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Fernverkehr der Eisenbahn bietet mehr attraktive Verbindungen

Bahnknoten Berlin vorangekommen

Berliner Wirtschaft • November 1998

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Im Jahr 1998 wurden in den Fernzügen von und nach Berlin 13,1 Millionen Fahrgäste gezählt. Ein Anstieg des Aufkommens ist programmiert, da sich das Fernverkehrsangebot der Bahn in diesem Jahr mit der Wiedereröffnung der Stadtbahn und der Inbetriebnahme der Hochgeschwindigkeitsstrecke Berlin-Hannover deutlich verbessert hat. Einen vergleichbar großen Schritt nach vorne wird es erst wieder 2003 geben, wenn das ›Pilzkonzept‹ realisiert wird. Kurze Fahrzeiten mit komfortablen Zügen tragen heute bereits wesentlich zur schnelleren Erreichbarkeit dieser Stadt bei und werten Berlin als Wirtschaftsstandort auf. Auf vielen Strecken in mittlerer Entfernung haben die ICE-Züge das Auto ein- und überholt, nach Hannover sogar das Flugzeug.

Die Bilanz der letzten Jahre ist positiv. Die Fortschritte im Fernverkehr der Eisenbahn sind im Vergleich mit der Zeit vor der Wiedervereinigung zum Teil beträchtlich. Zwar stand damals der Schienenverkehr im Mittelpunkt der Verkehrspolitik der DDR, doch war es nicht möglich, der Bahn ausreichend Mittel für Investitionen in das Netz und das rollende Material zu Verfügung zu stellen. Für Bahnreisende aus dem West- wie Ostteil der Stadt bedeutete dies überlange Fahrzeiten und veraltete und unkomfortable Wagen.

Um den Rückstand zu überwinden, hat der Bund in den vergangenen acht Jahren rund 74 Mrd. DM für den Schienenbereich der östlichen Bundesländer aufgebracht. Bis Ende dieses Jahres werden im Osten etwa 5400 km Schienenwege um, aus oder neu gebaut und im Knoten Berlin über 4 Mrd. DM von den geplanten 10 Mrd. DM investiert sein. Priorität bei den Ausbaumaßnahmen haben die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (VDE), die zwischen Ost und West wieder leistungsfähige Verbindungen schaffen sollen. Berlin profitiert von diesen Vorhaben in besonderem Maße.

Mit den Ausbaumaßnahmen konnte das Niveau des Eisenbahnverkehrs von und nach Berlin in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt verbessert werden. Hier die besonderen ›Ausbau-Highlights‹:

  • Mai 1992: Inbetriebnahme der für 160 km/h ausgebauten Strecke Berlin–Dresden.
  • Mai 1993: durchgehend elektrifizierter Verkehr von Hannover bis Bahnhof Zoo über Magdeburg und Güterglück/Wiesenburg mit 160 km/h Höchstgeschwindigkeit. Dies machte die Aufnahme des ICE-Verkehrs auf der Linie Berlin–Frankfurt/Main–Stuttgart–München möglich.
  • Dezember 1995: Inbetriebnahme der elektrifizierten Strecke Berlin–Hannover über Magdeburg (VDE-Projekt Nr. 4) mit 160 km/h Höchstgeschwindigkeit.
  • Mai 1997: Inbetriebnahme der elektrifizierten Strecke Berlin–Hamburg mit Höchstgeschwindigkeit 160 km/h (VDE-Projekt Nr. 2).
  • Mai 1998: Wiedereröffnung der elektrifizierten und durchgehend zweigleisig ausgebauten Stadtbahn für den Fern- und Regionalverkehr.
  • September 1998: Inbetriebnahme der Hochgeschwindigkeitsstrecke Berlin–Hannover (Geschwindigkeit 200/250 km/h). VDE-Projekt Nr. 4. In vielen Fällen verkürzt sich die Reisezeit erneut um eine Stunde.

