Forschung & TechnikTechnik

Kälte im Zimmer

Plauderei von Hans Dominik

Die Woche • 15.7.1905

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Dem Wanderer, der in diesen heißen Julitagen bei 45° Celsius über den blendend hellen, glühend heißen Asphalt stampft, lässt die Fantasie eine Fata Morgana erscheinen. Er sieht, wie sein Enkel zum Ende des 20. Jahrhunderts bei gleicher Glutwärme in ein Zimmer tritt, das längst keinen Ofen mehr zeigt. Er sieht, wie sein Nachfahr zur Dampfheizung schreitet und das Ventil öffnet. Aber nicht mehr Heizdampf strömt an solchen Sommertagen durch die Leitungen, sondern die 20° kalte Salzlösung der Eismaschine, die im Keller steht. In kürzester Frist bedeckt sich der Heizkörper, der im Winter so wohlige Wärme zu spenden vermochte, mit einer dicken Schneeschicht, die Temperatur des Zimmers beginnt zu fallen und gelangt schnell auf jenen wohltuenden Punkt von 15° Celsius, bei dem der Mitteleuropäer sich am wohlsten fühlt. Unser Spaziergänger erschaudert bei dem Gedanken, und der Traum verfliegt. Es ist ein Traum, denn so weit sind wir heute noch nicht, dass wir die Abkühlung unserer Zimmer ebenso systematisch betreiben wie ihre Beheizung.

Wenn wir vom Eisschrank absehen, der heute wohl in jeder besseren Wirtschaft zu finden ist, und in dem die Kälte schmelzenden Eises auf allerlei Speisen und Getränke übertragen wird, so bleibt uns als allgemein gebräuchliches und zugängliches Kühlmittel nur die Verdunstungskälte des Wassers. Es ist bekannt, dass Wasser zu seiner Verdunstung eine ganz gehörige Portion Wärme benötigt, die, zur Dampfbildung verwendet, scheinbar verschwindet und daher vom Physiker auch als latente Wärme, das heißt als verborgene Wärme, bezeichnet wird. Diese Wärmemenge ist beispielsweise 5½-mal so groß wie jene, die man aufwenden muss, um Wasser von 0° bis zum Kochen zu bringen.

Diese Verdunstungswärme entzieht nun das Wasser seiner Umgebung und kühlt diese infolgedessen stark ab.

Die Natur selbst benutzt jene Erscheinung, um Lebewesen vor einer allzu starken Erhitzung zu bewahren. Kommen wir in eine zu heiße Umgebung, so erfolgt zunächst ein Schweißausbruch. Die Haut wird gleichmäßig feucht, und die verdampfende Feuchtigkeit bewirkt eine sehr erhebliche Abkühlung der Haut. Die praktischen Folgen zeigen sich darin, dass stark schwitzende Leute fast niemals, wenig schwitzende sehr viel leichter vom Hitzschlag befallen werden. Dies Experiment der Natur können wir nun in vielfachen Abstufungen nachmachen, um uns im Sommer einige Linderung zu verschaffen. So besprengt man beispielsweise den Fußboden des Zimmers, weiter auch den Asphaltbelag unserer Bahnhöfe mit Wasser und erzeugt durch die Verdunstungskälte eine Abkühlung des Raums, die sich am Thermometer verfolgen lässt. Freilich ist dies Mittel nicht sehr wirksam, denn es verdunstet dabei verhältnismäßig wenig Wasser.

Verfugt man über einen kleinen Elektroventilator, so kann man diesen im Zimmer laufenlassen und den Netzkorb, in dem die Flügel arbeiten, mit einem leichten Stoff umhüllen, der beständig nass gehalten wird.

Diese Art der Kühlung ist alles in allem sehr wirksam und jedenfalls sehr viel ausgiebiger als etwa das Verfahren, einen oder mehrere Kübel mit schmelzendem Eis in die Zimmer zu stellen. Um Eis von 0° in Wasser von 0° zu verwandeln, braucht man nämlich nur den siebenten Teil der Wärme, die für die Verdampfung des Wassers benötigt wird. Man wird also mit einem Kilogramm verdampften Wassers ebenso viel Kälte erzeugen können wie mit sieben Kilogramm geschmolzenen Eises. Dazu aber kommt der Umstand, dass Wasser viel schneller verdampft, als wie das Eis schmilzt, und dass schließlich Wasser umsonst zu haben ist, während Eis Geld kostet.

