VerkehrFernmeldewesen

Drahtloses Fernsprechen

Von Hans Dominik

Die Woche • 13.9.1919

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Im Elektrizitätswerk Oberschöneweide hängt ein eigenartiges Telefon. Man nimmt den Apparat vom Haken, und mit einer den heutigen Zeiten ganz ungewohnten Fixigkeit meldet sich das Elektrizitätswerk Rummelsburg, mit welchem man nun wie üblich sprechen kann. Dabei fällt angenehm auf, dass die störenden Nebengeräusche fehlen und die sonst so beliebte vorzeitige Unterbrechung des Gesprächs nicht stattfindet. Nun drehen wir selbst aber einen Schalter auf eine andere Stellung, und im gleichen Moment ist die Verbindung mit Rummelsburg unterbrochen, während sich das Elektrizitätswerk Moabit meldet. Wiederum eine andere Schalter­drehung unterbricht auch diese Verbindung, und dafür tritt jetzt das große Kraftwerk bei Bitterfeld in die Erscheinung, und wir sprechen über etwa 200 km mit diesem ebenso sicher und störungsfrei wie bisher mit den nahe gelegenen Berliner Kraftwerken.

Was wir hier kennenlernten, ist der neue drahtlose Telefonverkehr, der zwischen den Berliner Werken und dem Groß-Kraftwerk Bitterfeld eingerichtet wurde, um diese Stellen von Unzulänglichkeiten des draht­lichen Telefonverkehrs unabhängig zu machen und ihnen die im Interesse eines sicheren Betriebs notwendige schnelle und zuverlässige Verbindung untereinander zu sichern. Während die verschiedenen Alarmnachrichten über die Fortschritte der drahtlosen Telefonie sonst immer nur von Amerika oder aus sonstigen unkontrollierbaren Gegenden zu uns kamen, haben wir jetzt einen guten drahtlosen Telefonverkehr unmittelbar in Berlin und können uns von seinen Leistungen an Ort und Stelle überzeugen. Trotz dieses großen Fortschrittes wäre es aber verfehlt, sofort übertriebene Hoffnungen an die neue Technik zu knüpfen und etwa an einen baldigen drahtlosen Verkehr der rund 200 000 Telefonteilnehmer Groß-Berlins zu denken. So weit sind wir vorläufig noch nicht, und es ist sogar sehr fraglich, ob wir jemals dahin gelangen können. Als wahrscheinlich darf es aber wohl gelten, dass der zwischen­städtische Telefonverkehr beispielsweise zwischen Berlin und Hamburg oder Berlin und Hannover in absehbarer Zeit drahtlos durchgeführt werden dürfte. Um diese Dinge richtig beurteilen zu können, müssen wir uns nun freilich ein wenig mit dem Wesen der neuen Technik vertraut machen.

KurvenzügeOben: Abb. 1. Kurvenzug der gesprochenen Rede.
Mitte: Abb. 2. Kurvenzug der ungedämpften elektrischen Schwingungen.
Unten: Abb. 3. Kurvenzug der gesprochenen Rede, nachgeformt durch die modifizierten elektrischen Schwingungen.

Unsere Sprache besteht bekanntlich aus einzelnen, sehr verschieden gestalteten Wellen oder Schwingungen der Luft. Bei mittlerer Tonhöhe kommen ungefähr achthundert solcher Wellen oder Schwingungen auf die Sekunde. Wir können uns diese Sprachschwingungen zeichnerisch darstellen, indem wir auf einer waagerechten Linie die Zeiten auftragen, beispielsweise etwa so, dass die Strecke von einem Meter einer Sekunde entspricht. Wenn wir dann von dieser Grundlinie aus in Abständen von je einem Zentimeter senkrechte Linien nach oben ziehen, so entsprechen diese Zeitpunkten, die in Abständen von je einer hundertstel Sekunde aufeinanderfolgen. Wenn wir dann weiter auf jeder dieser senkrechten Linien den zur zugehörigen Zeit in einem Sprachrohr herrschenden Luftdruck auftragen und die Endpunkte aller dieser aufgetragenen Strecken untereinander verbinden, so werden wir eine fortlaufende Kurve erhalten, welche uns die Schwingungen der in das Sprachrohr hinein­gesprochenen Rede mit großer Feinheit und Genauigkeit bildlich wiedergibt. Eine solche Kurve zeigt Abb. 1.

Im Gegensatz zu diesen verschiedenartigen Sprachwellen sind die ungedämpften elektrischen Wellen der drahtlosen Telegrafie völlig gleichmäßig gebaut (Abb. 2). Ferner ist ihre Frequenz, d. h. ihre Anzahl pro Sekunde, viel größer als diejenige der Schallwellen. Während, wie gesagt, etwa 800 Schallwellen auf die Sekunde kommen, entstehen in der gleichen Zeit etwa 1 bis 3 Millionen elektrische Wellen. Der ganze Witz bei der drahtlosen Telegrafie kommt nun darauf hinaus, das Bild des akustischen Wellenzuges gewissermaßen dem elektrischen Wellenzuge aufzudrücken, indem man die Höhe oder Amplitude der einzelnen elektrischen Wellen dementsprechend verändert. Diesen Vorgang veranschaulicht Abb. 3. Ungedämpfte elektrische Schwingungen von beispielsweise einer Million pro Sekunde stehen uns nun in der drahtlosen Technik zur Verfügung. Die modernen Röhrensender, in der Hauptsache hoch­evaku­ierte Glasröhren, in denen ein weißglühender Wolframdraht einem Gitterblech gegenübersteht, liefern uns ungedämpfte elektrische Schwingungen dieser Art. Wenn wir diese Schwingungen aber nicht weiter beeinflussen, so ist die Stärke oder ihre Amplitude dauernd gleich, wie Abb. 2 es zeigt. Wir müssen sie erst im Rhythmus der Sprache modulieren.

