VerkehrLuftfahrt

Ein neues Luftschiff

Die Gartenlaube • 1859

Die Längenangaben und andere Maße des Originaltextes wurden in das metrische System umgerechnet.

Demnächst wird ein Amerikaner per Luft eine Reise nach England machen. Derselbe heißt T. S. E. Lowe, ist aus New Hampshire und hat schon 36 Luftfahrten gemacht. Seit seiner letzten Fahrt, die von Portland aus am 4. Juli 1859 stattfand, beschäftigt er sich eifrigst mit der Konstruktion eines Luftschiffes, welches alles Dagewesene an Größe überbieten soll. Die Dimensionen desselben sind so bedeutend, dass das Ölen des Gasbehälters eine Strecke von beträchtlicher Ausdehnung in der Nähe von New York in Anspruch nimmt. Diese Dimensionen sind kürzlich folgende: Größter Durchmesser 41 Meter; Gewicht mit Ausrüstung 3½ Tonnen; Tragkraft 22½ Tonnen; Inhalt des Gasbehälters 22 500 m³.

Man hat dem Ballon den Namen ›City of New York‹ gegeben und er ist fast fünfmal größer als der größte Ballon, der jemals gebaut wurde. Seiner Form nach gleicht er den gewöhnlichen vertikalen Gasbehältern mit Korb und Rettungsboot. Indessen lässt die Anwendung wertvoller Verbesserungen glauben, dass er im Allgemeinen viel besser gebaut sein wird als die früheren. Bei ihm kommt mechanische Kraft mit zur Anwendung. Ein Kalkofen soll die Leute, die sich auf dem Schiff befinden, vor der Kälte schützen. Außerdem hat man ein neues Fächersystem ausgedacht und will es bei dem Ballon anwenden und der Stoff, aus dem der Gasbehälter besteht, ist mit einem Firnis umgeben, dessen Erfindung Mr. Lowe für sich in Anspruch nimmt. Für den Gasbehälter hat man 8000 m² Stoff verbraucht, und 17 Nähmaschinen benutzte man, um die Stücke zusammenzunähen. Der obere Teil des Gasbehälters, wo die Gasklappe angebracht werden soll, ist dreimal so stark als das Übrige, außerdem noch durch schwere braune Leinwand fester gemacht und dreifach genäht. Das Netzwerk, welches den Gasbehälter umgibt, besteht aus starken Seilen, welche zu diesem Zweck besonders von Flachs gemacht worden sind. Seine Stärke entspricht einer Widerstandskraft von 160 Tonnen und jedes Tau ist imstande ein Gewicht von 200 – 250 kg zu tragen. Der Korb, welcher unter dem Ballon angebracht werden soll, hat einen Umfang von 6,6 m und eine Tiefe von 1,3 m. Er ist rundum mit Segeltuch umgeben. Darin werden sich die Aeronauten befinden. Der schon erwähnte Kalkofen, der darin sein soll, ist 50 cm hoch und hat 60 cm im Geviert. Mr. Lowe ist von der Nutzbarkeit desselben so überzeugt, dass er es für möglich hält, in Regionen hinaufzusteigen, wo das Wasser gefriert, und dennoch meint er, nichts von der Kälte für sich selbst und die Passagiere befürchten zu dürfen.

Unter dem Korb befindet sich ein metallenes Rettungsboot mit einer Ericson’schen Maschine. Ihr hauptsächlichster Zweck besteht in der Kontrolle, wodurch die Leitung des Ganzen ermöglicht werden soll. Der Propeller befindet sich in einem Winkel von 45° im Bug des Rettungsboot. Von einem Rad am Ende laufen 20 Fächer aus, von denen jeder 1½ Meter lang ist und die bis zum Ende allmählich an Weite zunehmen, wo dieselbe 50 cm beträgt. Mr. Lowe glaubt durch Anwendung dieser Mechanik sein Schiff beliebig steigen und sinken lassen zu können; er meint, mit Hilfe derselben im Stande zu sein, zu steuern und die Rotationsbewegung der Maschine zu verhindern. Die Steige- und Fallkraft der Maschinerie soll ein Gewicht von 150 kg erreichen, und die Fächer sind so angebracht, dass sie eine rasche Bewegung auf- und niederwärts gestatten.

Mr. Lowe beabsichtigt, anfänglich bis zu einer Höhe von 5000 bis 6000 Metern emporzusteigen. Indessen will er nicht immer in dieser Höhe bleiben, sondern er denkt sich in einer Entfernung von der Erde zu halten, die ihm gestattet, zu sehen, was man mit ihr tut und treibt. Er will nach Nordosten steuern und will in England oder auch Frankreich landen. Die Entfernung von New York bis London glaubt er in 48 Stunden durchmessen zu können. Ist es ihm möglich, das auszuführen, was er verspricht, so wird er mehr geleistet haben, als irgendein Luftschiffer vor ihm. Misslingt der Versuch, so handelt es sich um den Verlust von 20 000 Dollar. Die Zeit, wo die Fahrt geschehen soll, ist noch nicht bestimmt. Das Schiff wird indessen in 3 bis 4 Wochen fertig, und Mr. Lowe wird wohl dann nicht mit seinem kühnen Plan auf sich warten lassen.

Entnommen aus dem Buch:
Die ›Zeitreisen‹ knüpfen an die Tradition der Jahrbücher und Zeitschriften ›zur Bildung und Erbauung‹ aus dem 19. Jahrhundert an. Eine bunte Auswahl von Originalartikeln begleitet den authentischen und oft überraschend aktuellen Ausflug in die Geschichte. Kultur- und Technikgeschichte aus erster Hand, behutsam redigiert, in aktueller Rechtschreibung und reichhaltig illustriert.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 124 Seiten | ISBN: 978-3-7543-5702-6

• Auf epilog.de am 1. September 2016 veröffentlicht

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