Handel & Industrie

Das Lauchhammerwerk

Illustrirte Zeitung • 31.10.1868

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Die Triumphtage der alten Reichsstadt Worms, die der Enthüllung des Luther-Denkmals galten, sind längst vorüber. Es ist Ehrensache, auch einen Blick auf jene Stätte der Kunst und Industrie zu werfen, wo das großartige Denkmal nach den überlieferten Modellen gegossen und ziseliert wurde.

Dort am östlichen Ende des Merseburger Regierungsbezirks, da, wo nahe der sächsischen Grenze die drei preußischen Provinzen Sachsen, Brandenburg und Schlesien zusammenstoßen, liegt mitten in einer Sandwüste ein Eldorado, das Lauchhammerwerk; hübsche Waldungen, Teiche, Seen und Gärten grenzen es ein. Und dieser seltene Ort, man möchte sagen, noch von wenigen gesehen, ist schon seit Decennien weit über Europas Marken hinaus durch seine Leistungen auf dem Gebiet der Eisenindustrie und der Bronzegießerei rühmlichst bekannt. Das Werk wurde im Jahr 1725 von einer Freifrau v. Löwendahl auf dem nahen Rittergut Mückenberg begründet, um der damals armen, gewerbslosen wendischen Gegend Arbeit zu verschaffen, und um das nutzlos verfaulende Holz der Waldungen durch Kohlenbrennerei zu verwerten. Das Werk entwickelte sich rasch, und im Jahr 1776 ging es mit mehreren anderen Besitzungen durch Erbschaft an die gräflich Einsiedelsche Familie über, in deren Besitz es sich heute noch befindet.

Diese Besitzer waren bis auf den heutigen Tag mit hoher Intelligenz fortwährend bemüht, das Eisenwerk zu erweitern und in jeder Hinsicht zu vervollkommnen, auch mehrere Filialen (Gröditz, Riesa, Berggießhübel und Burghammer) zu begründen und im Jahr 1838 auf Veranlassung des Altmeisters der Bildhauerkunst, Professor Rauch, die Bronzegießerei und Ziselierwerkstätten zu etablieren. Geschichtlich sei noch erwähnt, dass bereits im Jahre 1784 der erste größere Hauptguss ausgeführt und ein Jahr später mit dem Emaillieren eiserner Kochgeschirre begonnen wurde. Im Jahr 1801 baute Lauchhammer die ersten ökonomischen Maschinen, legte 1803 die erste Dampfmaschine an und brachte 1816 den ersten Kupolofen in Betrieb. Trotz der Ungunst der Verhältnisse und seiner geografischen Lage war und blieb Lauchhammer stets ein Vorkämpfer im Hütten- und Eisengießereibetrieb. Während die Gesamtzahl seiner Beamten und Arbeiter Anfang dieses Jahrhunderts nur 160 betrug, stellt sie sich jetzt auf 25 Beamte, 40 Meister und Vorsteher, 1000 Arbeiter mit circa 2500 Familiengliedern und einem zahlreichen Fuhrwerkspersonal.

Es hämmert und pocht, surrt und schnurrt bei Tag und Nacht in diesem riesigen Gebäudekomplex, als sollte die ganze Welt umgemodelt werden. Aus den Werkstätten, wo man beschickt und schmilzt, formt und gießt, putzt und montiert, schleift und poliert, schmiedet und feilt, bohrt und dreht, schwärzt und bronziert, nielliert und galvanisiert, versilbert und vergoldet, beizt und emailliert, zeichnet und fotografiert, modelliert und dekoriert, werden Kunstgussartikel nach allen Gegenden Deutschlands und des Auslands, sogar großartige architektonische Werke nach Kairo, Petersburg und Ohio gesandt. Lauchhammer fertigt jetzt überhaupt Gusswaren aller Art, und seine Emaille, ein Geheimnis, ist bleifrei. Die Politur seines Gusseisens gleicht jener des feinsten englischen Stahls und hat auf den Weltausstellungen zu London und Paris ungemeine Sensation hervorgerufen. Das Werk liefert namentlich Öfen, ordinäre und feinste, letztere bronziert, geschliffen und galvanisiert; Kamine und Kaminöfen in prachtvoller Ausstattung, Wasserleitungs- und Gasbeleuchtungsgegenstände, Stalleinrichtungen, Bausachen aller Art, Wendel- und Podesttreppen, Veranden, Balkons, Wintergärten, Gewächshäuser, Lauben, Gartenmöbel, Pavillons, Ladeneinrichtungen, Säulenhallen, Mausoleen, Geländer sowie patentierte Plankensäulen; ferner Dampfmaschinen, Gebläse, Mühleneinrichtungen, landwirtschaftliche Maschinen, Brunnenpumpen, Wagenachsen usw.

