Handel & Industrie – Landwirtschaft
Persische Seide
Illustrirte Welt • August 1855
Die beste persische Seide kommt aus Gilan. Die Rohseide geht aus den dortigen Fabriken nach Russland und Konstantinopel, von wo sie nach Europa und Amerika verschifft wird. Die Ausfuhr beträgt ungefähr sieben Millionen Gulden.
Dreißig bis vierzig Tage vor der Tag- und Nachtgleiche des Frühlings beschäftigen sich die Seidenzüchter (Nugani) mit dem Auskriechen der Würmer. Zu diesem Ende bringt man die an einem frischen Ort aufbewahrten Säckchen und Beutel mit den Eiern in ein wohl erwärmtes Zimmer. Bisweilen auch trägt sie der Seidenzüchter in der Achselhöhle, da die Wärme des menschlichen Körpers die Eier rascher zum Ausschlüpfen bringt.

Die ausgeschlüpften Würmer legt man in Kalives, eine Art Kufen von glasierter Erde, die ungefähr einen 30 cm groß und 10 – 12 cm tief sind. Dort bleiben sie während der ersten Periode ihres Lebens und werden mit klein geschnittenen Maulbeerblättern oder Korianderblättern genährt. Dann schlafen sie ein und während dieses Schlafes bringt sie der Nugari in die Spinnhütte. Diese Tilembars der Gilanesen sind so verschieden von den Europäischen, dass sie einer Beschreibung nicht unwert erscheinen.
Der Tilembar auf Abb. 1 ist eine Hütte, die auf vier bis zehn Pfosten frei in der Luft steht und 6 m Länge bei 4 m Breite hat. Sie muss so fest gebaut sein, dass er zwei Männer trägt. Zwei horizontale durchbrochene Dielen gehen durch das ganze Gebäude; die untere Diele dient als Bett und Speisetisch, denn die Würmer schlafen und essen darauf. In der zweiten Periode gibt man ihnen Maulbeerzweige, welche ganz mit Blättern bedeckt sind. Haben die Würmer die erste Lage abgefressen, so bringt man eine zweite, ohne die erste wegzunehmen, und so fort. Wenn nach einiger Zeit diese Zweige, vermischt mit den toten Würmern, den Ket oder die untere Diele zu sehr beschweren, so macht der Nugani ein Loch und lässt den Kehricht hinunterfallen, der auf dem Ket liegt, ohne deshalb dem Wurm sein Bett zu nehmen. Die obere Diele (Purd) ist aus Balken gemacht und dient dem Nugani zum Hin- und Hergehen. Er kann auf diese Weise seine Würmer sorgfältig überwachen und speisen, ohne sie mit der Hand zu berühren, was dem Tier nach der Aussage der Gilanesen sehr schädlich sein soll. Der Raum zwischen den beiden Dielen ist außen geschützt, und zwar durch Matten, die man wie Vorhänge an den Fenstern wegschieben kann. Das Dach ist aus Reisstroh gemacht und schützt die Würmer vor Kälte.
Wenn die Würmer aus ihrem Schlaf (Khab) erwachen, erwacht auch ihr Hunger und nun beginnt die schwere Arbeit der Nugani. Denn es ist nichts Leichtes, diese Raupen Tag und Nacht zu speisen in einem Lande, wo nach einem Tag von 40° Wärme die Nächte mit ihren Sumpfnebeln und den Moskitoschwärmen kommen. Nach der dritten und am Anfang der vierten Periode wird ihre Gefräßigkeit so groß, dass ein einzelner Mann nicht mehr zureicht, obgleich man die Tilembars mitten in Maulbeerpflanzungen zu bauen pflegt. Man muss die Würmer nämlich nicht nur speisen, sondern auch gegen verschiedene Feinde verteidigen. Die Moskitos belagern den Tilembar; sie zu vertreiben sind Räucherungen nötig. Auch sind Kälte und zu große Wärme gleich sehr zu fürchten. Von einer Häutung zur anderen verfließen gewöhnlich sieben bis acht Tage.
Die Wände des Tilembar sind mit Maschen aus Reisstroh versehen, an denen man Zweige befestigt, deren dickeres Ende auf dem Ket aufsteht und den Würmern gestattet, daran hinaufzukriechen und sich einen passenden Platz zu suchen. Sobald dieser Vorgang beginnt, wird der Tilembar auf zehn Tage geschlossen und nur die Schutzschlange Mari-Tilembar eingelassen, die die Spinnhüte gegen Vögel, Eidechsen, Wiesel und dergleichen schützt. Diese Schlange gehört zu der Gattung der Äskulapnattern.
Der Tag, an welchem der Tilembar geöffnet wird, ist ein wahres Familienfest. Der Nugani macht seinen Frauen und Kindern Geschenke und lässt sie das Resultat seiner Arbeiten sehen. Ist die Ernte gut, so sieht man das Innere des Daches dicht mit Kokons bekleidet.
Das Abhaspeln der Seide in Persien. Die ganze Familie ist nun mit dem Ablösen der Kokons von den Zweigen beschäftigt. Damit ist die Arbeit der Männer beendigt, denn nun beginnen die Frauen, die Kokons auszulesen. Man kennt elf verschiedene Arten, nämlich Nesrani, Mirseidi, Sibkalek und Ellali, welche die feinste Seide geben; in zweiter Linie stehen die Mulianek, Mumnei, Baklesenguek, Guilkalek, Chirkalek, Espikalek und endlich Tchetem (Bastard). Eine Drachme guter Cocons wird mit 6 – 9 Gulden verkauft; dies geschieht jedoch selten, weil man die Kokons selbst abhaspelt. Die in den Kokons befindlichen Puppen werden erstickt, indem man sie den Sonnenstrahlen aussetzt oder in heißes Wasser wirft.
Die Frau, welche auf Abb. 2 zwischen dem Ofen und dem Haspel steht, hält in der rechten Hand einen kleinen Reisstrohbesen, mit dem sie die Kokons peitscht (abschweift); dadurch wird das Gummi, welches den Faden des Kokons verbindet, aufgelöst, und zugleich hängt sich die Floretseide an den Besen an. Ehe man den Faden auf den Haspel bringt, lässt man ihn um einen kleinen eisernen Hacken über dem Ofen leiten. Das ganze Geschäft wird unter freiem Himmel besorgt. Ist ein Kokon zu Ende gehaspelt, so wirft die Frau rasch den Faden eines anderen Kokons an, damit das Ganze die gleiche Stärke erhält. Die Puppen werden den Hühnern, Elstern und anderen Vögeln vorgeworfen, die sie sehr gerne fressen und sich deshalb auch immer in der Nähe der gilanesischen Hütten in Massen umhertreiben.
In Recht, dem Hauptort der Provinz Gilan, wird jedes Jahr ein großer Seidenmarkt abgehalten.