Handel & IndustrieFabrikation

Die Gliederung der Fabrikation

Illustrirte Zeitung • 3.8.1844

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Die beklagenswerten Zwistigkeiten zwischen Fabrikanten und Arbeitern, welche schon von früher sich herschreiben, in mehreren Ländern aber zur Zerstörung von Privateigentum und zu dem Verlust von Menschenleben geführt haben, richten der Natur der Sache nach die öffentliche Aufmerksamkeit mehr wie je auf das Fabrikwesen, über dessen eigentümlichen Betrieb viele eine unklare Vorstellung haben und darin häufig von Organen der öffentlichen Meinung bestärkt werden, die nicht besser unterrichtet sind, wie sie. Man ist im Allgemeinen geneigt, die Tätigen im Fabrikwesen in zwei besondere Klassen zu teilen, die man sich voneinander in ihren Interessen und Strebungen streng geschieden denkt, nämlich in Fabrikanten und Arbeiter, und je nach dem besonderen Standpunkt, auf dem man steht, nimmt man bei Zerrüttungen im Fabrikwesen oder bei Missständen und Ausbrüchen des Missbehagens, Partei für die eine oder die andere Seite, ohne die verwickelten Betriebsverhältnisse der Fabrikation und die Stellung der darin Beteiligten zu-, neben- und gegeneinander näher in Betracht zu ziehen. Dies muss jedoch durchaus geschehen, wenn man ein unbefangenes und richtiges Urteil über diese Erscheinungen fällen will, die mit den Judenverfolgungen zu den traurigsten Erzeugnissen gänzlich vernachlässigter Erziehung gehören.

Um zu einer wahrheitsgemäßen Anschauung zu gelangen, muss man zunächst die Meinung aufgeben, dass die Menschen, welche im Fabrikwesen tätig sind, nur aus Fabrikanten und deren Arbeitern bestehen. Wäre unter dem, was wir mit dem Namen Fabrikwesen bezeichnen, lediglich die Erzeugung von Fabrikaten und Produkten irgendeiner Art in großen geschlossenen Gewerbeanstalten verstanden, welche den Rohstoff oder das Halbfabrikat bis zur fertigen verkäuflichen Ware verarbeiten, so hätte man allerdings recht, die Besitzer und Leiter jener Gewerbeanstalten Fabrikanten und diejenigen, welche von ihnen in ihren Arbeitsräumen in gewisser vertragsmäßiger Abhängigkeit beschäftigt werden, Arbeiter zu nennen; inzwischen, obgleich diese Art der Erzeugung von Verbrauchsgegenständen vielfach stattfindet, z. B. bei der Eisenfabrikation, der Spinnerei, Zeugdruckerei, so ist es doch keineswegs die einzige, ja sie ist in Deutschland die seltenere.

Eine weit größere Ausdehnung hat die Fabrikationsweise, bei der die Arbeiter selbstständig in ihren eigenen Wohnungen arbeiten und ihr Erzeugnis entweder im halbfertigen Zustande verkaufen, oder von ihm den Rohstoff oder das Halbfabrikat: Garn, Zwirn, Eisen und andere, erhalten und bloß für ihre Arbeit an der weiteren Vollendung des Fabrikats bezahlt werden. Diese Arbeiter stehen zu ihren Arbeitgebern in sehr lockeren Vertragsverbindungen, welche sie jeden Augenblick aufheben, wenn ihnen ein Anderer günstigere Vorschläge macht, bei welcher Aufhebung nur zu oft keine Rücksicht darauf genommen wird, ob sie dem älteren Arbeitgeber noch verpflichtet sind, und ihm vielleicht Geld und Garn schulden. Diese Arbeiter, durchaus selbstständig und von keinem Menschen abhängend, leben – wie die Weber, Strumpfwirker – teils im Innungsverband, teils in den Ländern, wo der Innungsverband aufgehoben ist, vollkommen ungebunden in der Art und Weise, wie sie ihr Gewerbe betreiben wollen. Sie können ganz allein arbeiten, sie dürfen auch ihre sämtlichen Familienglieder mitarbeiten lassen, es ist ihnen nicht verboten, mehre Geschäfte zugleich oder miteinander abwechselnd zu betreiben, wie Weberei, Landbau und Straßenarbeit, Strumpfwirkerei und Maschinenspinnerei, endlich sind sie auch überhaupt nicht genötigt zu arbeiten, wenn sie nicht wollen; wie dies auch in Zeiten hohen Lohns geschieht, wo z. B. Strumpfwirker zuweilen nur 4 Tage in der Woche arbeiten. Nichts zwingt diese Arbeiter zur Arbeit, als das Bedürfnis zu leben; dieser Zwang aber ist allerdings hart genug, denn da die größte Masse dieser Arbeiter, von deren großem Elend wir mit tiefem Mitleid erzählen hören, wie die Hindus gegen jede höhere Intelligenz und die natürliche und unvermeidliche Entwicklung der Arbeitskraft durch Maschinen ankämpfen, was namentlich von den Kattun- und Glattleinenwebern gilt, so müssen sie mit sehr wenigem Lohn vorlieb nehmen und natürlich noch viel schlechter wie die Hindus leben, denen doch wenigstens der Reis wohlfeiler zuwächst, als den deutschen Kattun- und Leinenwebern die Kartoffeln.

