Handel & IndustrieDruck & Papier

Fortschritte in der technischen Herstellung der Zeitungen

Der Stein der Weisen • 1891

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Wenn wir unsere tägliche Zeitung zur Hand nehmen, um darin zu lesen, was Tags vorher in der Welt vorging, oder gar um 3 Uhr Nachmittag die Rede, die ein hervorragender Staatsmann zwei Stunden früher beendete, vollinhaltlich abgedruckt zu finden, so sind wir an so prompte Berichterstattung derart gewöhnt, dass wir uns wohl selten die Frage vorlegen, auf welche Weise dies ermöglicht wird. Und doch wäre es in hohem Maße interessant, nachzuforschen, welcher Aufwand an Intelligenz und Tatkraft nötig ist, um das regelmäßige Erscheinen einer großen Zeitung, die den an sie gestellten Anforderungen in jeder Weise entspricht, zu sichern. Wir würden ferner sehen, wie alle Vorteile, welche die modernen Verkehrsmittel bieten, zu denen wir in hervorragender Weise Telegraf und Telefon zählen, sowie der Erfindergeist des Mechanikers, ausgenützt werden müssen, um das Publikum mit der gewohnten geistigen Nahrung zu versorgen. Wir würden aber auch gewahr werden, dass auf wenig Gebieten der menschlichen Tätigkeit ein so großartiger Aufschwung, eine so durchgreifende Umgestaltung des Betriebes innerhalb weniger Jahrzehnte stattgefunden hat, wie gerade beim Zeitungswesen. Der Umfang der Blätter hat sich vervielfacht und die Auflagen sind riesig gestiegen. Namentlich in jenen Ländern, wo die Presse nicht durch den Zeitungsstempel verteuert und wo durch Gestattung der Kolportage der Massenabsatz ermöglicht ist, erzielen die Blätter einen ungeheuren Absatz. So wissen wir von englischen und amerikanischen Zeitungen, dass sie Auflagen von 2 – 300 000 Exemplaren haben, ja ein Pariser Blatt Le petit Journal druckt eine Million Exemplare. Und trotz dieser ungeheuren Leistung muss die technische Herstellung der Blätter in unglaublich kurzer Zeit erfolgen. In wenigen Stunden muss die Zeitung gesetzt und gedruckt sein. Da nun bisher das Setzen noch immer in der primitiven Weise geschieht wie vor vierhundert Jahren, zur Zeit Gutenbergs, indem der Setzer aus seinem vielfächerigen Schriftkasten jede einzelne Type mit den Fingern herausnehmen muss, um mühsam den Satz herzustellen, so fällt die ganze Aufgabe der Zeitersparnis dem Druckapparat zu.

Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts kannte man nur die Handpresse, die höchstens zweihundert Drucke in der Stunde machte. Erst Ende der 1820er-Jahre bürgerte sich die von König erfundene Schnellpresse ein, die tausend Drucke in gleicher Zeit herstellte. Dieser folgten dann die doppelten, die vier-, sechs- und achtfachen Maschinen, und als zu Anfang der 1870er-Jahre in Amerika die Rotationsmaschine erfunden wurde, die in der Stunde zehntausend Exemplare druckte, glaubte man das Ende der Leistungsfähigkeit der Druckmaschine erreicht zu haben. Aber der menschliche Erfindergeist steht nicht still, und eine Verbesserung reiht sich an die andere. So brachte man an den Rotationsmaschinen Falzapparate an, welche die gedruckten Zeitungen auch zusammenlegten, und heute werden dieselben auch geklebt und aufgeschnitten, also in Form einer Broschüre ausgegeben.

Das Verdienst, diese Neuerungen auf dem europäischen Kontinent eingeführt zu haben, gebührt den Herausgebern der Neuen Freien Presse in Wien, die sich mit den Ingenieuren der Maschinenfabrik von König & Bauer in Oberzell in Bayern in Verbindung setzten, um dieses Problem zu lösen. In dem Maschinensaal der Druckerei der Neuen Freien Presse stehen zwei derartige Maschinen und drucken seit einigen Monaten dieses Blatt. Dieselben besitzen aber noch einen weiteren Vorzug, der allerdings dem Laien, der nur dadurch überrascht wird, dass er sein Blatt broschiert in die Hand bekommt, nicht in die Augen fällt, der aber nichtsdestoweniger einen großen Fortschritt in der Maschinentechnik darstellt. Es ist dies das Prinzip der Zwillings-Rotationsmaschinen, durch welches es möglich ist, die Seitenzahl der Zeitung beliebig zu verändern, während man bisher, wenn der Umfang der Zeitung auf einen Bogen zu sechzehn Seiten eingerichtet war, nur halbe oder Viertelbogen drucken konnte.

