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Woher stammen unsere Gratulationskarten?

Daheim • 29.12.1883

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Es ist der erste Tag des neuen Jahres. Im behaglich erwärmten Zimmer hat sich die Familie zum Frühstück um den großen Mitteltisch versammelt. Da klingelt es draußen an der Haustür. Auf seinem heute etwas verspäteten Rundgange überbringt der Briefbote mit der eigenen mündlich abgestatteten Neujahrsgratulation, für welche er dankbar ein mehr oder weniger großes Silberstück in Empfang nimmt, eine Zahl von Briefen für alle Mitglieder des Haushalts. Schon die äußere Form des zierlich gefalteten Papiers lässt erkennen, dass man es hier nicht mit jenen ominösen Jahresrechnungen zu tun hat, welche in den nächsten Tagen einlaufen und dem würdigen Familienoberhaupt noch manches Kopfzerbrechen kosten werden. Aus den geöffneten Kuverts entpuppen sich vielmehr in buntem Durcheinander heitere und ernste Glückwünsche für den beginnenden Zeitabschnitt, wie Verwandte, Freunde und Bekannte sie sich neuerdings gegenseitig zuzuschicken lieben. In künstlerischer Ausstattung tragen diese Karten manch neckischen Gruß, manch frohe Erinnerung an vergangene Zeiten, den ernsten Sinnspruch wahrer Freundschaft, den innigen Wunsch unbewusst keimender Liebe in das traute Familiengemach. Da glättet sich die ernste Stirn des Vaters, denn ein launiger Vers spottet seiner kleinen Schwäche für die abendlichen Kartenspiele in harmloser Weise; aus gröberem Material sind die Freundschaftsbeweise gezimmert, welche die heranwachsenden Knaben von den gleichalterigen Mitschülern erhalten; auf Gesundheit der Kinder, feine Wäsche und gutes Porzellan richten sich die Wünsche für die Hausfrau, und während die älteste Tochter, bis an die Haarwurzeln errötend, der zärtlichen Mutter die Karte mit dem schnäbelnden Taubenpaar verstohlen in die Hand drückt, um sie der geschäftigen Neugierde der kleineren Geschwister zu entziehen, machen diese schon Jagd auf die seltenen Marken der Umschläge, welche noch immer selbst innerhalb des geeinigten Deutschlands anzutreffen sind.

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• Auf epilog.de am 12. Mai 2022 veröffentlicht

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