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Nachklänge zur Motorfernfahrt
Rund um Berlin

Von Hans Dominik

Berliner Tageblatt • 4.9.1904

Die gelungene Motorfernfahrt Rund um Berlin dürften den endgültigen Beweis erbracht haben, dass das Motorzweirad keine unnatürliche und lebensunfähige Modesache ist, die heute aufkommt und morgen wieder verschwunden ist. Das Motorzweirad ist vielmehr heute bereits ein technisch recht vollkommenes und ganz außerordentlich leistungsfähiges Fahrzeug und dürfte bei seiner von Jahr zu Jahr weitergehenden Verbilligung dem Automobilismus das ganze Volk gewinnen, ähnlich wie es, herab bis zum Chausseearbeiter, dem Fahrrad gewonnen ist.

Nicht mit Unrecht wurde das Motorzweirad an dieser Stelle das Töff Töff des kleinen Mannes genannt. Nach ungefährer Schätzung kann man wohl sagen, dass der Radfahrer, der Motorradfahrer und der Besitzer eines großen schweren Tourenwagens sich in ihrer finanziellen Stärke etwa verhalten müssen wie 1 : 10 : 100. Gleich leicht muss der Radfahrer das Markstück, der Motorradfahrer das Zehnmarkstück und der Besitzer des schweren Wagens den Hundertmarkschein weggeben können, wenn anders sie ihre Karren gut und glatt im Laufe halten wollen. Diese Verhältnisse werden sich indessen noch sicher weiter zu Gunsten des Motorzweirades verschieben. Es spricht sehr für die bereits erreichte Vollkommenheit dieses Fahrzeuges, dass sich bereits ein Normaltyp ausgebildet hat, der in seinen Hauptpunkten von sämtlichen guten Fabriken akzeptiert ist. Die über der Vordergabel gelagerten Motoren sind in der Hauptsache aufgegeben worden. Der moderne Typ lautet: Lagerung des luftgekühlten Motors vor die Tretkurbel, einfacher Riemenantrieb auf das Rad, im Übrigen Vermeidung aller Komplikationen, wie etwa ausrückbare Kuppelungen oder zweifache Übersetzungen sie darstellen. Betreffend die Zündung scheint das Modell 1905 sämtlicher Firmen der elektromagnetischen Zündung den Vorzug zu geben, während die Akkumulatorzündung 1904 noch überwog.

Wenn auch das Modell 1905 heute bereits in seinen Hauptzügen bei allen Firmen vollständig feststehen dürfte, so geben doch Erfahrungen, wie sie in einem solchen Rennen immer wieder gesammelt werden können, häufig neue und weitere Anregungen. Der alte Satz, dass eine Konstruktion niemals stärker ist als ihr schwächster Teil, trifft natürlich auch für die des Motorrads zu. Dieser schwächste Teil war nun im Rennen Rund um Berlin ganz entschieden der Pneumatik. Die Mehrzahl der Fahrer musste unterwegs eingedrungene Nägel aus dem Reifen ziehen und im Anschluss daran natürlich zeitraubende Flickarbeit vornehmen Der gewöhnliche Sterbliche ahnt gar nicht, wie viele Nägel auf einer Landstraße liegen können, und wie sehr deren Anzahl unter Umständen am Tage eines Rennens noch steigen kann.

Der Schreiber dieser Zeilen fuhr das Rennen auf seinem Motorrad mit und erzielte bis zur Kontrolle Rüdersdorf einen Zeitgewinn von 40 Minuten. Dicht hinter dieser Kontrolle wurde der erste Nagel gerammt, und das Flicken des Hinterradreifens kostete 33 Minuten. Bis Oranienburg waren davon 21 Minuten wieder gewonnen, so dass immer noch ein Guthaben von 28 Minuten vorhanden war. Beim Ausfahren aus der Kontrolle Oranienburg wurde indessen Nagel Nummer zwei gefasst. Es wurde jedoch mit drinsteckendem Nagel weiter gefahren, da der Reifen einigermaßen Luft hielt, und alle 30 Kilometer stark nachgepumpt. Sechs Kilometer vom Ziel fuhr jedoch ein dritter Nagel in den Reifen und nun war es mit jeder Chance vorbei. Aus gleicher Ursache hatte ungefähr ein gutes Drittel der Fahrer das Rennen aufgeben müssen, während die Maschine in allen sonstigen Einzelheiten vorzüglich funktionierte. Es war eben reine Glückssache, ob man weniger oder mehr Nägel während der Fahrt fischte. Unter solchen Umständen wird man einem intensiven Pneumatikschutz allergrößte Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. Kräftige Drähte an jeder Metallgabel dicht über den Reifen gespannt, dürften bereits als gute Schutzmittel gelten und manchen Nagel herausziehen, bevor er den Luftschlauch verletzt. Eine kräftige Extraeinlage zwischen Mantel und Luftschlauch dürfte die gute Wirkung dieser Nagelzieher unterstützen, ohne allzu viel Kraft zu fressen. Dagegen dürfte das Einschnallen der Pneumatiks in einen äußeren Ledermantel der Schnelligkeit des Rades doch wesentlich Abbruch tun und daher nur mit Vorsicht bei derartigen Prüfungsfahrten zu verwenden sein. Nebst dem Pneumatik verursachte der Riemen manchen Fahrern Schwierigkeiten. Zweifellos wird es sich nicht empfehlen, ohne einen Reserveriemen und einige Reserveriemenschlösser in eine Fahrt nach Art derjenigen rund um Berlin zu gehen. Andererseits ist jedoch der Gummiriemen mit Stoffeinlage, wie ihn beispielsweise die Kontinentalwerke liefern, eine recht zuverlässige Sache. Er braucht verhältnismäßig selten verkürzt zu werden und ist gegen feuchte Witterung im Gegensatz zum Lederriemen unempfindlich. Soweit das Modell 1905 mit Keilriemen ausgerüstet wird, dürfte daher der Gummiriemen den Lederriemen verdrängen. Beim Flachriemen, der unter Anwendung einer Spannrolle jedenfalls auch sehr zuverlässig ist, bleibt Leder in Anwendung.

Im übrigen werden die Fahrer, welche auf der Tour um Berlin Pech hatten, die Sache kaum tragisch nehmen. Auch das alte Pneumatikfahrrad hatte zuerst stets und ständig Havarien und hat sich in wenigen Jahren doch zu einem außerordentlich zuverlässigen Verkehrsmittel entwickelt.

Entnommen aus dem Buch:
Der Ingenieur, Journalist und Schriftsteller Hans Dominik (1872 – 1945) gehört zu den erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren Deutschlands. Neben zahlreichen Romanen und Kurzgeschichten verfasste er vor allem auch populärwissenschaftliche Beiträge für Zeitschriften und Jahrbücher. Für dieses Buch wurden seine verkehrstechnischen Plaudereien und Betrachtungen zusammengetragen und vermitteln dem Leser einen unverfälschten Blick auf die Verkehrsgeschichte des jungen 20. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 12,90 | 92 Seiten | ISBN: 978-3-7534-7686-5

• Auf epilog.de am 6. April 2024 veröffentlicht

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