Zu den interessantesten Ausführungen des Hüttenwerks gehören:

  1. in Eisenguss: 1150 Stück Gaslaternen für Para in Südamerika, ein Paar reichdekorierte Doppeltüren für das Kensington-Museum in London (wurden auf der Pariser Weltausstellung 1867 mit der goldenen Medaille gekrönt), diverse Mausoleen, Treppen, Geländer und Säulenhallen nach Kairo, ein 12½ m hoher Mittelbau als Verbindung zweier Paläste, 375 t schwer, für den Vizekönig von Ägypten.
  2. im Maschinenbau: eine Dampfmaschine für Montevideo am Río de la Plata, ein Wassersäulen-Göpel für das Silberbergwerk Kongsberg in Norwegen.
  3. in Bronzeguss: eine Victoria von Rauch für Charlottenburg, Architektur von Semper für den Zwinger in Dresden; ein Sarkophag für Friedrich August II. nach einem Entwurf des Hofbaumeisters Krüger für Dresden, eine Statue Friedrich Wilhelms IV. von Bläser für Burg Hohenzollern, die Reparatur des Flensburger Löwen, eine Victoria für den König von Preußen nach Babelsberg, – und gleichsam als Krone eines dreißigjährigen Abschnitts das großartige Luther-Denkmal nach dem Entwurf von Rietschel für Worms.
Eisenwerk LauchhammerDas gräflich Einsiedelsche Eisenwerk Lauchhammer.
1. Niederlage. | 2. Verwaltung. | 3. Gasthof. | 4. Obeliskenplatz. | 5. Gasanstalt. | 6. Montier- und Schlosserwerkstätten, Tischlerei. | 7. Formerei. | 8. Hochofen. | 9. Emaillieranstalt. | 10. Bronzegießerei und Ziselieranstalt. | 11. Schule.

Die gräflich Einsiedelsche Familie, verbunden durch ein Statut, ist noch Besitzerin der fünf Eisenwerke, zwei Rittergüter und vier größeren Forsten. Lauchhammer ist das Mutterwerk der vier anderen Eisenwerke und ›bildet seine Leute‹ selbst. Es hat eine Modellierschule, eine fotografische Anstalt, eine Hütten- und Volksbibliothek, eine Pensionskasse, einen Knappschafts- und Konsumverein, eine Speiseanstalt und eine Gasfabrik.

Die Fabrikate Lauchhammers (deren täglich rund 100 t zur Verladung gelangen) sind, so weit nicht nach Zeichnungen und Modellen gearbeitet wird, vom Gedanken bis zur letzten Ausführung allermeist geistiges Eigentum der Anstalt. Nachteilig wirkt der Mangel an allen bessern Verkehrsmitteln, als Land- und Schifffahrtsstraßen, Eisenbahnen, Telegrafen, ja selbst die Post in Lauchhammer ist stiefmütterlich bedacht, – und bei der soeben stattgefundenen Konzessionierung der Großenhain-Cottbuser Bahn hat man unerklärlicherweise Lauchhammer weitab links liegenlassen. Dennoch schreitet seine Industrie rüstig vorwärts, alle Übelstände und Hindernisse mutig besiegend. Das Lauchhammerwerk wird mit Ausnahme der Emaillier- und Polieranstalt für jeden Fremden in liberaler Weise geöffnet, und ist durch den freundlichen Magazinverwalter die nötige Anleitung zur Besichtigung zu erhalten.

Entnommen aus dem Buch:

Neuerscheinung

Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ersetzten Dampfmaschinen zunehmend die Muskelkraft und ermöglichten eine zunehmende Mechanisierung der bis dahin handwerklich geprägten Güterproduktion. Der Abbau von Handelshemmnissen und neue Verkehrswege eröffneten überregionale Märkte, immer mehr Produkte mussten immer schneller und billiger produziert werden. Arbeitsteilung und Spezialisierung veränderten ganze Wirtschaftszweige. Die historischen Originalbeiträge und Abbildungen in diesem Buch geben einen unverfälschten Einblick in die Wirtschaft des 19. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 106 Seiten | ISBN: 978-3-7583-0344-9

• Auf epilog.de am 27. März 2024 veröffentlicht

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