Daseinsvorsorge – Energieversorgung
Das Heimbachkraftwerk
im württembergischen Schwarzwald
Das Neue Universum • 1924
Die letzten Jahre haben uns gezeigt, dass die Abhängigkeit von Wärmekraftanlagen, insbesondere von Dampfkraftanlagen und ihrem Kohlenbedarf zu bedenklichen Stockungen unseres Wirtschaftslebens führen kann. Hauptsächlich wurden hiervon die Bahnen, Elektrizitäts- und Gaswerke sowie zahlreiche auf Kraft angewiesene Industriebetriebe betroffen. Das Räderwerk von Verkehr, Handel und Industrie musste stillstehen, wenn die kraft- und wärmespendende Kohle ausblieb.
Abb. 1. Glattwehr mit selbsttätiger Hochwasserklappe.
Mit beachtenswerter Entschlossenheit hat man sich deshalb in den letzten Jahren bemüht, den Ausbau von Wasserkräften zur Gewinnung von elektrischer Kraft zu fördern und unsere Abhängigkeit von der Kohle zu verringern. Als eine dieser in mancher Beziehung interessanten Anlagen kann das seit April des Jahres 1923 in Betrieb genommene Heimbachkraftwerk im württembergischen Schwarzwald angesehen werden.
Wenn man von den schönen, hochgelegenen Punkten bei Freudenstadt seine Blicke nach Osten und Südosten wendet, so schaut man eine mit unendlichen Tannenwaldungen bedeckte Hochfläche, in der Erhöhungen bis zu achthundert Meter hervortreten und der tiefe und zahlreiche Taleinschnitte ein besonderes Gepräge verleihen. Dies ist das Einzugsgebiet der zahlreichen Bäche, die zusammengefasst in Glatt, Lauter und Heimbach das Triebwasser für das Heimbachkraftwerk zu liefern bestimmt sind.
Das starke Gefälle der Schwarzwaldbäche und ihr Wasserreichtum hat schon seit Jahrhunderten ihre Ausnutzung begünstigt. Als das Heimbachwerk geplant wurde, waren auf der in Betracht kommenden Flusslänge von etwa zwölf Kilometern ebenso viele Triebwerke vorhanden.
Abb. 2. Glatt-Lauterkanal bei Glatten, mit Lauterwehr und Stolleneinlaufbauwerk. Die nähere Untersuchung ergab, dass diese weder das vorhandene Gesamtgefälle noch die Wassermengen in besonders wirtschaftlicher Weise ausnutzen. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Zusammenfassung der Gefälle die Leistung um ein Vielfaches erhöht und diese Mehrleistung der Allgemeinheit nutzbar gemacht werden konnte. Auch die Möglichkeit, das geplante Hochdruckwerk mit einem Speicherbecken zu verbinden und damit bessere Wasserwirtschaft zu betreiben, war durch die günstigen topographischen Verhältnisse des Heimbachtals gegeben. Es entstand somit auf Anregung des Verfassers der von Regierungsbaumeister Haußmann in Stuttgart angefertigte Entwurf, die Wasserkräfte von Glatt, Lauter und Heimbach zwischen Glatten und Sterneck einerseits und Bettenhausen anderseits mit einem Rohgefälle von rund 65 m unter Einfügung einer Talsperre im Heimbachtal auszunutzen, wobei die Möglichkeit bestand, im Heimbachtal Sperren von verschiedenem Ausmaß anzulegen. Erstrebenswert für die Wasserwirtschaft ist die Anlage einer möglichst großen Talsperre. Eine solche konnte mit einem nutzbaren Fassungsraum bis zu 16 000 000 m³ geschaffen werden. Leider musste der Plan zur Anlage dieser großen Sperre wegen der umfangreichen Vorarbeiten, der langen Bauzeit, sowie aus finanziellen Erwägungen vorerst zurückgestellt werden. Zur Durchführung kam die Anlage einer kleineren Sperre. Die Verwirklichung der großen Sperre ist dadurch nicht gehindert.
Abb. 3. Sperre im Heimbachtal, mit Druckstolleneinlaufbauwerk. Es bleibt der Zukunft überlassen, diese für die Wasserwirtschaft nicht nur der Nächstbeteiligten, sondern auch der am Neckar liegenden Triebwerke wichtige Talsperre zur Ausführung zu bringen. Ihr regulierender Einfluss auf die Wasserführung des Neckars wäre zweifellos von großer Bedeutung.
Nach den staatlichen Beobachtungen zählt die Regenhöhe des Schwarzwalds zu den höchsten in Deutschland. Zwar sind diese Mengen im nördlichen Schwarzwald in den Gebirgsstöcken des Kniebisses und der Hornisgrinde noch höher, auch erhalten die westlichen Geländestriche des Schwarzwalds reichere Niederschläge als die östlichen, jedoch liegen diese für das 165 km² große Einzugsgebiet des Heimbachkraftwerkes noch erheblich über dem des Flachlandes, denn die Niederschlagshöhe steigt mit der Bodenhöhe. Die Speisung der Bäche erfolgt im Allgemeinen aus Höhenlagen von 600 – 800 m über Normalnull.
Glatt und Lauter werden unterhalb des Orts Glatten durch selbsttätige, in Abb. 1 u. 2 wiedergegebene Klappenwehre neuester Bauart gestaut, in einem mit Beton ausgekleideten Verbindungskanal zusammengefasst und dem Freigefällestollen zugeführt. Dieser ist für eine Höchstaufnahmefähigkeit von rund 4 m³/s gebaut und verläuft in einer Länge von 6 km zum Teil parallel zum Glattfluss. Der Stollen endet im Heimbachtal. Unterwegs werden durch Einfallschächte noch verschiedene Bäche aufgenommen.
