VerkehrStraßenverkehr

Die Frau im Kraftwagen

Von Hans Dominik

Die Woche • 5.1.1907

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Betrachten wir heute die verschiedenen Sportgebiete, in denen die Menschheit des Zwanzigsten Jahrhunderts Erholung und Unterhaltung findet, so sehen wir, dass kein einziges ausschließlich dem Mann reserviert, kein einziges der Frau verschlossen ist. Die Frau von heute turnt, reitet und schwimmt. Sie läuft Schlittschuh und Schneeschuh. Im Schießen, sei es auf Tontauben, sei es auf lebendiges Wild, macht sie dem Mann ebenbürtige Konkurrenz. Die Ballspiele unserer Tage werden von beiden Geschlechtern gleichmäßig betrieben, und auf dem Wasser, im Segel- oder Ruderboot, steht das weibliche Geschlecht ebenfalls seinen Mann, wenn dieser Ausdruck hier gestattet ist.

Geheimnisse der MaschinerieAbb. 1. Die Geheimnisse der Maschinerie werden erklärt.

Was Wunder, dass auch der neuste Gegenstand des sportlichen Interesses, der Kraftwagen, heute bereits vielfach von Frauenhand gelenkt wird. Als der Kraftwagen vor zehn Jahren seine Laufbahn begann, war er ein Danaergeschenk für seinen Besitzer. Ein längerer Ausflug ohne unangenehme Reparaturen und Schlosserarbeiten war selten möglich. Nur fanatische Anhänger des neuen Verkehrsmittels konnten diese Sturm- und Drangperiode mitmachen, und es muss bemerkt werden, dass schon damals mehr als einer dieser Begründer und Märtyrer des Automobilsports die Gattin oder die Tochter als standhafte Begleiterin bei sich hatte. Öfter als einmal sahen diese Frauen, auf einem Chausseestein wartend, die Nacht hereinbrechen, während der Gatte mit der Reparatur nicht zum Ziel kam. Mehr als einmal auch marschierten sie in der Dämmerung einige Meilen über Land ins nächste Städtchen, während der Gatte beim Wagen blieb, um im Morgengrauen die Reparatur fortzusetzen. Es muss betont werden, dass bereits in der Heroenzeit des Automobils Frauen treu zu ihm gehalten haben. Heute ist diese Periode überwunden. Das Automobil ist ein durchaus zuverlässiges Betriebs- und Sportmittel geworden, und man kann Hunderte von Meilen darin zurücklegen, ohne auch nur einen Schraubenschlüssel in Tätigkeit zu setzen. Geblieben aber ist die alte Anhänglichkeit und Vorliebe des schönen Geschlechts für den Kraftwagen, dessen gewaltige Stärke durch einen Fingerdruck gelenkt und gebändigt werden kann. Der Kraftwagen wurde zuverlässiger, schneller und auch schöner. Er bot die Gelegenheit, soliden Reichtum zu zeigen und einen Luxus zu pflegen, der besonders in den internationalen Modebädern zur reichsten Entfaltung kommt.

Die Frau, die im eleganten Kostüm einen modernen, schönen Kraftwagen mit Geschicklichkeit und Verve steuert, bietet sportlich und ästhetisch ein Bild, das hinter dem einer sattelgerechten Amazone, einer weidgerechten Jägerin sicher nicht zurückbleibt.

AnkurbelnAbb. 2. Auch das Ankurbeln will gelernt sein!
AbgekuppelnAbb. 3. Der Motor kann durch einen Fußdruck abgekuppelt werden.

Freilich ist noch kein Meister und keine Meisterin vom Himmel gefallen. Wie jeder Radfahrer und Reiter, so ist auch jeder Autler früher einmal ein ganz gewöhnlicher Fußgänger gewesen und hat sich erst durch eine geraume Lehrzeit hindurch zur jetzigen Vollkommenheit hin entwickelt. Auch die Dame, die ihr Auto selbst steuern will, muss einen Chauffeurkursus mit Ernst und Eifer absolvieren. Noch ist ihr ja der Kraftwagen ein Buch mit sieben Siegeln. Sie weiß nicht, was ein Zylinder und was ein Kolben ist, sie hört zum ersten Mal von Wassermänteln und Radiatoren. Sie vernimmt nicht ohne Erstaunen, dass der komplette Motor ebenso wie der menschliche Körper mehrere Kreisläufe besitzt, und dass eine Verletzung des Radiators ungefähr dem Aufschneiden der großen Halsschlagader beim Menschen gleichkommt. Sie erfährt zum ersten Mal, dass der Benzindampf mit Luft zu einem explosiblen Gas gemischt und in den Zylindern durch eine besondere elektrische Funkenanlage zum Explodieren gebracht wird.

