Forschung & TechnikRaumfahrt

Nach 14 Jahren: Raumsonde Galileo stürzt in den Jupiter

Spektakuläres Finale einer erfolgreichen NASA-Mission

tvi.ticker • 15. September 2003

Voraussichtliche Lesezeit rund 9 Minuten.

Nach 13 Jahren, 11 Monaten und 3 Tagen geht am 21. September 2003 eine Reise nach über fünf Milliarden Kilometern dramatisch zu Ende: Dann verglüht die amerikanische Raumsonde Galileo bei einer Temperatur von rund 1300° Celsius in den Wolken des Jupiters, des größten Planeten unseres Sonnensystems. Die Galileo-Sonde bei den StartvorbereitungenFoto: NASADie Galileo-Sonde bei den Startvorbereitungen. Damit endet eine der erfolgreichsten Missionen zur Erkundung unseres Planetensystems, vornehmlich des Jupiters mit seinen vier großen und 55 kleinen Monden. Die Galileo-Mission hat insbesondere Hinweise auf einen möglichen Ozean unter der Oberfläche des Jupitermondes Europa erbracht. Wasser gilt als eine der wichtigsten Voraussetzungen für Leben im Weltall.

Die Mission endet in dieser Woche, weil die Treibstoffvorräte aus Hydrazin verbraucht sind und die Sonde somit nicht mehr steuerbar ist. Bis zu den letzten Stunden soll ein Teil der wissenschaftlichen Geräte genutzt und Daten zur Erde übertragen werden, ehe der künstliche Jupitertrabant mit einer Geschwindigkeit von etwa 180 000 km/h in die Jupiter-Wolken aus Wasserstoff, Helium, Ammoniak und Methan eintaucht. Durch die Reibungshitze wird das zwei Tonnen schwere Raumschiff zu glühen anfangen, auseinanderbrechen – es besteht aus rund 85 000 Einzelteilen – und schließlich verglühen, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen.

Das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) war mit mehreren Beiträgen an der amerikanischen Mission Galileo beteiligt: Das Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof hat wissenschaftliche Beiträge zum Kameraexperiment des Jupiter-Orbiters erbracht, als Agentur hat das DLR bei der Planung und Durchführung der Mission mitgewirkt sowie die Koordinierung der deutschen Wissenschaftsbeteiligungen wahrgenommen. Das Deutsche Raumfahrt-Kontrollzentrum des DLR in Oberpfaffenhofen unterstützte den Missionsbetrieb. Das für die Mission so wesentliche 400-Newton-Antriebssystem der Galileo-Sonde stammt aus Deutschland und wurde von EADS (vormals MBB) in Ottobrunn bei München entwickelt und gebaut.

Detailliertes Absturzszenario soll irdische Verunreinigung des Jupitermondes Europa verhindern

Das Absturzszenario für Galileo wurde vom amerikanischen Jet Propulsion Laboratory, das die Mission für die NASA leitet und durchführt, bereits vor zwei Jahren in die Wege geleitet.Mit dem Eintauchen in den Gasriesen und der vollständigen Zerstörung des Raumschiffs nach 34 Umrundungen des Planeten soll verhindert werden, dass Galileo im Jupiter-System unkontrolliert seine Bahnen zieht und dann möglicherweise mit dem Eismond Europa kollidiert Raumsonde GalileoFoto: ESA . Von diesem Trabanten des Jupiter nehmen zahlreiche Wissenschaftler an – dies eines der herausragenden Forschungsergebnisse der Mission –, dass sich ein mächtiger Ozean unter der Eiskruste befindet. Da Galileo vielleicht noch winzigste Organismen von der Erde mit sich trägt, möchte man verhindern, dass Mikroben von der Erde mit dem Wasserreservoir Europas in Kontakt kommen. Neben dem Mars gilt ein möglicher Ozean auf Europa als weitere denkbare Nische für die Entstehung von Lebensformen. »Als Planetenforscher sind wir alle unglaublich fasziniert von den Galileo-Ergebnissen«, resümiert Dr. Ralf Jaumann, der Leiter des DLR-Instituts für Planetenforschung in Berlin-Adlershof. »Vor allem über den Ozean unter der Eiskruste des Jupitermondes Europa wollen wir mehr wissen, insbesondere ob es dort Leben gibt. Wir hoffen, dass die Mission Cassini-Huygens, die 2004 den Saturn erreicht, genauso spannend und wissenschaftlich wertvoll wird«, so Jaumann.