Die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke Berlin–Wolfsburg–Hannover nimmt eine Schlüsselfunktion für den Berlin-Verkehr ein, da sie an die Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover–Würzburg anschließt und damit spürbare Fahrzeitverkürzungen zu den meisten Ballungszentren nicht nur im Westen, sondern auch im Südwesten ermöglicht. Die Reisezeit von Berlin nach Hannover ist von 4 Stunden im Jahr 1989 auf weniger als die Hälfte der Zeit, nämlich 1 Stunde und 47 Minuten gesunken. Die Linienflüge Berlin–Hannover, zur Zeit der Teilung eine der wichtigsten Verbindungen der Stadt, sind inzwischen eingestellt worden. Dennoch liegt die Fahrzeit nach Hannover erst zehn Minuten unter der des legendären Dieselzuges ›Fliegender Kölner‹, der in der Vorkriegszeit mit 160 km/h Maßstäbe setzte. Offensichtlich ist noch einige ›Luft‹ im Fahrplan vorhanden, die angesichts der Bedeutung der Strecke unbedingt zu weiteren Reisezeitverkürzungen genutzt werden sollte. Langfristig könnte auf der Strecke, die die kurvenärmste deutsche Eisenbahnstrecke ist, sicherlich auch 300 km/h gefahren werden.

Für Geschäftsreisende sind die Sprinter interessant

Hauptnutzer der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke sind die beiden Berliner ICE-Linien. Die ICE-Linie 6 Berlin–Frankfurt/Main–Stuttgart–München verkehrt mit 16 Zugpaaren im Stundentakt, davon sind drei Zugpaare auf der Strecke über Potsdam Stadt und Magdeburg verblieben. Für Geschäftsreisende besonders interessant sind die ICE-Sprinter, die zwischen Berlin und Frankfurt/Main nonstop in nur 3 Stunden und 49 Minuten verkehren. Die Hochgeschwindigkeitsstrecke verkürzt auch die Fahrzeit nach München. Mit Umsteigen in Fulda erreicht man die bayerische Landeshauptstadt in nur noch 6 Stunden und 4 Minuten. Der ›Transitzug‹ benötigte 1989 noch fast 9¾ Stunden. Die ICE-Linie 10 verkehrt im Stundentakt über Hannover nach Hamm; dort werden die Züge in Flügel nach Düsseldorf und Köln/Bonn getrennt. Außerdem wird die Hochgeschwindigkeitsstrecke auch von der Interregiolinie nach Amsterdam mit vier täglichen Zugpaaren genutzt.

Das gegenwärtige Angebot der Bahn im Fernverkehr wird abgerundet durch stündliche IC-Verbindungen nach Hamburg und München (über Leipzig) sowie alle zwei Stunden verkehrende EC-Züge nach Dresden und Prag. Nach Posen fahren täglich vier und nach Warschau drei EC-Züge. Rostock, Stralsund, Chemnitz und Görlitz sind mit Interregiolinien angebunden. Hervorzuheben sind auch die drei komfortablen Nachtzugverbindungen nach Köln–Bonn–Frankfurt/Main, München und Zürich.

