Forschung & Technik – Wissenschaft
Wissenschaftliches Spielzeug
Plauderei von Hans Dominik
Die Woche • 5.12.1908
Jahrhunderte hindurch spielen unsere Kinder mit allerlei netten Dingen. Sie lassen Drachen steigen, sie fabrizieren Seifenblasen, sie treiben den Kreisel, schneiden sich Weidenpfeifen oder machen sonst etwas Derartiges. Aber Jahrhunderte hindurch bleibt auch das Spielzeug unverändert. Jede Generation übernimmt es in der alten Form und gibt es in der alten Form an die folgende Generation weiter. Plötzlich jedoch ändert sich das Bild gewaltig. Die Männer der Wissenschaft beginnen sich aus irgendwelchen Gründen für das harmlose Spielzeug zu interessieren, entdecken irgendwelche Eigenschaften daran, die ihnen bei ihren Arbeiten und Bestrebungen nützlich sein können, und nun verändert die Sache in kürzester Zeit ganz gründlich ihr Aussehen.
Nehmen wir das uralte chinesische Spielzeug, den Drachen. Er erregte bereits verhältnismäßig früh das Interesse der Wissenschaftler. Kein Geringerer als Benjamin Franklin war es, der sich zuerst mit ihm beschäftigte. Der war ja auf die Vermutung gekommen, dass die Erscheinungen des Gewitters mit den neu entdeckten Phänomenen der Reibungselektrizität gleichartig wären. Um das aber zu beweisen, musste er irgendwie an die Gewitterwolken herankommen, und dazu schien ihm der Drachen gerade das Richtige. Nun kam eine Zeit, wo der große Physiker jedem Schuljungen zum Trotz Drachen klebte und in wenigen Wochen mehr Erfahrungen sammelte, als die vorangegangenen Jahrhunderte gehäuft hatten. Unter Verwendung eines leichten Stahlrahmens für die Drachenfläche und leichtesten Seidenstoffes für die Bespannung schuf er Drachen, die weit höher gingen als das bisherige Kinderspielzeug, die eine Drachenschnur sogar einschließlich einer metallischen Einlage bis in die Gewitterwolken hoben. Man weiß, wie dieser verbesserte Drachen eine ausgiebige Erforschung der elektrischen Natur des Gewitters ermöglichte. Doch damit war die Entwicklung des Drachens bei weitem nicht abgeschlossen. Es war ja immer noch der alte Einflächer, der eine starke Tendenz hatte, bei plötzlichen Windstößen Kobolz zu schießen und unter Umständen bis zum Erdboden herunterzusausen.
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