Von 1974 bis 2003, von der Erde zum Jupiter: eine Odyssee

Die Dramaturgie der Galileo-Mission ist einmalig in der Geschichte der unbemannten Raumfahrt. Nach großen Rückschlägen steht Galileo heute jedoch in einer fiktiven Liste erfolgreicher Missionen ganz weit oben. Schon 1974 wurden erste Überlegungen zu einem Projekt für einen oder möglicherweise sogar zwei Orbiter angestellt, die Jupiter und die vielgestaltigen Monde erforschen sollten. Galileo startet von der Raumfähre Atlantis die Reise zum JupiterFoto: NASAGalileo startet von der Raumfähre Atlantis die Reise zum Jupiter. Am 1. Juli 1977 gab die NASA den Startschuss für eines ihrer kühnsten Satellitenprojekte: Mit Galileo, benannt nach dem großen italienischen Astronomen, der 1610 die vier großen Jupitermonde Io, Europa, Ganymed und Callisto entdeckte, wurde das bislang größte unbemannte Weltraumprojekt auf den Weg gebracht. Mit an Bord: eine Sonde, die Monate vor Erreichen des fernen Ziels abgesprengt und auf einer ballistischen Bahn in die Wolkenhülle des Planeten eintauchen sollte, um dort für ein bis zwei Stunden Daten aufzuzeichnen.

Doch vor und auf der Reise zum Jupiter musste die Mission zahlreiche kleinere und größere Probleme bewältigen. Wegen des ersten Space-Shuttle-Unglücks der Challenger 1986 musste der für das gleiche Jahr vorgesehene Start zunächst verschoben werden. Erst am 18. Oktober 1989 wurde die über zwei Tonnen schwere Raumsonde mit einem sanften Manöver aus der Ladebucht der Raumfähre Atlantis ins All und durch Starten der Triebwerke auf die Reise zum Jupiter gebracht. Um die nötige hohe Reisegeschwindigkeit zum fünften Planeten aufnehmen zu können, musste Galileo jedoch auf einer komplizierten Bahn durch das innere Sonnensystem zunächst durch einen Nahvorbeiflug an der Venus (Februar 1990) und zwei sehr nahen Passagen an der Erde (Dezember 1990 und Dezember 1992) Schwung aufnehmen: Bei jedem dieser ›Gravity Assists‹ wurde Galileo mit Hilfe der Schwerkraft der Planeten erheblich beschleunigt. Die Flugbahn zum Jupiter verlängerte sich dadurch auf insgesamt mehr als vier Milliarden Kilometer, doch ergaben sich zusätzliche Möglichkeiten für eine Reihe bedeutender wissenschaftlicher Experimente, beispielsweise die ersten Multispektralaufnahmen der Mondrückseite oder erste Aufnahmen von Asteroiden aus nächster Nähe.

Nach über sechs Jahren, am 7. Dezember 1995, erreichte Galileo endlich sein Ziel; zuvor war am 13. Juli programmgemäß die Atmosphären-Eintauchsonde abgetrennt und auf den Weg gebracht worden. Durch Zünden des Antriebssystems wurde der Orbiter abgebremst, hinter Jupiter vorbeigelenkt und exakt wie geplant in seine elliptische Umlaufbahn eingeschossen. Die detaillierte Erkundung des Jupiter-Systems konnte beginnen – allerdings mit Einschränkungen: Denn die Hauptantenne von Galileo ließ sich nach dem Nahvorbeiflug an der Venus nicht öffnen. Die Jahre bis zur Ankunft am Jupiter nutzten die Wissenschaftler, um das Betriebssystem der Bordcomputer so zu programmieren, dass ein Großteil der Experimente und die Datenübertragung zur Erde trotz dieser Beeinträchtigung noch durchgeführt werden konnten.

Vom Sorgenkind zur Erfolgsstory

Schon während der langen Reise zum Jupiter deutete sich allerdings an, dass die wissenschaftliche Ausbeute trotz reduzierter Datenübertragung enorm sein würde. Erstmals wurde durch Multispektralaufnahmen die mineralogische Zusammensetzung der von der Erde nicht sichtbaren Rückseite des Erdmondes erfasst. Während der zweiten Phase des Schwungholens tangierte Galileo den Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter und fotografierte zum ersten Mal einen Kleinplaneten, Gaspra, aus nächster Nähe. Bei der zweiten Passage durch den Asteroidengürtel präsentierte das Kamerateam von Galileo eine wissenschaftliche Sensation: Auf den Bildern des etwa 60 km großen Asteroiden Ida wurde ein nur ein Kilometer kleiner Mond entdeckt, der auf den Namen Dactyl getauft wurde – für die Interpretation der Geschichte des inneren Sonnensystems eine Neuigkeit von großer Bedeutung. Galileo war auch der einzige ›Beobachter‹, der den von Astronomen für Juli 1994 prognostizierten Einschlag des Kometen Shoemaker-Levy 9 in den Jupiter direkt beobachten konnte: Das Raumschiff war zu diesem Zeitpunkt schon nahe genug an seinem Ziel, von der Erde aus betrachtet lag die Einschlagstelle hinter dem Jupiterhorizont.