Die Zwillings-Rotationsmaschine ist eine Maschine, welche aus zwei getrennten Druckwerken und einem gemeinsamen Falzwerke (Maschine zum Zusammenlegen der bedruckten Bogen) besteht. Die Maschine hat zwei getrennte Schneideapparate und arbeitet mit zwei Papierrollen. Jeder der beiden Papierstränge wird nach erfolgtem Druck durch den zugehörigen Schneideapparat in einzelne Bogen – von ganzem oder halbem Zylinder-Umfange – zerteilt und erst nach oder gleichzeitig mit erfolgtem Schnitt werden die von beiden Druckwerken kommenden Bogen vereinigt und dem gemeinsamen Falzwerke zugeführt. Durch die Kombination der Haupt- und Supplementmaschine ist es nun ermöglicht, 24, 20, 18, 16, 14, 12, 10, 8, 6, 4 und 2 Seiten der Neuen Freien Presse mit einer Geschwindigkeit von zwölftausend Exemplaren (bis zu 24 Seiten stark) per Stunde zu liefern. Das Charakteristische dieser von König & Bauer ausgeführten Zwillings-Rotationsmaschinen ist, dass dieselben nach Belieben folgende Gangarten annehmen können:

  1. Beide Druckwerke gehen gleich schnell oder
  2. ein Druckwerk geht halb so schnell als das andere;
  3. ein Druckwerk kann auch ganz abgestellt werden.

Endlich können bei beiden Druckwerken Papierrollen von verschiedenen Breiten in Anwendung kommen.

Zwillings-RotationsmaschineKönig & Bauer Zwillings-Rotationsmaschine zum Druck 24-seitiger Zeitungen.

Man kann demnach je nach Bedarf mit der Hauptmaschine allein und ebenso mit der Supplementmaschine allein drucken; der Mechanismus gestattet es ferner, den Gang der vereinigten Maschinen zu regulieren und auf der einen schneller und der anderen langsamer zu drucken. In Folge dieser Konstruktion der Rotationsmaschinen kann man das Blatt bis zu 24 Seiten in elf verschiedenen Größen erscheinen lassen und ist auch in der Lage, noch nachts um 2 Uhr, wenn sich infolge der unaufhörlich zuströmenden Depeschen zu viel Material angesammelt haben sollte, das Blatt um eine beliebige Anzahl von Seiten zu vergrößern. In den neuen Maschinen befindet sich auch ein sehr sinnreich erdachter und dennoch einfacher Klebe-Apparat, welcher die einzelnen Lagen des Blattes während des Drucks zusammenklebt. Zum leichteren Verständnis unserer Leser bringen wir eine Abbildung dieser Zwillings-Rotationsmaschine. Der linke rückwärtige Teil zeigt uns die Hauptmaschine, welche das sechzehnseitige Blatt druckt, in ihrer Längenansicht, während rechts vorne die Nebenmaschine, welche die achtseitige Einlage druckt, in ihrer Stirnansicht erscheint. Wir sehen, wie der mehrere tausend Meter lange Papierstreifen sich von der Rolle abwickelt, die Druck- und Schneidezylinder passiert, um dann dem Falzapparat zugeführt zu werden, der sich rückwärts rechts befindet.

Wenn die Maschinen in Bewegung gesetzt sind und die hundertfach kombinierten Funktionen, die von ihnen gefordert werden, mit erstaunlicher Präzision verrichten, den von der Rolle ablaufenden weißen Bogen bedrucken, schneiden, falzen und kleben, wenn die aus den beiden Teilen der Maschine kommenden Bestandteile genau auf den Millimeter zusammentreffen und sich zusammenfügen, die Maschinen überdies die zur Versendung fertigen Exemplare einem sinnreich konstruierten Transporteur übergeben, der sie zwischen Riemen in das um ein Stockwerk höher liegende Expeditionslokal führt, so machen sie fast den Eindruck vernunftbegabter Wesen. Und doch braucht man sich nicht etwa eiserne Ungetüme vorzustellen, sondern das polierte, zierlich ineinandergreifende Walzen- und Räderwerk, das ringsum von Schutzvorrichtungen für die Arbeiter umgeben ist, befriedigt auch den Schönheitssinn und gewährt einen recht gefälligen Anblick.

Diese Zwillings-Rotationsmaschinen sind auf eine Leistung von 12 000 Blättern zu 24 Seiten eingerichtet. Nachdem die Druckerei der Neuen Freien Presse jedoch zwei solcher Maschinen besitzt, so können sie in der Stunde 24 000 Exemplare ihres Morgenblattes herstellen. Vom Abendblatt jedoch, das in der Regel nur vier Seiten stark ist, werden vier Exemplare zugleich gedruckt; es könnten somit, wenn beide Maschinen in Anspruch genommen würden, 96 000 Exemplare desselben in der Stunde gedruckt werden.

Wir erfahren aus diesen Ziffern, welche Wunder die moderne Maschinentechnik zu wirken in der Lage ist, wie sie die schwierigsten Probleme zu lösen vermag und nimmerruhend sich stets größere und weitere Ziele steckt. Und wenn wir solch einen Einblick in das stille Arbeiten des erfindenden Menschengeistes tun, dann erfüllt uns ein ähnliches Gefühl der Bewunderung, als wenn wir die Natur bei ihrem geheimnisvollen Schaffen belauschen.

• Fr. J – r.

• Auf epilog.de am 4. Januar 2024 veröffentlicht

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