Für die Wirksamkeit des verdunstenden Wassers sprechen im Übrigen auch die zuerst wohl aus dem Orient eingeführten, mäßig hartgebrannten unglasierten Tonkrüge, in denen sich das Wasser, allerdings bei starkem Wasserverlust, ständig eiskalt hält. Diese Krüge sind derartig porös, dass sie zwar noch nicht lecken, dass aber ihre Außenfläche ständig feucht ist. Infolgedessen verdampft stetig Flüssigkeit, und die Verdampfungskälte hält den Rest im Krug frisch kalt.

Mit den vorstehend geschilderten Mitteln kann sich auch der weniger Begüterte im Sommer ein erträgliches Heim bereiten.

Für jene, die eine einmalige größere Ausgabe für das notwendige Glasgeschirr nicht scheuen, bietet auch die flüssige Luft in unseren Tagen ein brauchbares Kühlungsmittel. Flüssige Luft hat an und für sich eine Temperatur von etwa 180° unter Null. Man bewahrt sie in doppelwandigen Glasgefäßen auf. Dabei ist der Hohlraum zwischen den Gefäßen vollständig luftleer gemacht, und infolgedessen kann von außen keine Wärme durch Leitung eindringen. Ferner sind die äußeren Glaswände auf ihrer Innenfläche versilbert. Sie wirken daher wie Spiegel und lassen auch keine Wärmestrahlung durch, sondern werfen jeden Sonnenstrahl zurück. Infolgedessen bilden solche Gefäße absolute Isolatoren, und die flüssige Luft hält sich in einer Fünfliterkanne etwa 14 Tage, bevor sie völlig verdampft ist. Gießt man dagegen aus solchem Gefäß flüssige Luft auf den Fußboden, so verdampft sie sofort und bindet dabei sehr große Wärmemengen, so dass man mit wenigen Mengen ein heißes Zimmer sofort herunterkühlen kann. Nun steht der Preis für flüssige Luft augenblicklich auf etwa 1,50 Mark für den Liter, und für 3 Mark lässt sich bereits viel erreichen. Anderseits ist freilich mit der einmaligen Ausgabe für eine Fünfliterkanne zu rechnen, wobei das Gefäß nicht ganz billig ist. Immerhin kann der Besserbemittelte bei besonderen Hitzewellen wohl einmal daran denken, sich für einige Mark das Zimmer auf Kellertemperatur herunterzukühlen.

Wer schließlich so glücklich situiert ist, dass er eine Villa sein eigen nennt und auf ein paar Tausend Mark nicht zu sehen braucht, der darf auch an die Eismaschine denken und kann sich neben dem elektrischen Licht und neben den Dampfwarmwasserleitungen auch noch die Kälteleitungen legen lasen. Mit einer genügend stark bemessenen Eismaschine lässt sich natürlich jeder gewünschte Kältegrad erreichen. Der Besitzer einer solchen Anlage könnte sich seine Zimmer auf jede beliebige Temperatur herunterkühlen.

Das große Publikum bekommt ja derartige Neuerungen sonst zuallererst in öffentlichen Lokalen zu kosten. Es braucht in dieser Beziehung nur an die elektrische Beleuchtung und den Edison-Phonographen erinnert zu werden. Es ist daher eigentlich verwunderlich, dass derartige Anlagen noch nicht von spekulativen Gastwirten angelegt worden sind. Ein Café, das an so heißen Tagen, wie sie uns die letzten Wochen brachten, eine Temperatur von 15 Grad Celsius aufweist, müsste doch jegliche Konkurrenz aus dem Feld schlagen, und der Getränkekonsum brauchte darunter schließlich nicht zu leiden. Denn was an Eiskaffee abgeht, könnte bei Verwendung eines gelehrigen Eis-Maschinisten nach der Grogseite hin gewonnen werden. Vielleicht spüren wir auch auf diesem Gebiet bald den Fortschritt der Zeit. Solange es daran fehlt, bleibt dem gewöhnlichen Sterblichen, wie gesagt, nur die Verdunstungskälte des Wassers und als letztes Hilfsmittel die kalte Brause einer wohleingerichteten Badestube.

Entnommen aus dem Buch:

Neuerscheinung

Der Ingenieur Hans Dominik (1872 – 1945) ist vor allem durch seine technisch-utopischen Romane bekanntgeworden. Dominik war aber in erster Linie Wissenschaftsjournalist und verfasste zahlreiche populärwissenschaftliche Beiträge für verschiedene Zeitschriften und Tageszeitungen. Dabei brachte er im lockeren Plauderton dem interessierten Laien wissenschaftliche Grundlagen und neue technische Errungenschaften näher. Dieses Buch versammelt eine repräsentative Auswahl seiner wissenschaftlichen und technischen Plaudereien.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 116 Seiten | ISBN: 978-3-7597-8354-7

• Auf epilog.de am 5. Februar 2024 veröffentlicht

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