Mit Erreichen des Jupiter-Systems konnten mehrere Hundert Wissenschaftler endlich die seit Jahren geplanten Experimente mit den zwölf auf dem Orbiter befindlichen Instrumenten durchführen. Auch die Eintauchsonde funktionierte wie gewünscht und übertrug über anderthalb Stunden wichtige physikalische und chemische Daten aus den Tiefen der Jupiter-Wolken, ehe sie vom enormen Atmosphärendruck zerfetzt wurde und verglühte. Bereits der erste nahe Vorbeiflug von Galileo am größten Jupitermond, Ganymed, ließ das wissenschaftliche Potenzial der Mission erkennen, gefolgt von dichten Passagen über Europa und Callisto – gegenüber den Voyager- und Pioneer-Missionen der 1970er Jahre ein Quantensprung an Datenqualität. Die NASA beschloss früh, die Mission zu verlängern, so dass Ende 1997 die ›Galileo Europa Mission‹ mit zunächst 14 weiteren Nahvorbeiflügen (hauptsächlich an Europa) ihren Auftakt nahm: Der kleinste der Jupiter-Eismonde, so nahm man an, barg die interessantesten Geheimnisse.

Europa und die Entdeckung eines Ozeans

Galileos Aufnahmen der Oberflächen Jupiters, seiner hauchdünnen Ringe, der kleinen Trabanten und schließlich aller vier ›Galileischen Monde‹ waren von zum Teil bestechender Qualität und um das zehn- bis hundertfache schärfer als die Voyager-Bilder. Auf dem Jupitermond Io wurde der aktivste Vulkanismus im gesamten Sonnensystem bestätigt, permanent sind dort über 30 gigantische Vulkane tätig. Ganymeds Oberfläche wurde während vier Milliarden Jahren von gewaltigen tektonischen Kräften ein bizarres Furchenmuster aufgeprägt. Callisto hat die älteste Oberfläche und weist Spuren von gigantischen Einschlagbecken in seinem Eispanzer auf. Und Europa ist möglicherweise ein noch heute aktiver Eismond: Denn die Wissenschaftler glauben herausgefunden zu haben, dass sich unter der zweifelsfrei jungen Eiskruste des Jupitermondes möglicherweise noch heute in vielleicht 80 km Tiefe eine mächtige Wasserschicht verbirgt. Dieser ›Ozean‹ könnte mehrere Hundert Kilometer tief sein und infolge von Eigendruck und der auf Gezeitenwirkung Jupiters zurückzuführenden inneren Reibungswärme am Ausfrieren gehindert werden. Seit man weiß, dass sich auf der Erde die Entwicklung von Organismen auch an Stellen in den Meeren vollziehen kann, zu denen kein Lichtstrahl vordringt, wurden Modelle entwickelt, die glaubhaft aufzeigen, dass auch in einem solchen warmen ›Europa-Ozean‹ die Entstehung und Evolution von primitivsten Mikroorganismen unter der Eiskruste zumindest denkbar wären. Aus diesem Grunde wurde während der Galileo Europa-Mission die Oberfläche des Eisköpers auch von DLR-Wissenschaftlern genau unter die Lupe genommen, um Spuren von aktivem oder jüngst erloschenem ›Kryovulkanismus‹, also aus dem Inneren Europas aufgedrungenem und dann an der Oberfläche gefrorenem Eis aufzuspüren. Zwar gelang dieses Unterfangen nicht, doch offenbarten sich den Wissenschaftlern eine Fülle fantastischer Eisstrukturen und die Entdeckung, dass das Europa-Wasser ›Meersalze‹ enthält; die Interpretation dieser Befunde dauert noch heute an und wird noch Jahre in Anspruch nehmen. Ein eigens geplanter Europa-Orbiter steht ganz oben auf der Wunschliste der Forscher, wird aus Geldmangel von der NASA jedoch vorerst nicht realisiert.

Bis zum letzten Tropfen Hydrazin: Die Millennium-Mission

Trotz reduzierter Geldmittel gestattete die NASA, die Mission bis zum buchstäblich letzten Tropfen Treibstoff weiterzuführen. Mit der ›Galileo Millennium Mission‹ wurde die Naherkundung des Vulkanmondes Io nachgeholt, die ursprünglich nur für den allerersten Missionstag im Jupiter-System vorgesehen war, wegen des Antennenproblems aber storniert wurde. Auch wurde Io bis dahin gemieden, da sich der innerste der großen Trabanten in einer Zone heftigster elektromagnetischer Strahlung Jupiters befindet, welche die Instrumente Galileos schneller zerstört. Doch die Bordelektronik von Orbiter und Instrumenten funktionierte auch noch nach der vierfachen Strahlungsdosis, für die sie ausgelegt war, fast einwandfrei, so dass die Io-Überflüge in nur wenigen Hundert Kilometern Höhe – einmal sogar durch die Teilchenwolke eines Vulkanausbruchs – gewagt werden konnten. Die Forscher sahen abstrakte, von Schwefel gelb und orange gefärbte, viele Kilometer hohe Vulkanlandschaften, bis 1800° Celsius heiße Vulkanausbrüche mit Gas- und Aschefontänen, die mehrere Hundert Kilometer ins All reichen. Schließlich wurde mit einem Nahvorbeiflug am winzigen Jupiter-Mond Amalthea im November 2002 bereits das endgültige Ende der Mission eingeleitet und Kurs auf Jupiter genommen.

Quelle:  Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

• Auf epilog.de am 18. September 2003 veröffentlicht

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