Station für drahtlose TelefonieAbb. 4. Eine komplette Station für drahtlose Telefonie.

Diese scheinbar so schwierige Aufgabe lässt sich aber technisch in einfachster Weise durch Zusammenschalten des Röhrensenders mit einem gewöhnlichen Mikrofon-Stromkreis unter Zwischensetzung eines Transformators erzielen. Die ganze Apparatur für die drahtlose telefonische Sprechstation besteht daher nur aus einem solchen Röhrensender, der für Gespräche über 30 km kaum die Größe eines mäßigen Schrankkästchens besitzt (Abb. 4), und aus dem üblichen Telefonapparat. Dadurch, dass der Teilnehmer hier in sein Telefon spricht, moduliert er die Stärke der einzelnen elektrischen Wellen des fortlaufenden Wellenzuges, den der Röhrensender dauernd erzeugt, derart, dass etwa tausend von ihnen eine Sprachwelle nachbilden. Die so modulierten Wellen werden in der üblichen Weise zu einem Luftdraht, der sogenannten Antenne, geleitet und strahlen von hier aus nach allen Seiten in den Raum. Am Empfangsort befindet sich wiederum eine Antenne (Abb. 5), die genau auf die Wellenzahl der Geberstation, in unserem Fall also auf eine Million Schwingungen in der Sekunde, abgestimmt ist. Nur auf diese Schwingungszahl spricht sie an, auf alle anderen Schwingungszahlen bleibt sie stumm. Die Schwingungen dieser Antenne, die naturgemäß unendlich schwach sind, werden nun durch Verstärkerröhren, die äußerlich den Sender­röhren gleichen, in ihrer Stärke etwa ver­dreißig­tausend­facht und dann unter Zwischenschaltung eines Gleichrichters einem gewöhnlichen Telefon zugeführt. Und nun ist das Wunder fertig. Die Worte, die viele Meilen entfernt in das Mikrofon gesprochen wurden, kommen hier ohne jede Verzerrung und mit genau gleicher Klangfarbe aus dem Telefon heraus.

Station mit AntenneAbb. 5. Die Station mit Antenne.

Das ist die Technik der drahtlosen Telefonie. Sie setzt zu ihrem Betrieb voraus, dass die Verstärkerröhren der angerufenen Station brennen, d. h., dass die Drähte in diesen Röhren durch einen Batteriestrom auf Weißglut gehalten werden. Schon dieser Umstand würde der allgemeinen Einführung der drahtlosen Telefonie ernsthafte Schwierigkeiten bereiten. Weit bedenklicher ist aber die Notwendigkeit der genauen Abstimmung für zwei miteinander verkehrende Stationen. Verkehren zwei Leute beispielsweise mit einer Frequenz von einer Million Schwingungen pro Sekunde miteinander, so muss man zwei anderen Teilnehmern, die zur gleichen Zeit sprechen, wenigstens 10 % Abweichung, also 900 000 oder 1,1 Millionen Schwingungen, geben, wenn die beiden Gespräche sich nicht gegenseitig stören sollen. Nun ist aber die verfügbare Zahl der Frequenzen technisch beschränkt. Man wird mit höchstens 10 Millionen Schwingungen und mit niedrigstens 100 000 Schwingungen sprechen können, und dieser Bereich langt natürlich nicht annähernd, um etwa jedem der 200 000 Teilnehmer Groß-Berlins eine besondere Frequenz zu geben, die störungsfreies Sprechen verbürgt.

Mit dem allgemeinen drahtlosen Verkehr ist es also in absehbarer Zeit nichts. Wohl aber genügen diese Frequenzen vollkommen, um den zwischen­städtischen Verkehr drahtlos einzurichten, und auf diesem Gebiet dürfte die neue Technik daher zunächst praktische Bedeutung gewinnen. Ohne weiteres leuchtet es ein, dass sie für den Verkehr zwischen Schiffen und Luftschiffen einerseits und festen Stationen gute Dienste leisten werden. Wie weit sie auch die Kabel-Telegrafie, den Verkehr zwischen den verschiedenen Erdteilen, übernehmen wird, kann nur die Zukunft zeigen.

Entnommen aus dem Buch:

Neuerscheinung

Der Ingenieur Hans Dominik (1872 – 1945) ist vor allem durch seine technisch-utopischen Romane bekanntgeworden. Dominik war aber in erster Linie Wissenschaftsjournalist und verfasste zahlreiche populärwissenschaftliche Beiträge für verschiedene Zeitschriften und Tageszeitungen. Dabei brachte er im lockeren Plauderton dem interessierten Laien wissenschaftliche Grundlagen und neue technische Errungenschaften näher. Dieses Buch versammelt eine repräsentative Auswahl seiner wissenschaftlichen und technischen Plaudereien.
  PDF-Leseprobe € 16,90 | 154 Seiten | ISBN: 978-3-695-11029-2

• Auf epilog.de am 20. Dezember 2025 veröffentlicht

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