DaseinsvorsorgeOrdnung & Sicherheit

Das Polizei-Telefon in Chicago

Elektrotechnische Zeitschrift • Juli 1881

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

In den Städten Amerikas hat sich zwar die Polizei gewöhnlich gleich von Anfang an der elektrischen Verbindungen bedient, welche für soziale und kommerzielle Zwecke hergestellt worden sind; vor allem aber nutzt die Stadt Chicago die telegrafischen und telefonischen Einrichtungen aus und betrachtet dieselben geradezu als einen ganz wesentlichen Teil des Polizeisystems. Sie bezweckt dadurch einerseits die Schnelligkeit und Wirksamkeit der polizeilichen Hilfe in dringenden Fällen zu vergrößern und andererseits die Anzahl der Patrouillen und die Kosten zu verringern, welche das dazu nötige große Personal verursacht.

Ein dringendes Bedürfnis, einen Wächter oder Schutzmann auf einen bestimmten Punkt, der Stadt herbeizurufen, tritt im Allgemeinen selten ein, und es ist das Hauptaugenmerk in Amerika gegenwärtig darauf gerichtet, den jedem einzelnen Wachtposten zur Bewachung anvertrauten Raum zu vergrößern. Hieraus folgt, dass, wenn sich ein Unfall ereignet, die Polizei meist von dem Ort sehr entfernt ist, wo ihre Hilfe notwendig wird. Die Diebe, welche dies sehr wohl wissen, ziehen hieraus oft ihren Vorteil. Diese Tatsache ist nicht nur in Amerika, sondern in allen großen Städten wahrzunehmen.

Um diesem Übelstand abzuhelfen, könnte man die Schutzmannschaft bedeutend vermehren. In Chicago erreicht man jedoch den Zweck billiger, indem man die Möglichkeit beschafft, die Polizei leicht und schnell herbeizurufen. Jeder Mann der Patrouille oder auf Posten kann sich sofort mit seiner Unterabteilung in Verbindung setzen, nötigenfalls auch mit dem nächsten Polizeiposten des Bezirkes oder der Zentralstelle. Ferner kann jeder angesehene und achtbare Bürger im Falle der Not sehr schnell die Polizei herbeirufen.

Die praktische Ausführung dieses Systems ist folgende: An bestimmten und passend gewählten Punkten jedes Bezirkes sind Polizeiposten errichtet; bei denselben befinden sich ein Wagen, ein Pferd und drei Mann in steter Bereitschaft. Der Wagen führt eine Bank, Decken und die notwendigsten Gerätschaften, um eine kranke oder verwundete Person bzw. ein verloren gegangenes Kind mitzunehmen und für sie zu sorgen, Verbrecher festzunehmen usw. Die Polizeiposten stehen in telefonischer Verbindung mit öffentlichen Alarmstationen, welche Schilderhäusern gleichen und längs der Straßen in entsprechender Entfernung verteilt sind. Diese Wachhäuser sind groß genug, um einen Menschen aufzunehmen und ihm bei Gelegenheit als Zufluchtsort zu dienen.

Die Alarmstationen werden mittels Schlüssel geöffnet, welche man an alle angesehenen Bürger, sowie an die Schutzleute ausgibt. Um Missbrauch zu verhüten, sind die Schlösser so eingerichtet, dass man den Schlüssel nicht mehr herausziehen kann, wenn er in das Schloss gesteckt ist; herausziehen kann ihn nur die Polizei. Jeder Schlüssel ist mit einer Nummer bezeichnet, und dadurch muss die Person, welche das Alarmhaus geöffnet und das Signal zum Herbeieilen der Polizei gegeben, sofort ihren Namen nennen. Alsbald nach dem Ruf erscheint eine Rotte von drei Mann mit einem Wagen und einem Pferde auf demjenigen Punkt der Stadt, von wo aus das Signal gegeben worden. Befindet sich der wachhabende Schutzmann nahe dem Alarmhaus, so öffnet er dasselbe und spricht mit Hilfe des darin enthaltenen Fernsprechers mit dem nächsten Polizeiposten. Ist das Alarmhaus durch einen Bürger geöffnet worden, so ruft er die Polizei mit einem Zeigerapparat herbei.

Dieser Apparat gestattet, elf verschiedene Zeichen nach der Zentralstelle zu geben, indem man den Zeiger auf das entsprechende Zeichen einstellt.

Die Zeichen sind folgende: 1. Polizeiwagen. 2. Diebe. 3. Gewalttat. 4. Aufstand. 5. Betrunkene. 6. Mörder. 7. Unfall. 8. Einbruch. 9. Streit. 10. Leitungsprüfung. 11. Brand.

Um ein Zeichen zu geben, stellt der Rufende den Zeiger auf das entsprechende Signal vermittels der an der rechten Seite des Apparates befindlichen Kurbel. Lässt man dieselbe los, so sendet der Apparat dem Polizeiposten ein Ziffertelegramm, indem er die Nummer des rufenden Postens und das entsprechende Zeichen mitteilt. Der Übertrager ist autokinetisch; der Empfänger besteht in einem gewöhnlichen Morseapparat mit Selbstauslösung.

Die Anordnung des im Alarmhaus befindlichen Kastens gestattet dem diensthabenden Schutzmann, sich telefonisch mit dem Polizeiposten seines Bezirkes zu verbinden. Das Kohlenplättchen des Senders befindet sich mit unter Verschluss, und zwar liegt es gerade dem Munde gegenüber, wenn der Kasten geöffnet ist.

Jede Stunde oder jede halbe Stunde kommt der Rondeoffizier auf eine Alarmstation und berichtet dem Polizeiposten seines Bezirks durch das Telefon, was den Dienst sehr vereinfacht und erleichtert. Der Kommandant des Postens kann hiernach seinen Dienst ohne Störung anordnen.

Auch in Privatwohnungen und Geschäftsräumen können Kästchen mit gleichen Signalen, mit oder ohne Fernsprechvorrichtung aufgestellt werden. In letzterem Fall werden die Zeichen auf einen Zeigertelegrafen gegeben, wie für die Alarmposten. Der Polizeiposten besitzt einen unter Siegel befindlichen Schlüssel zur Wohnung eines jeden Abonnenten. Wird in der Nacht ein Signal gegeben, z. B. bei einem Diebstahl mit Einbruch, so begibt sich der Schutzmann mit dem betreffenden Schlüssel zu dem rufenden Abonnenten, um rasch den Dieb festzunehmen.

Chicago besitzt gegenwärtig etwa 100 Alarmstationen; man will sie jedoch noch im Laufe dieses Jahres verdoppeln. Das System arbeitet in der zufriedenstellendsten Weise; die Zahl der Arretierungen in den betreffenden Polizeibezirken ist gestiegen, was die Anzahl der Verbrechen in entsprechendem Verhältnis vermindert hat.

Die erste Einrichtung des Systems ist wenig kostspielig und seine Unterhaltung verursacht nur unbedeutende Kosten. Das System scheint sich auch für die kleinen Städte zu empfehlen, wo die Zahl der Wächter im Verhältnis gering ist. Mit Hilfe der Alarmkästen in den Privatwohnungen und in den Alarmstationen, welche auf den Straßen errichtet worden sind, kann man jeden Augenblick Hilfe herbeirufen, und es ist auch eine geringe Zahl von Schutzleuten im Stande, denselben Dienst wie eine zahlreiche Polizei zu versehen.

• Auf epilog.de am 6. September 2023 veröffentlicht

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