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Telegrafie vor hundert Jahren

Der optische Telegraf von Claude Chappe

Die Welt der Technik • 15.10.1906

Voraussichtliche Lesezeit rund 8 Minuten.

In einer Zeit, wo wir mit Hilfe der drahtlosen Telegrafie im Stande sind, dem dahineilenden Eisenbahnzug Telegramme nachzusenden, um mit dessen Insassen in stetem Gedankenaustausch zu bleiben, und wo auf den großen transatlantischen Dampfern der Hamburg-Amerika-Linie allmorgendlich eine Zeitung erscheint, deren Inhalt dem Schiff auf die hohe See hinaus nachgesandt wurde, da bereitet uns ein Rückblick auf die ersten Anfänge einer mit praktischem Erfolg durchgeführten Telegrafie ein besonderes Interesse. Wir folgen hierbei dem im Jahr 1888 erschienenen Werk Bellocs ›La Télégraphie historique‹, dessen Verfasser in seiner Eigenschaft als Inspecteur du contrôle der Generaldirektion der französischen Post- und Telegrafie, ein ausgiebiges Material zur Verfügung stand. Der Schöpfer der Telegrafie im modernen Sinne ist der Franzose Claude Chappe, geboren im Jahr 1763 zu Brûlon, Departement Sarthe. Wohl waren bereits vor ihm optische Telegrafen in Benutzung genommen worden, aber eine regelrechte und sichere Übermittlung von Nachrichten auf größere Entfernungen datiert erst von dem Zeitpunkte ab, wo Chappe seinen hier dargestellten Telegrafen konstruierte und zu einer bisher nicht gekannten Vollkommenheit brachte.

Eine in das Reich der Fabel zu verweisende Erzählung besagt, dass Claude Chappe die Idee zu seinem System gefasst habe, um mit seinen Brüdern Nachrichten austauschen zu können. Schon frühzeitig aber trieb der junge Chappe, der sich dem Priesterstand widmen wollte, physikalische Studien und soll hierbei bereits versucht haben, den elektrischen Strom für die Zwecke der Nachrichten-Übermittlung zu benutzen, und zwar soll er hierbei in der Weise vorgegangen sein, dass er zwei genau in Einklang gebrachte Pendeluhren elektrisch miteinander verband und durch Übermittlung verschiedener Zeitintervalle eine gewisse Verständigung von zwei verschiedenen Orten aus anstrebte, jedoch ohne praktischen Erfolg. Chappe ging alsdann um so energischer an die weitere Ausbildung der optischen Telegrafie, und am 2. März 1791 gelang es ihm, zwischen Parcé und Brûlon, zwei im Departement Sarthe gelegenen 15 km von einander entfernten Orten, einige Redewendungen telegrafisch auszutauschen. Ein Versuch, den neuen Telegrafenapparat der Regierung in Paris vorzuführen, scheiterte an dem Unverstand des Pöbels, der nachts den Apparat zertrümmerte.

Nunmehr erbaute Chappe mit Hilfe des Ingenieurs Bréguet in Menilmontant einen neuen Apparat und verlieh ihm schon damals diejenige Form, die sich während eines halben Jahrhunderts bewährte, bis der elektromagnetische Telegraf seinen Siegeszug um die Erde antrat.

Belagerung von CondéAbb. 1. Anwendung des Chappeschen Telegrafen bei der Belagerung von Condé. November 1794.

Das Wesen des Chappeschen Telegrafensystems bestand darin, dass zwischen den in eine telegrafische Verbindung zu setzenden Ortschaften auf Bergen oder Türmen der in Abb. 1 dargestellte Apparat angebracht wurde. Die Zahl der mit diesem Apparate zu erzielenden Zeichen betrug etwa 70; mit Hilfe dieser Zeichen konnte man Buchstaben, Interpunktionszeichen und Zahlen nach einem gewissen verabredeten Schema darstellen, und falls das Wetter die erforderliche Fernsicht ermöglichte, mit großer Schnelligkeit über das Land dahinsenden. Auf jedem Turm war nach beiden Richtungen hin je ein großes Fernrohr in der Mauer fest verankert und auf den nächstgelegenen Apparat ein für alle Mal eingestellt. Die den Telegrafen bedienende Person hatte ihren Platz innerhalb des Turms in einem Zimmer und hatte vor sich einen kleineren, dem auf dem Dach des Turmes befindlichen genau entsprechenden Telegrafen. An diesem kleinen Apparat stellte der Telegrafist die verschiedenen Zeichen ein, und es fand dann durch entsprechend angebrachte Schnüre und Ketten die genau gleiche Bewegung der Arme des eigentlichen Telegrafen statt.