Diejenigen nun, welche die rohen Kattune, die rohen Leinen von den Arbeitern kaufen, oder – unter Garnausgabe an sie – in Stücklohn arbeiten lassen, und die Ware alsdann weiter bleichen oder färben und zubereiten lassen, um sie dann in den großen Handel zu bringen, sie auf die Messen oder seewärts zu verführen, sind, obgleich man sie gemeiniglich Fabrikanten nennt, vielmehr Kaufleute, welche höchstens einige Bleichstücke und Appretierverrichtungen betreiben lassen, um ihre Ware kaufgerecht zu machen. Ihre Hauptbestrebungen sind auf billigsten Einkauf und möglichst teuren Verkauf gerichtet, also vollkommen kaufmännisches Streben; weswegen sie auch, zur Unterscheidung von eigentlichen Fabrikanten, Fabrikanten-Kaufleute genannt werden sollten. Noch weniger Fabrikanten sind aber diejenigen, welche entweder von den Arbeitern selbst, oder den Meistern, Vorkäufern, Verlegern oder Faktoren, wie man sie auch zu nennen pflegt, die Ware fertig kaufen, und sie dann höchstens nach ihrer Weise akkommodiert – gelegt und eingepackt – in den Handel bringen, wie es z. B. bei der Spitzen- und Strumpfmanufaktur, auch bei einigen Zweigen der Weberei, vorkommt. Diese Gewerbeleute haben mit der Fabrikation gar nichts zu tun, sondern sind lediglich als Händler zu betrachten.

In allen Fabrikbezirken Deutschlands findet sich diese Art von Geschäftsleuten in großer Zahl bei allen Gewerbezweigen, welche nicht in größeren und kleineren Räumen in für sich abgeschlossenen Gewerbeanstalten arbeiten. Sie unterscheiden sich geschäftlich von den eigentlichen Fabrikanten und zum Teil auch von den Fabrikanten-Kaufleuten dadurch, dass sie ihre Gelder ausschließlich im Handel mit solchen Fabrikaten beschäftigen, die von Arbeitern, Meistern, Gesellen und Lehrlingen gefertigt ihnen zum Kauf gebracht werden und weil ihre Kapitalien nicht in Grundstücken, Gebäuden und Maschinen angelegt sind, so können sie dieselben leichter bewegen, als die Fabrikanten und Fabrikanten-Kaufleute und deshalb wohlfeiler arbeiten. Freilich werden sie nicht selten durch das Übergewicht, welches ihnen der Besitz des Geldes gibt, zur wahren Landplage.

Bei alledem sind sowohl Fabrikanten-Kaufleute als Händler für Gewerbedistrikte, in denen selbstständige Arbeiter in ihren eigenen Wohnungen durch Meister, Vorkäufer oder Verleger beschäftigt werden, ebenso notwendig als nützlich, und ohne sie, deren ganzes Streben dahin geht, der Ware guten und raschen Absatz zu verschaffen, müsste bald alle über das Land verstreute Fabrikation aufhören. Jenes Streben, gut und rasch zu verkaufen, sowohl durch inländische als ausländische Konkurrenz, wenn man so sagen darf, bis zum Kampf auf Tod und Leben gestachelt, ruft nun aber die Notwendigkeit hervor, möglichst gut und billig zu kaufen, und dass, bei dem Bemühen darum, häufig zu Misshelligkeiten und Unannehmlichkeiten Veranlassung gegeben ist, wobei Unehrlichkeit, Unverschämtheit und Unverstand auf der einen, Herzlosigkeit, Grobheit und Geiz aber auf der anderen Seite zum Zusammenstoß führt, wer wollte sich darüber wundern? Solange die Geschäfte einigermaßen gut gehen und die Schwankungen in regelmäßiger Abwechselung bald aufwärts, bald abwärts steigen, bleiben die Verhältnisse zwischen Arbeitern und Arbeitgebern, Fabrikanten-Kaufleuten und Händlern im Gleichgewicht, sobald aber längere Zeit hindurch, wie jetzt in Schlesien, das Geschäft so darniederliegt, dass die öffentliche Wohltätigkeit herbeigerufen werden muss und der Staat zu unmittelbaren Unterstützungen, Ankäufen für Staatsrechnung sich genötigt sieht, dann kann es leicht geschehen, dass die Ordnung aus den Fugen tritt und Not und Hass über den gesunden Menschenverstand den Sieg davon tragen.

