Forschung & Technik – Wissenschaft
Siegfried Hartmann
Perpetuum mobile
Kraft aus dem Nichts
Naturwissenschaftlich-Technische Plaudereien • 1908
»Ich habe eine großartige Erfindung gemacht!« Mit diesen Worten stürzte mein Freund Alfred zu mir ins Zimmer.
»Eine Erfindung, du? Lass hören.«
»Ja, ich habe eine Maschine erfunden, mit der presst man Luft zusammen …«
»Das gibt es längst, das ist nichts Neues.«
»Warte nur ab. Beim Zusammenpressen wird doch die Luft heiß, das hast du mir doch selbst erzählt.«
»Allerdings, was weiter?«
»Ich presse die Luft also sehr stark zusammen, so dass sie weit über 100° heiß wird, und leite diese heiße Luft in Röhren in einen Wasserkessel, bringe mit Hilfe der heißen Luft das Wasser zum Kochen, es entwickelt sich Dampf, und diesen benutze ich, um eine Dampfmaschine zu treiben, die mir dann eine Luftpressmaschine in Bewegung erhält. Was noch übrigbleibt …«
»Damit erzeugst du gratis elektrischen Strom für die erste in Deutschland zu bauende Schnellbahn, nicht? Außerdem kannst du vielleicht nebenbei Berlin auf diese Weise heizen und beleuchten …«
»Spotte nur, du glaubst, ihr Ingenieure habt allein das Recht, zu erfinden, aber dein Spott lässt mich kalt, die größten Erfindungen …«
»Weiß schon, weiß schon, das hast du mir schon oft erzählt, und ich habe es auch noch nie bestritten, viele der größten Erfindungen sind von Laien gemacht worden, das heißt aber bei weitem nicht, dass jeder Laie das Zeug zum Erfinden in sich trage. Zweifellos schlummern noch gewaltige Erfindungen in der Zeiten Schoß, und wer sie machen wird, steht noch dahin, aber was du da erzählst, ist einmal nichts Neues, und dann widerspricht es den Grundsätzen der Naturwissenschaft.«
»Wie ein Jurist! Passt dir etwas nicht, gleich sprichst du von Gesetzen, die es verbieten.«
»Ich spreche nicht von menschlichen Satzungen, sondern von den Gesetzen des Werdens und Vergehens, die fleißige und hochbegabte Geister in jahrhundertelangen Beobachtungen der Natur abgelauscht haben. Du wirst doch wohl nicht leugnen wollen, dass es in der Natur ewige Gesetze gibt, Regeln ohne Ausnahmen, nach denen sich das ganze Werden und Vergehen vollzieht?«
»Das leugne ich nicht, aber was hat das mit meiner Erfindung zu tun?«
»Sehr viel. Du behauptest, eine Maschine erfunden zu haben, die, einmal in Bewegung gesetzt, sich dauernd in Bewegung erhält; ja noch mehr, die außerdem für andere Zwecke Kraft abgeben kann, das Perpetuum mobile des Mittelalters in verbesserter Form. Das heißt mit anderen Worten: eine Maschine, die aus dem Nichts Kraft erzeugt. Das aber eben ist unmöglich. Die Arbeit, die deine Maschine leistet, kann unmöglich größer sein, als die Arbeit, die du aufwendest, um sie zu bewegen. Vor einigen Jahren hatte ein Franzose verkündet: Er habe das Perpetuum mobile erfunden, er habe eine Maschine, die nun schon Jahr und Tag laufe ohne sein Zutun. Als man näher nachforschte, stellte sich zunächst heraus, dass es sich um ein kleines Rädchen handelte, sehr leicht und sehr gut gelagert, das sich dauernd drehte, ohne dabei irgend etwas anzutreiben, ein Ding also, zu dessen Bewegung minimale Kräfte genügten. Diese minimalen Kräfte aber lieferte die Quecksilbersäule eines Thermometers. Bekanntlich bleibt die Temperatur nie dauernd gleich, sie steigt und fällt im Wechsel der Stunden. Da hatte nun der geschickte Mechaniker eine Vorrichtung angebracht, die es gestattete, die durch die Temperaturschwankungen der Luft verursachte Auf- und Niederbewegung der Quecksilbersäule zur Bewegung des Rädchens zu benutzen. Aber wer das Maschinchen für die Lösung des Problems hielt (wenn man eine klar erkannte Unmöglichkeit als Problem bezeichnen darf), der beging bloß einen Beobachtungsfehler. Unsere liebe Sonne war die Quelle der Kraft, die Wärme, die sie der Erde zustrahlte, war die Ursache der Bewegung. Wäre es ein Perpetuum mobile gewesen, so musste es sich überall dauernd bewegen. Aber als ein französischer Naturforscher den Mechaniker eines Tages besuchte, wollte er ihm deutlich vor Augen führen, dass er sich irre; er deckte also über die ganze Maschine eine große Glocke, über diese Glocke eine zweite, zwischen den beiden Glocken ließ er dauernd Wasser von gleicher Temperatur laufen, und siehe da, bald stand das Perpetuum mobile still, ohne dass es ein Mensch angerührt hatte. Die doppelwandige, vom Wasser durchflossene Glasglocke hatte zur Folge, dass das