Forschung & Technik – Wissenschaft
Das Riesen-Teleskop der Pariser Sternwarte
Das Buch für Alle • 1876
Schon seit mehreren Jahren hat die französische Regierung die Mittel angewiesen, um ein Fernrohr von kolossalen Dimensionen für astronomische Beobachtungen für die Sternwarte in Paris erbauen zu lassen, und zwar ein Instrument, welches die drei größten der bisher vorhandenen Riesen-Teleskope, nämlich das große Teleskop der Sternwarte von Melbourne in Australien, den ›Leviathan‹ des Lord Rosse und das Herschelsche Riesen-Teleskop auf dem Kap der Guten Hoffnung an Schärfe und Mächtigkeit übertreffen sollte. Das neue Riesen-Teleskop der Pariser Sternwarte ist am 7. Oktober 1875 durch den Minister des öffentlichen Unterrichts nach einer von ihm präsidierten Sitzung des Rates der Sternwarte übernommen worden, nachdem man sich überzeugt hatte, dass es nicht nur die an dasselbe gestellten Ansprüche erfülle, sondern sogar die gehegten Erwartungen noch übertreffe. Das Riesen-Teleskop im Observatorium zu Paris. Wir geben hier eine Abbildung dieses riesigen astronomischen Fernrohrs samt dem Gehäuse von Eisen, welches demselben zu Schutz und Bedeckung dient, und begleiten diese Abbildung mit einer kurzen Erklärung des Prinzips, welches dieser Art von astronomischen Instrumenten zu Grunde liegt, da es außer dem Bereich unserer Tendenz liegt, auf eine detaillierte Schilderung des ganzen komplizierten Apparats einzugehen.
Ein astronomisches Teleskop besteht aus einem parabolischen Spiegel, der in den Boden einer Röhre eingefügt ist und dessen Achse man gegen denjenigen Himmelskörper richtet, welchen man studieren will. Die Gestirne sind so weit von unserer Erdoberfläche entfernt, dass alle Lichtstrahlen, welche man sammelt, parallel auf die Achse des Spiegels treffen; vermöge des Gesetzes der Lichtstrahlung werden sie in etwas schiefer und konzentrierter Richtung auf einen einzigen Punkt, nämlich auf einen wunderbar glatten und ebenen Spiegel, der oben an der Röhre des Teleskops angebracht ist, zurückgeworfen. Dieses aus allen aufgesammelten Lichtstrahlen zusammengesetzte Bild untersucht der Astronom mittelst eines Systems von Lupen oder Mikroskopen, welche man das Okular nennt. Der Astronom kann dieses Bild um so mehr vergrößern, je heller es ist, d. h. je mehr parallele Strahlen der im Grund der Röhre angebrachte Spiegel zu sammeln im Stande war, je besser seine Oberfläche geschliffen und je geringer der Verlust an Lichtbündeln bei deren Konzentrierung ist. Letzterer Zweck wird besonders gut erreicht durch die Spiegel von versilbertem Glas, die von einem französischen Gelehrten, Leon Foucault, erfunden und hier zum ersten Mal in größerem Maßstabe angewandt worden sind. Die Spiegel von versilbertem Glas geben dreimal mehr Helle, als die Metallspiegel, welche bei den oben erwähnten drei älteren Riesen-Teleskopen angewendet worden sind. Der Spiegel des neuen Teleskops der Pariser Sternwarte wiegt 500 kg; der ganze Apparat nebst dem Uhrwerk, welches der Bewegung der Erde entsprechend die Drehung der Röhre um ihre Achse bewirkt und der samt den Gegengewichten usw. in dem würfelförmigen Untersatz verborgen ist, wiegt neun Tonnen. Gleichwohl ist dieses gewaltige Instrument von einer solch vortrefflichen Mechanik, dass es beinahe so leicht gehandhabt werden kann, wie ein Teleskop auf einem Stativ. Der okulare Apparat hat eine Vergrößerung von 500 Durchmessern; die große Röhre, an deren Grund der Spiegel angebracht ist, eine Länge von nahezu 5 m, der ganze Apparat eine Höhe von beinahe 4 m.