Die Aufstellung des ersten für den Chappeschen Telegrafen verwendeten Alphabets war im Wesentlichen das Werk eines Verwandten der Chappeschen Familie, des ehemaligen französischen Konsuls in Lissabon Léon Delaunay. Dieses Alphabet lehnte sich an die Chiffrierschrift der Diplomatie an und wurde im Jahr 1795 durch ein anderes ersetzt, das Chappe in Gemeinschaft mit seinen Brüdern Abraham und Ignaz ausgearbeitet hatte.

Am 22. März 1792 war Claude Chappe so weit vorgeschritten, dass er sein Telegrafen-System dem gesetzgebenden Körper vorlegen konnte. Die von dieser Körperschaft beschlossene Prüfung des Apparates musste unterbleiben, weil der Pöbel auch jenen neuen in Belleville aufgestellten Apparat zerstörte. Dieser Akt des Vandalismus und die damaligen politischen Ereignisse, verzögerten die Angelegenheit bis zum 1. April 1793, an welchem Tag das Mitglied des Konvents Romme dem inzwischen an die Stelle der Assemblée legislative getretenen Konvent über den Chappeschen Apparat Vortrag hielt und erreichte, dass unter dem 6. April 1793 eine aus den Konventsmitgliedern Lakanal, Daunou und Arbogast bestehende Kommission mit der näheren Prüfung betraut, und zugleich aus dem Kriegsfonds eine Summe von 6000 Francs bewilligt wurde. Von den drei Kommissionsmitgliedern legte nur Lakanal Verständnis für die große Sache an den Tag; die beiden andern waren direkte Gegner Chappes. Fast an der endgültigen Annahme seiner großen Idee verzweifelnd, baute Chappe die 35 km lange Telegrafenlinie Menilmontant, Ecouen, St. Martin aus und erwirkte, gewitzigt durch die bisherigen bösen Erfahrungen, ein Dekret des Konvents, das diese Leitung unter den Schutz der Behörden stellte.

Am 12. Juli 1793 wurde in Gegenwart der Konventskommission und zahlreicher Gelehrten und politischer Größen die ersten Telegramme gewechselt. Um 4 Uhr 26 Minuten gab die Station St. Martin das Signal ›Activité‹; diesem Signal folgte alsbald folgende Depesche:

»Daunou est arrive ici; il annonce que la Convention Nationale vient d'autoriser son Comité de sûreté générale à apposer les scellés sur les papiers des représentants du peuple.«

[[Daunou ist hier angekommen; Er verkündet, dass der Nationalkonvent gerade sein Allgemeines Sicherheitskomitee ermächtigt hat, die Papiere der Volksvertreter zu siegeln.]]

Diese Depesche legte die 35 km lange Strecke in 11 Minuten zurück. Die von der anderen Seite übermittelte Depesche, welche nur einen Zeitaufwand von 9 Minuten erforderte, lautete:

»Les habitants de cette belle contré sont dignes de la liberté par leur amour pour elle et leur respect pour la Convention Nationale et ses lois.«

[[Die Bewohner dieses wunderschönen Landes verdienen die Freiheit durch ihre Liebe zu ihr und ihren Respekt vor dem Nationalkonvent und seinen Gesetzen.]]

Von jetzt ab war die Zukunft Chappes und seiner Erfindung gesichert. Ersterer wurde mit einem Tagesgehalt von 5 Livres 10 Sous zum Genieoffizier ernannt. Auf Antrag Carnots wurde dann durch Dekret vom 4. August 1793 der Bau der Telegrafenlinien Paris – Lille und Paris – Landau ins Leben gerufen, wobei man in erster Linie die Verwertung des neuen Verkehrsmittels für die Zwecke der Landesverteidigung im Auge hatte. Und in der Tat wiesen die damaligen kriegerischen Ereignisse gebieterisch auf diese Art der Verwendung hin.

