VerkehrNahverkehr

Kraftstellwagen mit gedecktem Obergeschoss

Von Ingenieur Ludwig Spängler
Direktor der städtischen Straßenbahnen in Wien

Allgemeine Automobil-Zeitung • 5.10.1913

Voraussichtliche Lesezeit rund 18 Minuten.

Man unterscheidet gegenwärtig drei Grundtypen von Kraftstellwagen (Autobusse) für den großstädtischen Verkehr:

1. Am meisten verbreitet ist der Londoner Doppeldecktyp mit offenem Obergeschoss. Der Wagenkasten ist rund 1,8 m breit, 2,1 m hoch und 3,58 m lang und hat im Untergeschoss zwei Längsbänke für 16 Sitzplätze, im Obergeschoss aber 18 offene, ungeschützte Dachsitze. Für diese sind 840 mm lange, zu beiden Seiten eines schmalen Mittelganges angeordnete Querbänke vorgesehen und alle Fahrgäste auf dem Dach sitzen mit dem Gesicht in der Fahrtrichtung nach vorwärts sehend. Es sind also 34 Sitzplätze und keine Stehplätze vorhanden; die Sitzplätze sind nicht sehr bequem, da sie nur 420 – 425 mm breit sind, was aber in England als ausreichend betrachtet wird. Das Dach ist rund 2,03 m breit und seitlich durch 970 mm hohe Bretter abgeschlossen. Da das Londoner Chassis rund 880 mm hoch ist, so liegt die Fußbodenhöhe des Obergeschosses rund 2,98 m hoch über der Straßenoberfläche; der ganze Wagen bis zur Oberkante des Geländers ist rund 3,95 m hoch. Das Gewicht dieses Wagenkastens beträgt ungefähr 1100 kg. Der Chauffeursitz liegt bei diesem Wagen hinter dem Motor. Der Einstieg auf die hintere Plattform liegt seitlich. Wagen dieser Art verkehren in Wien auf der Strecke Stephansplatz – Nordbahn – Adria-Ausstellung, doch sind am Dach nur 14 Sitze, weil nur drei Sitze in einer Reihe (2 + 1) erlaubt wurden; diese Wagen haben also insgesamt 30 Sitze.

Der Engländer ist an den Aufenthalt im Freien gewöhnt und überdies ist das englische Klima nicht so rau, wie beispielsweise das unsere, insbesondere im Winter und in den Übergangsjahreszeiten. Der Umstand aber, dass sämtliche englische Straßenbahngesellschaften, die früher ausschließlich Wagen mit offenen ungeschützten Decksitzen hatten, jetzt nur mehr Wagen mit gedecktem Obergeschoss bauen und auch die alten Wagen in dieser Weise umändern, lässt darauf schließen, dass auch in England in der ungünstigen Jahreszeit und bei Regenwetter ein entsprechender Schutz der Decksitze ein Bedürfnis wäre, dem bisher nicht entsprochen wurde.

Von besonderem Interesse ist es aber, dass die größte Omnibusgesellschaft Londons ein Preisausschreiben erlassen hat, das die Aufgabe stellt, das Verdeck des Automobilomnibusses bei jeder Witterung »zu einem angenehmen Aufenthalt« zu machen. Es hat sich nämlich der Übelstand herausgestellt, »dass bei schlechtem oder kaltem Wetter an jedem Gefährt dieser Art ein Kampf um die Innenplätze entsteht, und bei heißem Wetter umgekehrt ein solcher um die Verdeck­plätze«. Diesen Unzukömmlichkeiten will nun die Londoner Omnibusgesellschaft abhelfen.

Weiterlesen mit
epilog.de

Werde epilog.plus-Mitglied und Du bekommst

  • Zugriff auf exklusive Beiträge wie diesen
  • PDF-Versionen und/oder eBooks von ausgewählten Artikeln
  • weniger Werbung und dafür mehr historische Bilder und alte Reklame

und Du hilfst uns, noch mehr interessante Beiträge zur Kultur- und Technikgeschichte zu veröffentlichen.

Ich bin bereits Mitglied und möchte mich anmelden.

• Auf epilog.de am 21. November 2025 veröffentlicht

Reklame