Erdteilen geworden; ja, unser Jahrhundert erhielt auch durch sie den Stempel des Riesenhaften aufgedrückt. Man erinnere sich nur der mannigfachen technischen Schöpfungen, wie elektrischen Bahnen und aller auf dem Gebiet der nutzbar angewandten Elektrizität sich bewegenden Erfindungen sowie der sonstigen gemeinnützigen Errungenschaften, die in Amerika in so kurzem Zeitraume erstanden.
Dieser Drang, alles ins Riesenhafte zu steigern, zeigt sich auch im Vehikel der neuesten Zeit – im Fahrrad, das man sonst gerne als möglichst klein und von geringem Eigengewicht herstellt. Wir führen hier nun ein Riesendreirad vor Augen, wie es eine neuenglische Firma in Form des abgebildeten Tricyeles erbaute. Acht Mann treiben den Mechanismus des Rades, welches infolge seiner Dimensionen ein Eigengewicht von 1200 kg besitzt, so dass auf einen Mann rund 150 kg kommen. Das vordere Rad misst 1,8 m im Durchmesser, wogegen die gleiche Dimension der beiden großen Hinterräder 3,4 m beträgt. Das Gestell besteht aus zwei parallelen Stahlbändern, welche nebeneinanderliegen und vorne in ein Kreuzband endigen, an welchem wieder der Griff für den Fahrradlenker angebracht ist, wie dies die Abbildung erkennen lässt.
Ein Mann vorne besorgt die Steuerung. Jedes der beiden großen Treibräder wird von je vier denselben zunächst sitzenden Männern angetrieben. Die Kettenübersetzungen mit den Zahnrädern sind ebenfalls im Vorderteil der Abbildung zu ersehen, ebenso die Pedale und deren Kuppelung. Das Merkwürdigste an dem Mechanismus dieses Fahrrades ist jedoch die Tatsache, dass die Steuerung desselben nicht nach abwärts, sondern in der Richtung nach aufwärts geschieht, was in der Absicht gelegen ist, das große Eigengewicht des Vehikels leichter zu bewältigen. Nebenbei sei bemerkt, dass die Länge der Maschine 5,5 m erreicht. Entsprechend diesen Größenverhältnissen des Rades sind auch die Pneumatikreifen nach dem bei Fahrrädern sonst üblichen System von riesiger Ausdehnung. Die Speichen der großen Räder haben eine Dicke von fast 2 cm, diejenigen des kleinen Steuerrades eine solche von annähernd 1 cm im Durchmesser.
Den Nachweis für die Brauchbarkeit dieses Riesenfahrrades erbrachte eine Probefahrt auf der Straße zwischen Boston und Brockton in einer Entfernung von 30 km. Von letzterem Ort ging die Fahrt noch weiter bis zu dem fernere 150 km gelegenen Städtchen Concord, ohne dass die Maschine eine Störung zeigte.