Forschung & TechnikTechnik

Mechanische Boten

Plauderei von Hans Dominik

Die Woche • 26.8.1905

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Während bei uns in Deutschland in großen Geschäftshäusern, Banken, Hotels und dergleichen die Nachrichtenübermittlung durch ausgedehnte und recht geschickt angelegte Telefonanlagen bereits gut entwickelt ist, lässt sich etwas Ähnliches von dem mechanischen Botendienst kaum behaupten. In der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle wirtschaften die großen Institute bei uns mit Laufjungen, die die Schriftstücke, Dokumente usw. von Büro zu Büro schaffen. Wer einmal mit Laufjungen gearbeitet hat, wird wissen, dass diese Art des Botendienstes keineswegs das Ideal darstellt. Laufjungen sind eben auch Menschen und als solche Irrtümern unterworfen. Sie sind ferner junge Menschen und daher allerlei zeitraubendem Unfug nicht immer abgeneigt.

Unter solchen Umständen verdient die Einführung maschineller Transportvorrichtungen, die Einführung mechanischer Boten an Stelle der lebendigen jedenfalls besondere Beachtung. Die Anfänge dazu sind in Deutschland, wie gesagt, ziemlich gering. Allgemeiner gebräuchlich sind vorläufig nur die Aktenaufzüge, mit deren Hilfe die Schriftstücke von einer Etage in die andere geschafft werden, und durch die wenigstens das Treppenlaufen nach Möglichkeit vermieden wird. Sehr praktisch sind solche elektrischen Aufzüge mit Druckknopfsteuerung. Der Bote drückt dabei in seiner Etage auf einen Knopf und holt dadurch den Aufzug heran. Alsdann legt er die Akten ein und drückt je nach der Etage, für die die Sachen bestimmt sind, auf diesen oder jenen Knopf eines in seiner Etage befindlichen Tableaus, worauf der Aufzug selbsttätig an seinen Bestimmungsort fährt.

Außerdem haben bei uns in Fabriken und Kaufhäusern vielfach die sogenannten Kugelposten Anwendung gefunden. Die Schriftstücke werden dabei in hohle Kugeln gesteckt, die gewöhnlich aus hartem Holz zweiteilig hergestellt werden. Der Transport erfolgt dabei nach dem von der Kegelbahn zur Genüge bekannten Prinzip der schiefen Ebene. Beispielsweise steckt der Beamte an der Verpackungsstelle eines Warenhauses ein Duplikat der Rechnung in eine Holzkugel, die dann auf einer leicht geneigten Ebene bis zur Kasse rollt und dort in einen Sammelkasten fällt. Hierbei bietet sich bereits die Möglichkeit, auf der gleichen Bahn Posten zu verschiedenen Stationen zu befördern, indem man die Löcher über den Sammelkästen der näheren Stationen kleiner, über denen der entfernteren Stationen größer macht. Für entferntere Stationen werden alsdann größere Kugeln gewählt, die über die Sammelkästen der näheren Stationen hinwegrollen, ohne hineinzufallen.

Natürlich ist die Anwendbarkeit dieser Kugelposten beschränkt, da der Weg von der Aufgabestelle zum Ziel immer nach unten führen muss. Immerhin können sie einen beträchtlichen Teil des Botenverkehrs ersetzen, sofern es sich nur um eine Vermittlung von oben nach unten oder innerhalb der gleichen Etage handelt.

Für einen vollständigen Ersatz des Botendienstes durch mechanische Einrichtungen sind natürlich erheblich andere Mittel erforderlich, und hier dürfen uns die Anlagen von England und Amerika als vorbildlich gelten.

Dort finden wir in allen großen Hotels und Warenhäusern, ferner aber auch in vielen Verwaltungsgebäuden der Regierung ausgedehnte Anlagen, die einen zuverlässigen Transport von Schriftstücken und Waren aller Art aus und nach jedem Raum eines solchen Gebäudes gestatten.

Dabei kommen hauptsächlich zwei Systeme in Betracht. Erstens das pneumatische, das wir auch in Berlin bei der Rohrpost haben. Dabei führen von jeder Stelle, die etwa zu expedieren hat, Rohrleitungen nach einer Zentrale. Die betreffende Stelle packt ihre Sendung, in eine Büchse geschlossen, in das Rohr, pustet sie durch einen Hebeldruck mittels komprimierter Luft zu der Zentrale, die sie an den Bestimmungsort weiter bläst. Solche pneumatischen Anlagen finden sich beispielsweise im Waldorf Astoria Hotel in New York, im Savoy Hotel in London, im Caledonian und North British Hotel in Edinburgh und im Midland Hotel in Manchester. In diesen Gasthöfen befördert die pneumatische Anlage die Postsachen der Gäste sofort in die Stockwerke, in denen die Empfänger wohnen, während bei uns solche Sachen manchmal recht lange beim Portier liegenbleiben. Im weiteren findet sich eine sehr ausgedehnte pneumatische Anlage im Kaufhaus von Wadell in Glasgow. Dort sind unter anderem 55 Nebenkassen durch pneumatische Leitungen mit der Hauptkasse verbunden und führen ihre Einnahmen fortwährend an diese ab.

