Forschung & TechnikTechnik

Der Tod in der Technik

Plauderei von Hans Dominik

Die Woche • 2.10.1909

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Gelegentlich des Todes der alten Riesenschildkröte in London ist das Thema vom Lebensalter und der Lebensdauer wieder aktuell geworden. Mit Lust und Fleiß stellt man die Lebenszeiten verschiedener Tiere und Pflanzen zusammen und kommt von der Eintagsfliege, die als geflügeltes Insekt nur wenige Stunden lebt, zu den uralten Drachenbäumen, deren einige bis zu 4000 Jahresringe aufgewiesen haben. Fürwahr eine erschöpfende Mannigfaltigkeit der Lebensdauer, und kein Gesetz lässt sich dafür finden. Große Tiere, wie der Elefant, werden mehrere Hundert Jahre alt, aber auch kleines Volk, wie Kröten oder Raben, bringen es auf mehr als hundert Jahre.

Hans DominikHans Dominik.

Dass lebendige Wesen sterben müssen, ist schließlich eine Binsenweisheit. Weniger bekannt am Ende, dass man den Begriff des Lebens und der Lebensdauer auch auf unbelebte Dinge, auf die Erzeugnisse unserer Technik übertragen hat, und dass man nun auch logischerweise vom Tode dieser Dinge spricht. Denn bestehen sie auch aus unbelebter Materie, so hat sie der menschliche Geist doch für ganz bestimmte Zwecke und Vorrichtungen geformt, und solange sie diese erfüllen, solange sie allen Einflüssen, die ihnen dabei schädlich werden, widerstehen, so lange währt ihr Leben, ihre Lebensdauer.

Beim lebendigen Organismus rechnen wir die Lebenszeit allgemein vom Beginn selbstständigen Seins bis zum Tod. Wenn wir freilich hören, dass indische Fakire sich ein halbes Jahr hindurch im hypnotischen Schlaf begraben lassen, so können schon Zweifel entstehen, ob diese sechs Monate noch auf die Lebenszeit des Betreffenden zu verbuchen sind. Wenn endlich gar von Pflanzensamen berichtet wird, die 4000 Jahre in ägyptischen Pyramiden lagen und doch noch keimten (eine Geschichte, die übrigens sehr zweifelhaft ist), so wird man jedenfalls die Ruhezeit des Samens nicht in die Lebensdauer mit einrechnen dürfen.

Etwas Ähnliches gibt es nun auch bei den Schöpfungen der Technik. Wir können beispielsweise von zwei Taschenuhren die eine in Gebrauch nehmen, die andere gut eingeölt in ein hermetisch verschlossenes Glasgefäß tun. Wenn wir dann noch zu allem Überfluss die Luft in diesem Glas durch ein chemisch indifferentes Gas, beispielsweise durch Stickstoff, ersetzen, so wird diese Uhr theoretisch wenigstens hunderttausend Jahre hindurch unverändert bleiben. Sie wird, wenn einer sie dann aufzieht, ruhig weiter gehen müssen, und wenn sie auf unsere Zeit einreguliert war und der Tag sich in seiner Länge inzwischen merklich geändert hat, kann das ganz interessante Resultate geben. Aber trotzdem wird niemand behaupten können, dass die Lebensdauer einer Uhr hunderttausend Jahre beträgt. Wir dürfen eben den Fakirschlaf, in den wir ein einzelnes Exemplar versenken wollen, nicht mit in die Lebensdauer einrechnen. Im normalen Betrieb wird ja eine Taschenuhr kaum zwei Menschenalter überdauern. Die Uhren aus lange vergangenen Jahrhunderten, die wir heute noch bewundern können, haben wohl alle den größten Teil ihrer Existenzfrist in irgendwelchen Sammlungen geschlummert. Normalerweise stirbt die Uhr viel früher, und keineswegs die Mehrzahl geht an Altersschwäche zugrunde. Viele sterben einen gewaltsamen Tod, beispielsweise durch Ertränken oder aber auch durch brutale mechanische Gewalt, einen Fall aus der Höhe, einen Hufschlag oder dergleichen.

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• Auf epilog.de am 24. Februar 2023 veröffentlicht

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