Gleislose elektrische Bahnen

Abb. 1. Umwenden eines Personenwagens.

In vielen Gegenden kann ein vorhandenes Verkehrsbedürfnis durch Anlage einer Eisenbahn oder elektrischen Straßenbahn nicht befriedigt werden, da die hohen Anlagekosten wie auch die Unterhaltungskosten eine Verzinsung des Anlagekapitals ausschließen würden. Als Hilfsmittel für solche Fälle haben sich an mehreren Orten Anlagen bewährt, die von Max Schumann in Wurzen in Sachsen, als gleislose elektrische Bahnen bezeichnet werden.

Die gleislosen Bahnen sind, wenn auch ohne Schienen, durch die elektrische Leitung, welche den Motoren die Betriebskraft zuführt, an eine bestimmte Fahrstraße zwar gebunden, auf dieser selbst aber, da gleislos, frei beweglich. Die Tendenz ist, den teuren Pferdebetrieb durch billigeren elektrischen zu ersetzen, gleichzeitig aber Gleis und eigenen Bahnkörper zu ersparen, sowie das Mitführen teurer und schwerer Akkumulatoren in den Wagen zu vermeiden. Während bei den elektrischen Gleisbahnen die Rückleitung des Stromes durch die Schienen erfolgt, besitzen die gleislosen Bahnen zwei Leitungsdrähte, von denen der eine für die Hinleitung, der andere für die Rückleitung des Stroms vom Wagen zum Kraftwerk dient. Die Leitungsdrähte sind an Querdrähten oder Auslegern befestigt, die von stählernen oder bei einfacheren Anlagen von hölzernen Masten getragen werden.

Abb. 2. Zusammenstellen des Zuges am Kalksteinbruch in Grevenbrück i. W.

Gleislose Bahnen sind in Deutschland für Personen- und Güterbeförderung im Betrieb. Für beide Zwecke dient z. B. die im Mai 1904 eröffnete 4 km lange Bahn von Monheim a. Rh. nach Langenfeld. Die Abb. 1 zeigt einen Personenwagen, und zwar in dem Augenblick, in dem er zur Rückfahrt wendet. Die auf dem Wagendach angeordneten Stromabnehmer sind derart beweglich, dass sie dem Wagen gestatten, nach jeder Seite rund 3 m aus der Mitte seiner Bahn auszuweichen. Die Wagen können daher wie alle anderen jedem Fuhrwerk auf der Straße ausweichen oder es überholen, ohne dass die Stromabnehmer die Leitungsdrähte verlassen müssten. Begegnen sich dagegen zwei Wagen der gleichen Bahn, so müssen die Stromabnehmer des einen Wagens von den Leitungen abgenommen werden, was mühelos geschehen kann. Die zur Personenbeförderung bestimmten Wagen haben das Aussehen eines Omnibus.

Eine gleislose Bahn, die lediglich zur Güterbeförderung dient und sich für diesen Zweck seit bereits drei Jahren gut bewährt hat, ist die Grevenbrücker Kalkbahn. Diese verbindet die bei Hagen i. W. gelegene Eisenbahnstation Grevenbrück mit den 1,5 km entfernten Kalksteinbrüchen. Abb. 3. Industriebahn in Wurzen i. S. Die 6 t schweren zweiachsigen Zugwagen besitzen für jede Achse je einen 25 PS-Elektromotor. Die Zugwagen sind symmetrisch gebaut und in ihrer äußeren Erscheinung den auf Schienen laufenden elektrischen Lokomotiven gleich. Die gleichfalls zweiachsigen Güterwagen haben ein Eigengewicht von 2,25 t und eine Ladefähigkeit von 5 t. Die Abb. 2 zeigt den Zugwagen im Begriff, sich vor die beladenen Güterwagen zu setzen. Auf guter ebener Straße vermag der Zugwagen mehr als das Fünffache seines Eigengewichtes zu befördern.

Die neueste gleislose Bahn in Deutschland ist diejenige in Wurzen. Dieselbe dient zur Beförderung von Mühlengütern und Kohlen. Die Anlage unterscheidet sich von anderen dadurch, dass die früher von Pferden gezogenen schweren Mühlenwagen mit kurzen Deichseln zusammengekuppelt und in Zügen von den elektrischen Zugwagen gezogen werden. Die Abb. 3 zeigt einen Zug dieser Bahn.

Die früher gehegte Befürchtung, dass die gleislosen Bahnen die Straßen zerstören würden, ist durch die in mehreren Betrieben gemachte Erfahrung entkräftet worden. Man hat sogar die Wahrnehmung gemacht, dass die breiten Räder der Zugwagen wie eine Walze die Straße befestigen, während die schädlichen Angriffe der Pferdehufe auf die Straßendecke entfallen.

• Von Regierungsbaumeister Vogdt