U-Bahn in Berlin

Die geplante Untergrundbahn der Stadt Berlin

Polytechnisches Journal • 26.5.1906

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Die Stadtverwaltung von Berlin beabsichtigt als Schnellverkehrsmittel für die Personenbeförderung und zur Entlastung der Hauptstraßen eine vollspurige, zweigleisige Untergrundbahn mit elektrischem Betrieb zu erbauen, die den Süden der Reichshauptstadt (Kreuzberg) mit dem Norden (Müllerstraße) verbinden und die Bezeichnung ›Süd-Nordbahn‹ erhalten soll. Die allgemeine Richtung der Bahn ist durch folgende Straßenzüge festgelegt: Kreuzberg, Belle-Alliance-Straße [Mehringdamm], Belle-Alliance-Platz [Mehringplatz], Lindenstraße, Markgrafenstraße, Gendarmenmarkt, Charlottenstraße, Prinz-Louis-Ferdinand-Straße [Planckstraße], Friedrichstraße, Chausseestraße, Wedding, Müllerstraße (Endbahnhof Seestraße).

Der Begutachtungs-Ausschuss der Stadtverordneten hat indessen vom Belle-Alliance-Platz aus die Richtung durch die Friedrichstraße vorgeschlagen, die in ihrem nördlichen Teil eine der verkehrsreichsten Straßen der Reichshauptstadt bildet und durch die Untergrundbahn merkbar entlastet werden könnte. Es steht zu erwarten, dass die Untergrundbahn nach dem Vorschlag des Begutachtungs-Ausschusses durch die Friedrichstraße geführt werden wird, falls nicht die staatliche Aufsichtsbehörde Einwendungen gegen diese Richtung erhebt.

In der Richtung von Süden nach Norden wird die Untergrundbahn den Landwehrkanal, die Siemenssche Hochbahn, die Stadtbahn, die Spree und die Ringbahn unterfahren und in Zukunft einige Untergrundbahnen kreuzen, die zurzeit von der Aktiengesellschaft Siemens & Halske, von der Gr. Berliner Straßenbahngesellschaft und von der Stadtverwaltung geplant werden. Mit Rücksicht auf diese Linien besteht die Absicht, schon während des Baus der Süd-Nordbahn, an den Kreuzungsstellen für die geplanten Untergrundbahnen Untertunnelungsbauwerke zu errichten. Die Decke des Tunnels der Süd-Nordbahn wird etwa 0,80 m unter der Straßenoberfläche liegen, nur an den Kreuzungsstellen mit dem Landwehrkanal, der Spree und mit den geplanten Untergrundbahnen muss das Bauwerk entsprechend tiefer gelegt werden. Der Tunnel wird in seiner ganzen Länge im Grundwasser liegen und mit Ausnahme einiger Stellen, die Moor- und Torfschichten aufweisen, in Sand- und Grandschichten des umliegenden Erdreichs eingebettet. Diese Einbettung soll in offener Baugrube zwischen Spundwänden unter beständigem Absenken des Grundwassers, die Unterfahrung des Landwehrkanals und der Spree mit Hilfe von Senkkasten unter Anwendung von Pressluft bewerkstelligt werden.

Da die Süd-Nordbahn in ihrem Zugefast bei jeder Straßenkreuzung das städtische Leitungsnetz schneidet, müssen die Gas- und Wasserleitungsröhren, die Kabel und Entwässerungskanäle teils über den Tunnel hinweggeführt, teils in die Tunneldecke eingebettet oder seitlich verlegt werden. Eine Unterführung unter dem Tunnel ist nur für die Notauslässe der Kanalisation und für kleinere Gewässer (Panke und Schönhauser Graben) in Aussicht genommen. Sohle und Decke des Tunnels sollen aus Beton, die Wände teils aus Beton, wo der Außenraum beschränkt ist, aus Beton mit Eiseneinlagen oder aus senkrecht eingetriebenen eisernen Trägern mit zwischenliegenden Kappen aus Beton gebildet werden. Die Betonkappen der Decke ruhen auf eisernen Trägern, die in Entfernungen von etwa 1,50 m angeordnet sind. Als Schutz des Bauwerks gegen das Eindringen des Grund- und Niederschlagwassers wird der Tunnel außerhalb ringsum mit einer in sich geschlossenen, wasserdichten Schicht aus Asphaltfilz mit Bleieinlagen umhüllt. Zwischen beiden Gleisen liegt innerhalb der Bettung die mit einer durchlöcherten Schutzkappe abgedeckte Entwässerungsrinne, die das in den Tunnel etwa eindringende Sickerwasser tiefer gelegenen Stellen (sog. Pumpsümpfen) zuführt, wo die Entleerung durch seitlich aufgestellte, selbsttätige Pumpen bewerkstelligt wird.

