VerkehrFernmeldewesen

›Aus Wissenschaft und Technik‹

Stiefkinder unseres Verkehrswesens:
Telefon und Rohrpost

Deutsche Bergwerks-Zeitung • 1.11.1934

Man wird vielleicht erstaunt sein, dass ich zu den stiefmütterlich behandelten Einrichtungen des modernen Verkehrswesens das Telefon rechne. Vergleicht man aber die Verbreitung, die dieses nützliche Hilfsmittel in den mehr als 50 Jahren seines Bestehens gefunden hat, mit dem rapiden Siegeszug seiner mehr spielerischen und erst im letzten Jahr teilweise einer ernsteren Bestimmung zugeführten Schwester, des Radios, das kaum zehn Jahre alt ist, so wird man die Richtigkeit dieser Behauptung kaum noch in Zweifel ziehen. Die Zahl der Telefonanschlüsse in Deutschland beläuft sich auf rund 3 Millionen, die der Radioapparate bereits auf 5 Millionen. Um gleich auch ein Beispiel aus einem anderen Zweig des modernen Verkehrswesens anzuführen: Die Zahl der Kraftfahrzeuge in Deutschland, vorwiegend Motorräder und Personenwagen, beziffert sich auf 1,5 Millionen, eine Zahl, die sich durch die angebahnte Motorisierung noch rasch erhöhen wird. Ein Kraftfahrzeug ist aber nicht nur ein viel kostspieligeres technisches Erzeugnis, sondern sein Nutzen für das tägliche Leben ist im Allgemeinen nicht so augenfällig wie der des Fernsprechers. Die stärkere Technisierung in anderen Ländern findet auch in der Verbreitung des Fernsprechers ihren Ausdruck. Beispielsweise hat Nordamerika mit rund 20 Millionen Anschlüssen fast siebenmal so viel wie Deutschland und immer noch dreimal so viel auf die gleiche Bevölkerungszahl bezogen.

Der Hauptgrund unserer Rückständigkeit auf einem so wichtigen Gebiete des Nachrichtenverkehrs ist wohl der, dass die Verwaltung des Fernsprechwesens bisher mehr nach ›bürokratischen‹ als nach ›technokratischen‹ Gesichtspunkten erfolgte. Es fehlte eine ausreichende Propagandatätigkeit, um die hier wie stets vorhandene Scheu der Allgemeinheit vor der Anwendung neuer technischer Hilfsmittel zu überwinden, und der Gebrauch des Fernsprechers ist fast ausschließlich auf das Geschäftsleben beschränkt geblieben. Selbst da ist der kleine Handwerker und Gewerbetreibende oft genötigt, auf dieses zur Belebung seines Geschäftes und zur Erlangung von Aufträgen so wertvolle Mittel Verzicht zu leisten.

Worauf es aber hauptsächlich ankommt: Man sollte den Fernsprecher weit mehr dem Privatgebrauch zuführen, insbesondere in den Dienst der Hausfrau stellen, denn der Haushalt ist ein Anwendungsgebiet, das dem Fernsprecher noch so gut wie gar nicht erschlossen ist. Jedem Haushalt ein Telefon. Das ist keine Übertreibung in einer Zeit, in der man das gleiche für das elektrische Licht, den Staubsauger, das Radio und den Kühlschrank propagiert. Ganz abgesehen von den Ausnahmefällen, in denen es erforderlich ist, schnellstens Hilfe herbeizurufen, wie bei plötzlichen Erkrankungen, Unglücksfällen, Brand und Einbruch, erweist sich das Telefon im Haus auch sonst für die Hausfrau nützlich und bietet die Möglichkeit zu Zeit- und Arbeitsersparnis, indem der überwiegende Teil der täglichen Einkäufe und Besorgungen durch telefonische Bestellung erfolgen kann. Die Geschäftsleute würden sich dann bald dazu verstehen, ihren Botendienst auszubauen und nötigenfalls auch Lieferwagen und Krafträder anzuschaffen oder den vorhandenen Bestand zu vermehren. Dies würde sich im Sinne einer Arbeitsbeschaffung für zahlreiche Volksgenossen auswirken, während auf der anderen Seite nach dem Prinzip der Arbeitsteilung die Hausfrau entlastet würde. Vor allem wird natürlich die elektrotechnische Industrie durch die Herstellung der Fernsprechapparate, der zugehörigen Leitungen, den Ausbau der Vermittlungsämter und dergleichen eine recht fühlbare Belebung erfahren. Aber wie gesagt: Ein eigener Anschluss für jeden Haushalt, kein ›Telefonautomat für das ganze Haus‹, denn das ist ein Verkehrsmittel auf Krücken.

Mit der größeren Frequenz muss das Telefonieren dann billiger werden – viel billiger. Im Betriebsjahre 1933 erzielte die Reichspost 572 Mill. RM an Einnahmen aus Fernsprechgebühren, das sind rund 10 RM auf den Volksgenossen, den jüngsten Säugling mit eingerechnet. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass die Möglichkeit einer sehr erheblichen Verbilligung im Interesse der gesamten Volkswirtschaft und des technischen Fortschrittes gegeben ist.

Die Rohrpost, die noch älter als das Telefon ist, wurde bisher nur in sehr bescheidenem Umfang in den Dienst der Allgemeinheit gestellt. Sie ist längst ein vollkommen ausgebautes und praktisch erprobtes modernes Transportmittel; es gibt Anlagen mit allen Finessen, mit Steuerung durch eine Nummernscheibe wie beim Telefon, mit automatischer Weichenstellung, Gegenbetrieb u. a. Für den größten Teil der heutigen Städte, die noch ohne eine Ahnung von den Erfordernissen des modernen Verkehrs angelegt wurden, kommt die Einrichtung von Rohrpostanlagen kaum mehr infrage. Der erhöhten Anwendung des Fernsprechers steht dagegen kein grundsätzliches Hindernis im Wege.

• Ing.-Chemiker Ludwig Dexheimer

• Auf epilog.de am 19. August 2004 veröffentlicht

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