VerkehrNahverkehr

Berlin an der Ostsee

Plauderei von Hans Dominik

Die Woche • 6.10.1906

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Als der ehrsame und tugendfeste Bürger Gotthold Imannel Schulze im Jahr 1706 eine Reise von Berlin nach Brandenburg an der Havel tun wollte, da segnete er bereits am Abend vorher Weib und Kind und bereitete sich am nächsten Morgen sehr frühzeitig zum Aufbruch. Schon um fünf Uhr morgens schaffte der Knecht sein Reisebündel in die Postkutsche, die in der Spandauer Straße hielt. Eine Viertelstunde vor sechs saß Herr Schulze selbst in der Kutsche, und um sechs ging die Fahrt los. Seit kurzem benutzte man nicht mehr den alten Weg durch die Jungfernheide, sondern fuhr über das neu angelegte Städtchen Charlottenburg. So rumpelte denn der alte Kutschkasten über die lange Brücke am Schloss vorbei und über die Straße Unter den Linden, deren Bäumchen damals noch jung waren. Schnell war das Baugelände der eben erst entstehenden Friedrichstadt passiert, und durch das Brandenburger Tor schwankte der Wagen auf den neuen Sandweg, der durch das alte Jagdgelände der Kurfürsten, den heutigen Tiergarten, nach Charlottenburg führte. Eine gute Meile hatte der Wagen zu fahren, bevor er am neuen Königsschloss in Charlottenburg vorbeikam. Hier gab es zum ersten Mal frische Postpferde, um so mehr, als ein gewaltiger Hügel, der Spandauer Berg, alle Kräfte der Tiere in Anspruch nahm und nur mit Vorspann zu erklimmen war. Kurz hinter dem Königsschloss nahm wieder die unendliche Heide das Fuhrwerk auf, und es blieb in ihr, bis endlich die Spandauer Türme über das Luch grüßten. Wieder gab es Pferdewechsel, und weiter ging die Reise auf Nauen, das um Mittag erreicht wurde. Eine Stunde hatten hier die Reisenden Zeit für das Mahl und die Ruhe. Dann ging die Fahrt weiter, und die Sonne stand bereits im Westen, als endlich die fünf Türme vom Harlunger Berg, dem heutigen Marienberg, in Sicht kamen. Nun rumpelte die Kutsche über das Brandenburger Pflaster, und die Fahrt war zu Ende.

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Der Ingenieur, Journalist und Schriftsteller Hans Dominik (1872 – 1945) gehört zu den erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren Deutschlands. Neben zahlreichen Romanen und Kurzgeschichten verfasste er vor allem auch populärwissenschaftliche Beiträge für Zeitschriften und Jahrbücher. Für dieses Buch wurden seine verkehrstechnischen Plaudereien und Betrachtungen zusammengetragen und vermitteln dem Leser einen unverfälschten Blick auf die Verkehrsgeschichte des jungen 20. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 12,90 | 92 Seiten | ISBN: 978-3-7534-7686-5

• Auf epilog.de am 3. Mai 2024 veröffentlicht

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