Von der räumlich für sich abgeschlossenen Fabrikation mit Maschinen und ihrer festen Gliederung in Arbeiter an den Maschinen, Werkmeister, Werkführer, Maschinisten und Geschäftsdirektoren ist jene eben geschilderte sozusagen offene, freie oder vereinzelte Fabrikation, geteilt in Arbeiter, Meister, Aufkäufer, Fabrikanten-Kaufleute und Händler, von Grund aus verschieden. Die Arbeiter in großen Fabrikanstalten, wie Spinnereien, Maschinenwebereien und Zeugdruckereien sind höher gestellt und besser bezahlt, als die für sich arbeitenden Spinner, Weber und Wirker, denn der rein mechanische Teil der Arbeit wird von der Maschine gemacht, während der Arbeiter an ihr ihren richtigen Gang über wacht und ihn mit raschem Urteil und gewandter Hand regelt, damit die Maschine gut und viel arbeite. Es ist daher ein Irrtum, wenn man glaubt, die Arbeit an der Maschine mache den Arbeiter selbst zu einer Maschine, da vielmehr die Maschine ohne den überwachenden und regelnden Geist des Arbeiters an und für sich tot ist und leicht in Unordnung und Stillstand gerät. Dahingegen gibt es manche Zweige der freien Weberei und Wirkerei, bei denen der Arbeiter vollkommen als Maschine tätig ist.

Zusammenstöße zwischen den Elementen der Fabrikation in großen für sich abgeschlossenen Gewerbeanstalten nehmen fast nie den wilden Charakter an, den wir leider nur zu sehr bei den schlesischen Unruhen ausgeprägt finden. Entweder richten sich die Angriffe der Handarbeiter gegen die Maschinen, wie in Prag gegen die Perrotinen (Maschine zum gleichzeitigen mehrfarbigen Kattundruck.), oder die Arbeiter legen ohne Unordnung und Angriffe ihre Arbeit zeitweilig nieder, um verminderte Arbeitszeit oder höheren Lohn zu erzwingen. Angriffe auf Maschinen kommen selten vor und dann vorzüglich bei Einführung neuer, mechanische Menschenarbeiter sparender Mechanismen; denn die Arbeiter erkennen sehr bald selbst das Nutzlose dieser Bestrebungen, wodurch nur der Maschinenbauer bereichert und die Konkurrenz zu ihrem Nachteil gestört wird. Arbeitseinstellungen treten in Ländern von großem Fabrikbetrieb häufiger ein, bald ausgehend von Seiten der Arbeiter, bald umgekehrt. Verhandlungen führen aber bald zu Vereinbarungen und zuweilen sind freiwillige Arbeitseinstellungen ihrer Leute den Fabrikanten lieb, weil dadurch die Preise der Fabrikate zu steigen pflegen. Zwischen Fabrikanten und ihren Angestellten, vom Niedrigsten bis zum Höchsten, herrscht in der Regel gutes Einverständnis, sehr häufig sogar herzliche Zuneigung; den Fabrikanten ist darum zu tun, gute und tüchtige Leute zu haben und zu erhalten, behandeln und bezahlen sie deswegen gut, die Leute hingegen arbeiten gern in großen Räumen in Gemeinschaft, wenn sie erst daran gewöhnt sind, wo sie besser behandelt und bezahlt werden, als in ihren Hütten.

Das System der geschlossenen Etablissements, das sogenannte ›Faktoreisystem‹, ist daher jedenfalls ein Fortschritt im Fabrikwesen, doch ist es möglich, dass wir noch einen Schritt weiter tun werden in der Organisation der Arbeit, um zu einer innigeren und gerechteren Vergesellschaftung von mechanischer Arbeit, Intelligenz und Kapital zu gelangen, und es lässt sich nicht in Abrede stellen, dass die Amerikaner uns darin mit gutem Beispiel vorausgegangen sind, denn zwischen den ›jungen Ladys von Lowell‹ und den Wollkämmerinnen von Pfaffendorf ist der Abstand in Wohlhabenheit, Bildung und Sitte so groß, dass Mädchen aus den besten Familien sich jenen gegenüber sehr oft in Nachteil setzen würden. Es ersetzen jene Fabrikanstalten gewissermaßen die Klöster des Mittelalters, und haben, wenn wir von den barmherzigen Schwestern absehen, einen gewiss sehr wohltätigen Vorzug, denn sie bilden wie jene eine Freistatt hilfloser Jugend und stehen denselben an gottesfürchtigem und strengsittlichem Verhalten nicht nach, während sie zugleich ihren Zöglingen gestatten zu jeder Zeit, oft mit gesichertem Vermögen, auszutreten und einen glücklichen Hausstand zu begründen.

• Auf epilog.de am 1. Mai 2024 veröffentlicht

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