Künftig in 59 Minuten in Leipzig und Dresden

Als nächster großer Schritt ist für das Jahr 2003 die Realisierung des Pilzkonzeptes für den Knoten Berlin vorgesehen – wegen der Probleme beim Tunnelbau mit einem Jahr Verspätung. Der Lehrter Bahnhof [seit 2002: Hauptbahnhof] wird dann zum zentralen Umsteigepunkt der Stadt. Dort kreuzen sich die Stadtbahn und die noch im Bau befindliche Nord-Süd-Strecke mit dem Tiergartentunnel. Dieser Tunnel ist die Voraussetzung dafür, dass der Nord-Süd-Verkehr direkt in die Stadtmitte geführt werden kann. Umwegfahrten über den Berliner Ring und die Stadtbahn entfallen dann. Allein dies wird zu Fahrzeitverkürzungen auf vielen Routen führen. Nach Leipzig dauert die Fahrt dann nur noch 59 Minuten (gegenwärtig sind es noch wenige Minuten über 2 Stunden). Diese Strecke ist Teilstück der im Bau befindlichen Hochgeschwindigkeitsverbindung nach Nürnberg (–München) über Erfurt. Ihre Fertigstellung ist für 2006 vorgesehen. Die Reisezeit nach München soll dann nur noch etwas über dreieinhalb Stunden liegen. Die neue Bundesregierung hat als Alternative zur Route durch Thüringen wieder die Führung über Leipzig–Hof ins Gespräch gebracht. Diese Strecke ist Teil der ›Sachsenmagistrale‹, auf der nach gegenwärtiger Planung ab 2006 Neigetechnikzüge mit 200 km/h fahren sollen. Schon im nächsten Jahr geht das VDE-Projekt Nr. 3, die durch die deutsche Teilung unterbrochene Strecke Stendal–Uelzen, über Salzwedel elektrifiziert und eingleisig wieder in Betrieb. Dies ist die ›Amerikalinie‹ der Vorkriegszeit, die direkte Verbindung zwischen Berlin und den Nordseehäfen.

Weiter ausgebaut werden soll auch die Strecke Berlin-Dresden. Bei einer Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h wird die Reisezeit von 2008 an nur noch 59 Minuten betragen (gegenwärtig knapp 2 Stunden). Dank neuer Neigetechnikzüge kann auf der Strecke Dresden-Prag auch Tempo 160 km/h erreicht werden. Die gleiche Höchstgeschwindigkeit ist auch für die Strecke Berlin–Frankfurt/Oder vorgesehen, die im Jahr 2000 fertig wird. Auf polnischer Seite will man künftig auf 80 % der Strecke nach Posen–Warschau mit 160 km/h fahren. Die Fahrzeit nach Warschau wird sich dann auf 4¾ Std. verkürzen.

Noch immer keine Ausbaupläne gibt es für die Strecken nach Stettin/Stralsund/Rostock, auf denen unverändert mit 120 km/h Höchstgeschwindigkeit gefahren wird. Die Bahn muss hier dringend etwas für die Beschleunigung der Züge tun, wenn sie im Geschäftsreiseverkehr und im Anschlussverkehr von und zu den Fähren in Rostock und Mukran und im Touristikverkehr wettbewerbsfähig bleiben will. Nicht von ungefähr sind bei der im Sommer geführten Diskussion um die Streichung schlecht ausgelasteter Züge eine Reihe von IR-Zügen bei diesen Strecken genannt worden. Interregiozüge benötigen ein eigenes Profil, d. h. sie müssen vor allem schneller sein als die parallelen Regionalexpresszüge. Die Reisezeit nach Rostock sollte unter 2 Stunden liegen.

Der europäische Knoten

In diesem Jahr hat Berlin unmittelbar Anschluss an den Hochgeschwindigkeitsverkehr der Bahn erhalten. Die Wiederinbetriebnahme der Stadtbahn ermöglichte seit Jahrzehnten erstmals wieder ein für die ganze Stadt einheitliches Fernverkehrsangebot. Die Reiseverbindungen auf der Schiene sind so in einer ganzen Reihe von Verbindungen, die gerade für die Wirtschaft der Stadt wichtig sind, in Fahrzeit, Komfort und Zahl der angebotenen Frequenzen gut bis erstklassig geworden. In den nächsten Jahren können die Kunden mit weiteren Verbesserungen des nationalen und internationalen Angebots rechnen. Der Plan von Berlin als Knoten des europäischen Schnellverkehrs dürfte in nicht allzu ferner Zukunft Realität werden.

• Hans-Michael Drutschmann

• Auf epilog.de am 13. November 1998 veröffentlicht

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