Thermometer des Apparates auf einem Punkt stehenblieb, und somit der Bewegungsimpuls wegfiel; trotzdem verdient natürlich das Maschinchen Beachtung. Es ist ein kleiner Beitrag zur Lösung des Problems: Wie verwandeln wir die uns von der Sonne zugestrahlte Wärme in mechanische Kraft, eine uns in dieser Fülle nutzlose Energieform in eine nützliche? Das ist eine Aufgabe, wohl wert des Schweißes der Edlen, denn die hier zu verwertende Energie ist nicht gering. Drücken wir die Wärmeenergie in mechanischen Energiemengen aus, so sind es beiläufig 300 Billionen Pferdestärken, die uns ununterbrochen gratis geliefert werden, die direkt verwerten zu können, wir jedoch noch viel zu dumm sind!«
»300 Billionen Pferdestärken, Donnerwetter! Wo geht denn die ganze Kraft hin?«
»Die findet schon ihr Unterkommen. Teils wärmt sie die Luft, bewirkt dadurch Bewegung der Luft, Winde, Stürme, dann ermöglicht sie den Pflanzenwuchs, schafft also Holz, aus dem wir uns beim Verbrennen die von der Sonne hineingesteckte Wärme wieder herausholen, erwärmt die Meere dort, wo sie sie bestrahlt, und ruft auch hier wieder Strömungen hervor, verdunstet Wasser, das emporsteigt und, als Regen niederfallend, uns in Bächen, Strömen und Flüssen abermals indirekte Sonnenkraft zur Verfügung stellt. Aber das alles sind Umwege, zum Teil Riesenumwege, und da jeder Umweg in dieser Welt der Erscheinungen mit Verlusten verknüpft ist, das heißt, da bei jeder Umwandlung und Fortleitung von Energie sich ein Teil der Energie unserem Willen erfolgreich entzieht …«
»Also verschwindet …«
»Nein, er verwandelt sich nur teilweise, in eine nichtgewollte Form, meist in Wärme. Auch hier gilt ein Naturgesetz, das da heißt: Bei jeder Umwandlung von einer Energie in eine andere stehen die Mengen beider in einem sich stets gleichbleibenden Verhältnis. Die fünf Energieformen, die wir kennen: mechanische Energie, Wärmeenergie, Lichtenergie, elektrische und magnetische Energie, stehen in ganz bestimmten Beziehungen zueinander. Eine gewisse Menge Elektrizität entspricht z. B. stets und unter allen Umständen einer bestimmten Menge Wärme. Und das gilt überall. Wäre es möglich, und diese gedachte Möglichkeit nennt man Theorie, eine Energieform restlos in eine andere zu verwandeln, so würde jeder vollständige Kreislauf am Ende zu demselben Resultat führen. Das heißt, wenn ich Wärme in der Dampfmaschine in mechanische Energie verwandle, diese in elektrische und die elektrische wieder in Wärme, so wäre in dem theoretischen Fall die schließlich gewonnene Wärme genau der ursprünglich aufgewendeten gleich. In Wirklichkeit ist das nie der Fall, denn, wie ich schon sagte, entzieht sich bei den verschiedenen Umwandlungen ein Teil der Energie unserm Willen; die unter dem Dampfkessel erzeugte Wärme erwärmt nicht bloß, wie wir es wohl wünschen, das Wasser, sondern auch ganz zwecklos die Luft im Kesselhaus, der Dampf beschränkt sich nicht, wie man gern möchte, auf das Hin- und Herschieben des Kolbens, sondern er erwärmt auch die Eisenteile der Dampfmaschine usw. Zum Teil sind diese ›Verluste‹ sehr schwer nachzuweisen, die Vorgänge, auf denen sie beruhen, sehr komplizierter Natur, aber noch immer ist es gelungen, die Schleichwege zu entdecken, auf denen sich ein Teil der Energie gegen unseren Willen wieder in den freien Raum entfernt und sich der zu leistenden Arbeit entzieht. Hier setzt dann unsere Forschung ein, wir suchen diese Auswege zu verstopfen, mit anderen Worten, wir suchen die Ökonomie und den Wirkungsgrad unserer Maschinen zu heben. Da gibt es sicherlich noch viel zu tun. Aber der Weg, Kräfte aus dem Nichts zu schaffen, der ist uns Menschenkindern verschlossen. Und wenn es auch in der menschlichen Natur liegt, ab und zu sich aufzubäumen gegen dieses Gesetz der Natur, das wir das Gesetz von der Erhaltung der Energie zu nennen pflegen, es bleibt beim Aufbäumen; der Einzelne, der dabei zu Fall kommt, mag manchem als ein Held erscheinen, im Auge der Wissenden ist er nur eine tragisch-komische Figur. Nein, lieber Freund, um auf deine Erfindung zurückzukommen, lass lieber die Hände von solch nutzlosen Dingen. Es gibt noch unendlich viel Arbeit, die Aussicht auf Erfolg darbietet. Erfinde die ›Sonnenkraftmaschine‹ oder auch nur die unmittelbare Erzeugung von Elektrizität aus Kohle. Du würdest dann zweifellos zu einem der berühmtesten Männer der Weltgeschichte, aber lass das Perpetuum mobile ruhen.«