- R E K L A M E -
Der Vortrieb des Stollens erfolgte zum Teil im Muschelkalkgebirge, zum größeren Teil im Buntsandstein. Da auf der größten Strecke standfestes Gebirge durchfahren wurde, konnte die Betonauskleidung gespart werden. Es wurde das Gestein lediglich nach dem Spritzverfahren mit einem 2 – 5 cm starken Zementbelag versehen, der den Zutritt von Luft und dadurch die Verwitterung des Gesteins aufhalten soll. Auch wurden hierdurch kleinere Gebirgsspalten geschlossen. Betonauskleidung kam nur in kürzeren, sogenannten Druckstrecken, zur Verwendung.
Die somit in das Heimbachtal umgeleiteten Glatt- und Lauterwasser werden dort in einer auf Abb. 3 wiedergegebenen Sperre von 158 000 m³ Fassungsraum aufgenommen und durch den Zufluss des Heimbachs vermehrt. Die erforderliche Sperrmauer wurde durchweg in Sandsteinmauerwerk aufgeführt, auf der Wasserseite sorgfältig gedichtet und an der Luftseite mit Buckelquadern aus roten Sandsteinen verkleidet. Ein Türmchen aus gleichem Material krönt das Bauwerk. Sowohl der eine Fläche von 45 000 m² bedeckende See, als auch die Sperre bilden entschieden eine reizvolle Bereicherung des stillen, von herrlichen Tannenwäldern eingesäumten Heimbachtales. Die Sperrmauer ist 15 m hoch und an der Sohle 11 m breit. Ein dem Beschauer nicht sichtbarer Betonsporn von etwa 28 m Länge ist als Fortsetzung der Sperrmauer für den Felsenanschluss am rechten Hang in den Berg eingebaut.
Abb. 4. Kraftwerk Bettenhausen mit Schaltwerk, Rohrleitung, Rohrstollenhaus und Druckausgleichschacht. Der Fassungsraum der Sperre bildet nicht nur eine Kraftreserve, die starken Mehranforderungen raschestens gewachsen ist, sondern er gibt auch die Möglichkeit, die Zuflusswassermengen in einer dem jeweiligen Strombedarf gut angepassten Weise zu verarbeiten, oder in einem, allerdings durch die Abmessungen des Speicherraumes begrenzten Umfang zu sammeln.
Tief unter dem Wasserspiegel des rechten Ufers der Sperre beginnt der rund 3 km lange Druckstollen. Da er bis zu 20 m Wasserinnendruck auszuhalten hat, ist er auf seine größere Länge mit starker Betonauskleidung versehen. Auch dieser Stollen nimmt auf seinem Weg zum Kraftwerk in einem 16 m tiefen, von der Bauausführung herrührenden Arbeitsschacht die Wasser eines weiteren Baches auf. Der Druckstollen endet in Bettenhausen in einem in den Fels gebauten Betonschacht von 20 m Höhe und 8 m Durchmesser, dem sogenannten Druckausgleichschacht. Dieser hat, wie schon sein Name sagt, die Schwankungen des Wassers auszugleichen, das heißt eine ähnliche Aufgabe wie das Sicherheitsventil eines Dampfkessels. Vom Druckausgleichschacht führt eine eiserne Rohrleitung von 2,1 m Durchmesser und etwa 150 m Länge zum Krafthaus, das Abb. 4 veranschaulicht.
Das Kraft- und Schaltgebäude ist in Tuffstein ausgeführt. In der mit hohen Fenstern versehenen, geräumigen und in freundlichen Farben gehaltenen Maschinenhalle, in die Abb. 5 einen Blick gewährt, sind vier Doppelspiralturbinen in Verbindung mit Drehstromhochspannungsmaschinen aufgestellt. Ihre Gesamtleistung umfasst 5400 PS. In ihnen wird das Wasser mit einem Nutzgefälle von rund 60 m verarbeitet und alsdann der Glatt wieder zugeführt.
Abb. 5. Maschinenhalle mit einem Teil der Schaltwand in Bettenhausen. Fast noch geräumiger wirkt die in mehreren Stockwerken des Schalthauses untergebrachte Transformatoren-, Schalt-und Verteilungsanlage. Ihre Durchbildung erfolgte nach den neuesten Erfahrungen über den betriebssicheren Ausbau größerer Stromverteilungsanlagen. Warteraum und Werkstatt vervollständigen die baulichen Anlagen.
Die ausgebaute Anlage umfasst 165 km² Einzugsgebiet mit einem Rohgefälle von 65 m. Die Leistung der vier Turbinen beträgt rund 5400 PS, der nutzbare Wasserinhalt des Speichers 133 000 km³ oder rund 20 000 PS/h bei einer Abmahlung. Die durchschnittliche Jahresleistung beziffert sich bei Vollausnutzung, jedoch ohne hydraulische Akkumulierung, auf 10 000 000 kWh, die Gesamtbaukosten betrugen rund fünf Milliarden Papiermark.
Mit dem seit Mai 1923 in regelmäßigem Betrieb befindlichen Heimbachwerk ist eine durchschnittliche jährliche Kohlenersparnis von 12 000 t guter Steinkohlen erreicht. Das Heimbachwerk kann den beteiligten Bezirksangehörigen bei Vollausnutzung auf den Kopf der Bevölkerung durchschnittlich jährlich 80 kWh Elektrizität aus Wasserkraft zur Verfügung stellen, das entspricht etwa dem Jahresdurchschnittsverbrauch Deutschlands für einen Einwohner.
• Direktor Zipplies