Neben dem pneumatischen System ist der Transport am endlosen Seil sehr bemerkenswert und recht verbreitet. Bei einer solchen Einrichtung durchzieht ein endloses Seil die sämtlichen Räumlichkeiten, die Schriftstücke oder Waren irgendwelcher Art auszutauschen haben. Dies Seil wird durch einen Elektromotor in ständigem Vorwärtsgang gehalten und trägt in gewissen Abständen kleine Zacken oder Nocken. Jedes Büro hat einzelne Manuskriptwägelchen, die an das Seil gehängt werden können und dann vom nächsten Nocken mitgenommen werden. Dabei besitzt das Wägelchen einen Anschlaghebel, der für jeden einzelnen Fall besonders gestellt werden kann und je nach der Hebelstellung an einer ganz bestimmten Station ausgekippt wird.

Diese einfachste Form der Aktenbeförderung hat nun für bestimmte Zwecke noch eine weitere Ausbildung erfahren. Man hat dem mechanischen Boten den allergrößten Teil der Arbeit übertragen, wo immer es sich um einen intensiven Aktenverkehr handelt. Für solchen Fall sind im einzelnen Büro unter dem Seil Einwurfkörbe angebracht, in die die einzelnen Schriftstücke, nach den Büro, in die sie gelangen sollen, gesondert, einfach hineingeworfen werden. Die Wägelchen passieren dann die Büros fortwährend in steter Fahrt und leeren dabei völlig selbsttätig die Aktenkörbe in jedem Raum, um die entnommenen Akten ebenso selbsttätig an ihrem Bestimmungsort abzugeben. Man darf dieses sogenannte Lamsons-System wohl mit Fug und Recht als das vollkommenste, was bisher auf diesem Gebiet existiert, bezeichnen. Durch eine solche Einrichtung werden die Geschäfte eines Hauses selbst in ständigem Fluss gehalten. Es wird das Arbeitsmaterial sofort schnellstens an seinen Bestimmungsort gebracht, und das bei dem alten Verfahren so beliebte Verbummeln von Aktenstücken oder Geschäftsbriefen ist so gut wie ausgeschlossen. Selbstverständlich braucht das System sich nicht auf den Aktentransport zu beschränken, sondern findet ebenso gut für die Waren des Kaufhauses und für die Erzeugnisse der Fabrik Anwendung.

Die vorstehenden Ausführungen dürften den Wert und die Wichtigkeit solcher mechanischen Boten zur Genüge erläutert haben. In der Tat ist eine derartige Hilfsvorrichtung für ein großes modernes Kauf- oder Verwaltungshaus beinah unentbehrlich.

Andernfalls ist ja immer in einem sehr großen Betrieb die Gefahr vorhanden, dass die inneren Reibungswiderstände allzu groß werden und dass er unrationeller arbeitet als der kleine oder mittelgroße Betrieb. Hier bietet aber die moderne Technik die Möglichkeit, solche Widerstände zu überwinden.

Interessant sind zum Beispiel die Verhältnisse in Berlin, wo jetzt ein neues Rathaus, beträchtlich entfernt von dem alten, geplant ist. In Berlin erleben wir zur gleichen Zeit auch die räumliche Trennung eines anderen großen Verwaltungskörpers, nämlich des Kaiserlichen Patentamts, in zwei ungefähr gleich große Teile. Selbstverständlich ist es theoretisch schöner und besser, wenn man solche Verwaltungen in einem Gebäude zentralisieren kann. Wo das aber nicht angeht, gestattet die heutige Technik auch die räumliche Zerlegung. Das lautsprechende Tischtelefon gestattet dabei jederzeit und ohne Anstrengung die ausführlichste Aussprache der betreffenden Dezernenten über einen Gegenstand, und die pneumatische Spezialverbindung erlaubt es, dass die Akten über den Gegenstand im Zeitraum weniger Minuten zwischen den beiden Parteien hin- und herwandern.

Zweifellos ist der Gang der Dinge dahin gerichtet, den lebendigen Boten in großen Geschäftsbetrieben immer mehr auszuschalten und dafür die mechanische Beförderung einzuführen, die auch hier die drei großen Vorzüge der Maschine gegenüber dem menschlichen Organismus aufweist, nämlich die größere Zuverlässigkeit, Schnelligkeit und Billigkeit.

Entnommen aus dem Buch:
Der Ingenieur, Journalist und Schriftsteller Hans Dominik (1872 – 1945) gehört zu den erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren Deutschlands. Neben zahlreichen Romanen und Kurzgeschichten verfasste er vor allem auch populärwissenschaftliche Beiträge für Zeitschriften und Jahrbücher. Für dieses Buch wurden seine verkehrstechnischen Plaudereien und Betrachtungen zusammengetragen und vermitteln dem Leser einen unverfälschten Blick auf die Verkehrsgeschichte des jungen 20. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 12,90 | 92 Seiten | ISBN: 978-3-7534-7686-5

• Auf epilog.de am 7. Dezember 2023 veröffentlicht

Reklame