Forschung & TechnikWissenschaft

Die neue Sternwarte in Leipzig

Illustrirte Zeitung • 7.9.1861

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts der Wiener Astronom Hell durch Leipzig kam und gefragt wurde, welchen Ort er für eine Sternwarte am geeignetsten fände, bezeichnete er den Turm des Schlosses Pleißen­burg als das passendste Lokal. Die Sternwarten des vorigen Jahrhunderts waren alle auf dem oberen Teile irgendeines Turms errichtet, weil man dadurch glaubte, den Erfordernissen der freieren Aussicht, der reineren und durchsichtigeren Luft zu entsprechen und im Jahr 1790 wurde auch die Leipziger Sternwarte, so gut es sich auf dem Turm der Pleißen­burg machen ließ, hergestellt.

Jetzt baut man die Sternwarten anders, man ist herabgestiegen von der hohen Turmspitze in die Ebene und sucht sich für die Sternwarten Plätze aus, die möglichst geschützt sind und besonders einen festen Boden haben. Unsere jetzigen astronomischen Instrumente verlangen eine unbedingt feste Aufstellung, die auf hohen Gebäuden nicht zu erreichen ist, und die atmosphärischen Zustände haben gezeigt, dass in der Nähe des Horizontes fast nie gute Beobachtungen gemacht werden können und es daher für den Astronomen gar nicht nötig ist, einen ganz freien Horizont zu haben.

Die erste Sternwarte in Deutschland, welche nicht auf einem Turme erbaut, war die von 1787 – 1791 auf dem Seeberg bei Gotha errichtete; sie zeigte aber, dass eine Sternwarte auf einer Berghöhe noch zu sehr der Ungunst des Wetters ausgesetzt sei und an ihrer Stelle ist bereits 1857 eine  neue, in Gotha selbst, erstanden.

Die Sternwarten des vorigen Jahrhunderts sind in Deutschland verschwunden und durch neue ersetzt und alle neuerbauten sind auf ebenen geschützten Plätzen errichtet und ihre Gebäude nicht sehr hoch. Und wie viel mehr die Sternwarten des 19. Jahrhunderts schon geleistet haben als die des 18. Jahrhunderts, weiß jeder, der auch nur ein wenig die Geschichte der praktischen Astronomie kennt.

Auch in Leipzig war es längst bekannt, dass die Sternwarte auf der Pleißen­burg nicht mehr mit den Sternwarten an anderen Universitäten auf einer Stufe stände und nachdem Professor d'Arrest dem kgl. sächsischen Kultusministerium die nötigen Vorlagen gemacht hatte, brachte der Staatsminister Dr. v. Falkenstein die Angelegenheit in der vorigen Session vor die Kammern, welche auch aufs Bereitwilligste die nötigen Mittel bewilligten. Professor d'Arrest folgte bekanntlich schon 1857 einem Rufe nach Kopenhagen, um dort eine neue Sternwarte erbaut zu erhalten, und als im Frühjahr 1860 Professor Bruhns aus Berlin an die Universität Leipzig kam, wurde ihm die neu zu erbauende Sternwarte übertragen. Die nach seinen Angaben zuletzt vom Universitätsbaudirektor Professor Geutebrück gezeichneten Pläne erhielten sofort die Genehmigung, und nachdem die Behörden der Stadt Leipzig dadurch ihre Mitwirkung zu erkennen gaben, dass sie den schon früher bestimmten schönen Platz im Johannis­tal für einen äußerst geringen Preis der Universität überließen, wurde der Bau Ende August 1860 in Angriff genommen und ist in Jahresfrist fast zur Vollendung gediehen.

Unsere Zeichnung zeigt die nördliche Front der neuen Sternwarte, zur Linken sind die ausschließlich zum Beobachten bestimmten Räume, zur Rechten ist das Wohnhaus des Professors. Die Sternwarte, welche genau nach den Weltgegenden orientiert ist, hat drei Beobachtungsräume, ein Meridian­zimmer, ein südliches Beobachtungszimmer, eine Drehkuppel und außerdem noch einen Korridor und eine Plattform.

Das Meridian­zimmer, in das man zuerst von der Wohnung kommend eintritt, hat einen Durchschnitt von Nord nach Süd, der durch Klappen, mit äußerst einfachen Maschinen zum Öffnen versehen, am Tag und in der Nacht, wenn nicht beobachtet wird, verschlossen ist. In der Mitte stehen zwei Pfeiler, zwischen welchen ein Passagen­instrument aus der Münchener Werkstatt von Utzschneider und Liebherr, ein Geschenk des Dr. Schmidel auf Zehmen an die neue Sternwarte, aufgestellt ist. Außer anderen Instrumenten bemerkt man noch in diesem Zimmer einen elektromagnetischen Registrierapparat, welcher eine ähnliche Einrichtung wie die Morse-Schreibtelegrafen hat und dazu bestimmt ist, die schnell hinterein­ander­folgenden Durchgänge der Sterne durch die Fäden des Passagen­instrumentes zu markieren.

Im südlichen Beobachtungszimmer ist ein Durchschnitt von Ost nach West mit ähnlicher Maschinerie der Klappen wie im Meridian­zimmer. Zwischen zwei Pfeilern steht ein Passagen­instrument; auf einem anderen Pfeiler, von dem man durch Öffnung großer Fenster und Klappen einen großen Teil des Himmels übersehen kann, hat ein Refraktor aus der Werkstatt von Fraunhofer und Utzschneider, den schon Professor Möbius für die alte Sternwarte angeschafft hatte, seinen Platz gefunden.

Die Drehkuppel hat einen Durchmesser von 6,2 m, sie bewegt sich äußerst leicht auf sechs Kugeln und ist in Deutschland die größte Kuppel, welche auf Kugeln bewegt wird. Klappen öffnen sich durch Hebelstangen und die dadurch entstehenden Öffnungen erlauben vermöge der Drehbarkeit der Kuppel ein Beobachten in allen Gegenden des Himmels. Für die Drehkuppel ist ein Instrument bestimmt, welches in der Astronomie unter dem Namen Äquatorial bekannt ist; das Fernrohr wird eine Brennweite von 3,4 m, das Objektiv 184 mm Öffnung haben. Letzteres ist aus der bekannten optischen Werkstatt von Steinheil in München, die mechanischen Arbeiten verfertigt die Werkstatt von Pistor und Martins in Berlin. Das Instrument wird wahrscheinlich noch diesen Herbst fertig werden.

Die einzelnen Beobachtungsräume verbindet ein breiter Korridor, in dem die Bibliothek, meistens aus Büchern astronomischen Inhalts bestehend, aufgestellt ist. Ferner dient der Raum zur Aufbewahrung früher gebrauchter, jetzt veralteter Instrumente.

Über dem Korridor und die Kuppel ganz umgebend ist eine große Plattform, auf der man den ganzen Himmel übersehen und Beobachtungen mit kleineren, transportablen Instrumenten anstellen kann.

Durch die neue Sternwarte hat die Leipziger Universität wieder ein neues Institut erhalten, welches den Fortschritten der Wissenschaft entspricht, und wir freuen uns, dass durch die Universitätsbehörden, besonders durch die große Bereitwilligkeit des hohen Kultusministeriums das Unternehmen so schnell gefördert worden ist.

• Auf epilog.de am 28. Dezember 2025 veröffentlicht

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