Die Zahl der errichteten Stationen belief sich auf 16; die erforderliche Summe betrug 166 40 Livres. Die behördliche Oberleitung erhielt Garnier, während die praktische Ausführung in den Händen der drei Gebrüder Chappe und Delaunays lag.

Übergang nach EnglandAbb. 2. Witzbild auf den von Napoleon I. geplanten Übergang nach England. Links sind die Chappeschen Telegrafentürme sichtbar.

Die Schwierigkeiten, welche sich dem Bau der Telegrafenlinien entgegenstellten, waren überaus groß, da es infolge der kriegerischen Ereignisse an den nötigen Arbeitskräften und Materialien mangelte. Sie wurden jedoch durch die Energie Chappes und seiner Getreuen überwunden, und am 15. August 1794 übermittelte der Telegraf als erste Nachricht die Wiedereroberung von Quesnoy durch die französischen Truppen. Barére, welcher diese Botschaft dem Konvent mitteilte, hob hierbei noch besonders hervor, dass diese Nachricht bereits eine Stunde nach der erfolgten Besetzung Quesnoys nach Paris gelangt war. Nach und nach wurde dann noch der Bau telegrafischer Linien bis Ostende und Brüssel, von Paris nach Straßburg und von Paris nach Brest und Lyon beschlossen.

Von besonderer Wichtigkeit erwies sich die Linie Paris – Straßburg während des Rastatter Kongresses. Sie wurde auf das energische Betreiben Bonapartes, der zu jener Zeit in den Vordergrund der politischen Handlung eingerückt war, innerhalb weniger Monate mit 46 Zwischenstationen errichtet; zwischen Straßburg nach Rastatt wurden die Depeschen durch Kuriere befördert.

In der Folgezeit hat sich dann der Chappesche Telegraf auf das Beste bewährt, sei es, dass er den Staatsstreich vom 18. Brumaire, sei es, dass er den napoleonischen Sieg bei Marengo dem französischen Volk kundgeben musste, oder dass er die französischen Generale zu gemeinsamen Handeln informierte.

Es mag überraschen, dass Bonaparte, als er sich zum Kaiser aufgeschwungen hatte, dem Telegrafenwesen nicht diejenige Aufmerksamkeit zuwandte, wie er dies zu Anfang seiner Laufbahn getan hatte. Dieses Verhalten Napoleons erklärt sich aber zur Genüge durch den Umstand, dass er seine sämtlichen Kriege, mit Ausnahme der allerletzten, außerhalb der französischen Grenzen zum Austrag brachte. Sobald ihm aber die Anwendung der Telegrafie geboten erschien, ließ Bonaparte es nicht an Aufträgen für Claude Chappe fehlen. Ein solcher erging im Jahre 1804, als Napoleon damit umging, in England mit einer großen Heeresmacht zu landen. Aus dieser Zeit stammt Abb. 2, welche erkennen lässt, welche Mittel, ernsthaft und scherzhaft aufzufassende, man ersann, um dem mächtigen Albion den Todesstoß zu versetzen.

Grabdenkmal Claude ChappesAbb. 3. Grabdenkmal Claude Chappes. Rechts sind die Chappeschen Zeichen sichtbar.

Napoleon verlangte von Chappe die Aufstellung eines Plans für eine telegrafische Verbindung der französischen und der englischen Küste, und zwar sollte diese bei Tag wie bei Nacht gleich zuverlässig funktionieren. Chappe kam diesem Befehl nach, ohne denselben jedoch praktisch zur Anwendung bringen zu können, da Napoleon von seinem Plan abstehen musste.

Die weitere Entwicklung seiner bahnbrechenden Erfindung sollte Chappe nicht erleben. Im Januar 1805 schied er freiwillig aus dem Leben, das ihm durch ein schmerzvolles Leiden zur Qual geworden war.

In dem Nachruf, den ihm der Moniteur widmete, hieß es treffend:

»Man sagt mit Recht, dass die Kunst des Signalisierens schon vor ihm bekannt war. Er aber hat das, was noch fehlte, geschaffen, indem er eine so einfache, so zielbewusste, so sichere und so allgemein angenommene Anwendungsart schuf, dass er als der Erfinder jener Kunst angesehen werden kann.«

Das, was Claude Chappe so erfolgreich begonnen hatte, wurde von dessen Brüdern tatkräftig fortgesetzt.

• M. Geitel

• Auf epilog.de am 5. November 2023 veröffentlicht

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