Aber alle diese Wissenschaft bleibt tot, solange sie nicht am Objekt selbst demonstriert werden kann. So folgt denn nach einer theoretischen Einleitung sofort der praktische Anschauungsunterricht an der Maschinerie des Wagens selbst. Abb. 1 zeigt den großen Augenblick, da der Lehrer die Motorhaube geöffnet hat und seiner Schülerin die einzelnen freiliegenden Teile der Maschine erklärt. Ist, auf diese Weise der Motor besprochen, so folgt der praktische Versuch, ihn anzukurbeln, d. h., nachdem Benzin und Elektrizität eingeschaltet sind, ihn mit Hilfe einer Schwungkurbel in Gang zu bringen. Auch das Ankurbeln will gelernt sein und gelingt nicht gleich beim ersten Mal. Abb. 2 zeigt den Augenblick, da die Schülerin die Kurbel gefasst hat und mit kräftigem Schwung herumwerfen will.

GeschwindigkeitsgetriebeAbb. 4. Übung am Geschwindigkeitsgetriebe.

Ist der Motor auf diese Weise behandelt, so folgt die Besprechung der Maschinerie, die die Motorarbeit in passender Weise auf den Wagen überträgt. Es ist dies die Kuppelung und das Geschwindigkeitsgetriebe. Die Kuppelung gestattet es, den Motor durch einen Fußdruck vom Wagengetriebe abzukuppeln. Ihre Bedienung muss der Fahrerin in Fleisch und Blut übergehen, denn im Augenblick der Gefahr, die ja jederzeit in Form irgendeines Hindernisses auftreten kann, muss sie den Motor gewissermaßen instinktiv auskuppeln. Daher folgen lange dauernde Kuppelübungen in der Art, wie Abb. 3 sie veranschaulichen. Ein Fuß bedient dabei den Kuppelungshebel, der andere einen Bremshebel, durch den man unmittelbar nach dem Auskuppeln den Wagen scharf bremsen kann.

Sind auch diese Übungen erledigt, so folgt noch die Bedienung des Geschwindigkeitsgetriebes, die durch einen zur Rechten liegenden Hebel besorgt wird und verhältnismäßig schnell erlernt wird. Dann ist es so weit, dass die erste vorsichtige Ausfahrt unter der Obhut des Lehrers erfolgen kann, und nun wächst die Sicherheit von Tag zu Tag. In wenigen Monaten fährt uns die gleiche Dame, die vor kurzem noch staunend vor den Geheimnissen des Motors stand, ihren Wagen mit der Sicherheit eines alten Rennfahrers durch das Gewimmel der belebten Boulevards.

Der Kraftwagen ist heute in gleicher Weise ein Instrument der Erholung für Männer und Frauen. Die sportlichen Veranstaltungen des zur Neige gehenden Jahres haben gezeigt, dass selbst im sportlichen Kampf, bei dem die Leistungsfähigkeit der einzelnen aufs höchste gespannt wird, die Frauen ebenbürtige Bewerberinnen sind.

Entnommen aus dem Buch:
Der Ingenieur, Journalist und Schriftsteller Hans Dominik (1872 – 1945) gehört zu den erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren Deutschlands. Neben zahlreichen Romanen und Kurzgeschichten verfasste er vor allem auch populärwissenschaftliche Beiträge für Zeitschriften und Jahrbücher. Für dieses Buch wurden seine verkehrstechnischen Plaudereien und Betrachtungen zusammengetragen und vermitteln dem Leser einen unverfälschten Blick auf die Verkehrsgeschichte des jungen 20. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 12,90 | 92 Seiten | ISBN: 978-3-7534-7686-5

• Auf epilog.de am 29. Mai 2024 veröffentlicht

Reklame