Verkehr – Fernmeldewesen
Der Funkenturm in Nauen
Von Hans Dominik
Die Woche • 27.6.1914
Abb. 1. Der Funkenturm von Nauen, aus der Ferne aufgenommen.
Vor wenigen Wochen ist er vollendet worden, der Funkenturm von Nauen, von dem die geheimnisvollen und unsichtbaren Botschaften nach allen Richtungen hin ausstrahlen bis tief hinein in das Herz der Vereinigten Staaten von Amerika gen Westen und über die Pyrenäen, das Mittelmeer und die Sahara bis nach Togo in Afrika gen Süden. Der Turm von Nauen ist das zweithöchste Bauwerk Europas. Seine 260 m Höhe überragt der Eiffelturm noch etwa um 60 m. Und doch bedeutet der Nauener Turm die bei weitem größere technische Leistung, denn während die 320 m des Eiffelturms mit einem Aufwand von vielen Tausenden von Tonnen Stahl erreicht wurden, beträgt das ganze Gewicht des Nauener Turms nur 350 Tonnen. Und überdies ruht dies ganze imposante Bauwerk auf Porzellan, ist von der Erde in allen seinen Teilen durch Porzellan vollkommen isoliert.
Abb. 2. Das auf Porzellanisolatoren ruhende Fundament des Turms.
Abb. 1 zeigt den Turm in seiner ganzen imposanten Länge und lässt wohl erkennen, wie zart und filigranartig das stählerne Fachwerk, das ihn bildet, aus der Entfernung wirkt. Auf der Abbildung ist der untere, etwa 160 m hohe Turmteil zu erkennen, der durch zwei Schichten von Spannseilen oder Pardunen in seiner senkrechten Stellung gehalten wird. Auf ihm balanciert, wie ein Streichholz auf dem anderen, der obere etwas schwächere und 100 m lange Turmteil, der ebenfalls durch zwei Lagen von Pardunen abgespannt ist.
Abb. 2 gibt ein Bild des Turmsockels, und deutlich ist hier die Porzellanisolation zu erkennen, die das Gewicht des Turms tragen und ihn gleichzeitig für eine Spannung von vielen tausend Volt von der Erde isolieren muss. Neben den Porzellanisolatoren sind auf dem Bild noch hydraulische Pressen sichtbar, die es gestatten, mit Hilfe des Druckwassers den ganzen Turm etwas anzuheben und nötigenfalls zerdrückte Isolatoren auszuwechseln. Beim ordentlichen Betrieb sind diese Pressen natürlich entfernt. Wie man sieht, ruht also dieser wunderliche Turm entweder auf Porzellan oder auf Druckwasser.
Die Pardunen sehen auf Abb. 3 wie feine Spinnfäden aus. In Wirklichkeit sind es reichlich armstarke Stahldrahtseile, die den Turm mit einem Zug von vielen tausend Kilogramm in seiner senkrechten Stellung festhalten.
Abb. 3. Widerlagen für die Abspannung der Turmpardunen. Will man sich davon überzeugen, so braucht man nur zu den Pardunenabspannungen zu gehen, zu jenen Stellen, wo sie in riesenhaften Betonfundamenten mit Hilfe gewaltiger Ankerschrauben verankert und straff gespannt sind. Abb. 4 zeigt diese Abspannungen und lässt die Größenverhältnisse ohne weiteres erkennen. Naturgemäß müssen auch die Pardunen elektrisch isoliert werden. Das geschieht durch Isolatoren, die hoch oben in der Luft in sie eingesetzt sind und aus weiter Entfernung wie schwache Pünktchen in den Spinnfäden aussehen. Abb. 5 zeigt dagegen solche Pardunenisolatoren aus nächster Nähe, und nach der Betrachtung dieses Bildes wird man ohne weiteres glauben, dass jeder dieser Isolatoren das respektable Gewicht von 10 Zentner besitzt. Interessant ist auch die Ausbildung der isolierenden Porzellankörper bei diesen Isolatoren. Das Porzellan besitzt nur eine sehr geringe Zugfestigkeit, dagegen eine beträchtliche Druckfestigkeit.