Im Tunnelraum der freien Strecke, dessen Breite 6,90 m misst, werden Mittelstützen nicht errichtet, dagegen müssen die eisernen Deckenträger der Haltestellen wegen der großen Breite durch Säulen unterstützt werden. Zwischen Schienenoberkante und Unterkante der Deckenträger beträgt die Höhe 3,50 m. Die Breite des Tunnels ist so bemessen, dass zwischen den Tunnelwänden und der Wagenflucht ein Zwischenraum von je 0,60 m, zwischen den Wagen, deren Breite 2,60 m beträgt, von 0,50 m bestehen bleibt. Obgleich während des Vorbeifahrens der Züge die Streckenwärter im Raum von 0,60 m Breite keiner Gefahr ausgesetzt sein dürften, besteht die Absicht, in bestimmten Entfernungen noch Schutznischen in die Seitenwände einzubauen. Die Stromzuleitung und die Stromabnahmevorrichtung werden an der Decke des Tunnels angebracht.

Für die Untergrundbahn, deren Betriebslänge im Zug der Lindenstraße, Markgrafenstraße usw. 8034 m beträgt, sind 14 Haltestellen vorgesehen. An jeder Haltestelle sind zwei gegenüberliegende Bahnsteige angeordnet, die mit dem Fußboden der Wagen gleich hoch liegen und durch Treppen mit der Straßenfläche in Verbindung stehen. Die Einrichtungen für den Fahrkartenverkauf und für die Bahnsteigsperre liegen im Tunnel am Eingang der Haltestellen. Jeder Zug der Untergrundbahn wird aus zwei bis vier Wagen, bei starkem Verkehr aus sechs Wagen gebildet, die auf zweiachsigen Drehgestellen ruhen. Alle Wagen eines jeden Zuges werden nach dem Abteilsystem mit einem Längsgang in der Mitte erbaut und nach Art der D-Züge durch Lederbalgen gangartig miteinander verbunden. Die Längswände eines jeden Wagenabteils erhalten Schiebetüren, die untereinander selbsttätig gekuppelt sind, vom Führerstand aus und auch von jedem Reisenden geöffnet und geschlossen werden können, wodurch die Leerung und Füllung der Züge bedeutend schneller als auf der Siemensschen Hoch- und Untergrundbahn bewerkstelligt werden dürfte. Jeder Wagen wird 52 Sitz- und 48 Stehplätze, zusammen 100 Plätze enthalten. Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit einschließlich des auf etwa 15 Sekunden angesetzten Aufenthaltes auf den Stationen soll 26,7 km,/h die größte Zuggeschwindigkeit 40 km/h betragen. Im Übrigen ist die Leistungsfähigkeit der Motoren so bemessen, dass die Zuggeschwindigkeit bis auf 50 km/h erhöht werden kann. Als Zugfolge sind fünf bis drei Minuten angesetzt. Die Fahrt vom Kreuzberg im Süden bis zur Seestraße im Norden der Reichshauptstadt wird in Zukunft bei einer mittleren Reisegeschwindigkeit von 26,7 km/h auf der Untergrundbahn nur etwa 18 Minuten in Anspruch nehmen. Für den Betrieb sind zwei Wagenklassen in Aussicht genommen und die Fahrpreise vorläufig so angesetzt, dass für 10 Pf. in der III. Klasse und für 15 Pf. in der II. Klasse eine Strecke von fünf Stationen zurückgelegt werden kann; darüber hinaus soll die Fahrt 20 Pf. bzw. 30 Pf. betragen.

Die Baukosten für die betriebsfähige Herstellung und Ausrüstung der Süd-Nordbahn im Zuge der Linden-, Markgrafenstraße usw. sind auf 51 Mill. Mark oder rund 6 Mill. Mark für 1 km Baulänge veranschlagt, als Bauzeit vier Jahre in Aussicht genommen. Im Zug der Friedrichstraße wird die Untergrundbahn geradlinig geführt und etwas verkürzt werden können, voraussichtlich aber größere Bauschwierigkeiten und auch größere Baukosten verursachen.

• Auf epilog.de am 6. August 2023 veröffentlicht

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