Abb. 4. Verankerung und Abspannung zweier Padunen. Mit Kunst und Wissenschaft ist die Konstruktion dieser Isolatoren daher so ausgeführt, dass die Porzellanteile nur auf Druck in Anspruch genommen werden. Es sind gigantische stählerne Kettenglieder, zwischen die man Porzellankörper so eingeschoben hat, dass die Kettenglieder sich nicht mehr direkt metallisch berühren können, und dass die Porzellankörper bei einem Zug an der Kette nur gedrückt werden.
Von diesem kühnen Bauwerk spannt sich nun ein Netz von Kupferdrähten rund 500 m nach allen Seiten hin aus, das sogenannte Luftleitergebilde, auch wohl kurzweg Antenne genannt. Aus diesen Drähten wird elektrische Energie bis zu 150 PS ausgestrahlt, mit ihnen werden die schwachen Schwingungen, die von Afrika oder Amerika ankommen, aufgefangen. Nach den Antennen der Schmetterlinge, jenen feinen, haarförmigen Tastern, hat man das Gebilde getauft, und dies hochempfindliche elektrische Tastorgan darf der Erde nicht zu nahe kommen.
Abb. 5. Pardunenisolatoren. Daher umgeben etwa ein halbes Dutzend kleinerer Türme in weitem Umkreis den großen Turm und nehmen die Enden der Antennen auf. Aber sie sind nur 125 m hoch, nur 15 m höher als der Berliner Dom, und von solchen Kleinigkeiten spricht man in Nauen nicht. Die kleinen Türme verschwinden neben dem großen wie das Mittelgebirge neben den Hochalpen. Trotzdem hat auch hier die Technik Glänzendes geleistet. Einige dieser Türme sind nach einem Verfahren des schwedischen Ingenieurs Rendahl aus dünnwandigen Stahlrohren zusammengeschweißt, ähnlich wie die Fahrradrahmen, und wiegen bei 125 m Höhe nur 5 Tonnen. Ein solcher Stahlturm, höher als der Berliner Dom, könnte also von einem kräftigen Lastautomobil bequem weggefahren werden.
Abb. 6. Besteigung des Turms und Kinematographische Aufnahme der Besteigung.
Die Aussicht, die man von der obersten Plattform des großen Turms genießt, ist überwältigend. Sie reicht rund 60 km nach allen Seiten. Man kann also eine Fläche von reichlich 10 000 km² überblicken. Dieses schöne Panorama und die große Ausdehnung des Fernblicks, die man beim Aufstieg auf den Turm genießt, sollten noch im kinematographischen Bild festgehalten werden, bevor mit dem Spannen der Antennen begonnen wurde, und der Montagekran auf der Turmspitze bot dabei ein gutes Hilfsmittel.
Am schwanken Drahtseil wurde außen am Turm entlang ein primitiver, aber kräftiger Holzkasten in die Höhe gewunden, in den man den Kinooperateur mitsamt seinem Apparat verstaut hatte. Im Innern des Turms aber stieg ein Monteur auf der schlanken, halsbrecherischen Eisenleiter empor, die für die normalen Turmrevisionen dient. Während der schwankende Kasten emporstieg, kurbelte der Operateur unermüdlich und brachte den im Innern emporsteigenden Mann und das ringsum versinkende und sich ständig erweiternde Turmbild auf das Filmband. Man wird daher Gelegenheit haben, diesen kühnen Aufstieg im kinematographischen Bild bequem vom Sessel aus betrachten zu können. Solch Aufstieg auf einer schmalen, senkrechten Leiter einen Viertelkilometer in die Höhe ist begreiflicherweise nicht für jedermann. Aber schließlich ist der Nauener Turm ja auch kein Aussichtsturm. Wohl aber ragt er als dauerndes Symbol deutscher Technik in die Höhe und verkündet den Anbruch einer neuen Zeit, in der wir für die telegrafische Verbindung mit unseren Kolonien nicht mehr auf die Kabel und das Wohlwollen fremder Mächte angewiesen sind.
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