VerkehrEisenbahn

Eisenbahnunfälle und Sicherheitsvorrichtungen

von Ingenieur Hans Dominik

Die Woche • 12.8.1905

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Die letzten Wochen brachten auf dem Netz der deutschen Eisenbahnen einige Eisenbahnunfälle mit sich, die wohl geeignet sind, Unruhe im reisenden Publikum zu erzeugen. Angesichts solcher Katastrophen, wie sie sich z. B. bei Altenbeken und Spremberg ereignet haben, vergisst man in der Tat leicht, dass die Chancen des einzelnen, von solchen Unfällen betroffen zu werden, viel geringer sind, als etwa die Aussichten, das große Los zu gewinnen. Wie bekannt, müsste man ja im Durchschnitt 400 Jahre auf der Eisenbahn fahren, um einen Unfall zu erleben. Man müsste ferner 2000 Jahre reisen, um nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung getötet zu werden. Solche statistischen Erwägungen verblassen natürlich, wenn wir ein Unglück von der Art der ebengenannten erleben. Wir sehen nur die zermalmten Opfer und denken, dass auch wir in gleicher Lage sein könnten.

Deshalb dürfte es vielleicht gerade jetzt wohl am Platz sein, einen Blick auf die Sicherheitsmaßnahmen zu werfen, die bestimmt sind, Leben und Gesundheit der Passagiere zu schützen, und diese Aufgabe in den allermeisten Fällen ja auch erfüllen.

Im Allgemeinen können Eisenbahnunfälle durch dreierlei Ursachen hervorgerufen werden, nämlich durch elementare Naturereignisse, durch Fehler des Materials und durch Fehler des Betriebspersonals.

Die erstgenannte Gruppe spielt bei uns in Deutschland kaum eine nennenswerte Rolle. Gewiss werden auch bei uns durch Überschwemmungen gelegentlich Bahndämme unterwaschen und durch schweren Eisgang Brückenpfeiler gefährdet. Aber diese Ereignisse treten stets allmählich ein, so dass man sich vor den Folgen schützen kann. Wir kennen nicht amerikanische Wirbelstürme, die einen Zug in voller Fahrt aus dem Gleis werfen, oder Lawinenstürze und Schneeverwehungen plötzlicher Art, die den Betrieb gleichfalls schwer gefährden. Dafür aber sind auch bei uns Fehler von Material und Menschen möglich, und eine der Hauptaufgaben der Eisenbahntechnik besteht eben in der Herstellung von Vorrichtungen, die die Folgen solcher Fehler nach Möglichkeit verhindern sollen.

Das Eisenbahnmaterial unterliegt zunächst bei der Abnahme von der Fabrik einer sehr scharfen Prüfung. Selbstverständlich wird jedes einzelne Stück genau besichtigt. Aber noch nicht genug damit, wählt man aus jeder Lieferung unter zufälligem Zugreifen ein Stück aus, beispielsweise aus einem Haufen angelieferter Achsen eine einzelne Achse und prüft diese bis zur Zerstörung. So nimmt man mit solcher Achse zunächst die Fallprobe vor, das heißt, man schleudert sie aus zwanzig und mehr Meter Höhe auf Granit oder Eisen herunter und sieht, wie ihr das bekommt. Bricht die Achse etwa dabei, so wird sofort die ganze Lieferung verworfen. Hält sie es aus, so wird die Probe fortgesetzt. Man schneidet einzelne Stücke aus der Achse heraus und bearbeitet diese auf besonderen Maschinen. Einzelne Stücke werden auf der Zerreißmaschine zerrissen, andere werden zerbogen und zerknickt. Nur wenn das Material dieser gewaltsamen Zerstörung einen ganz bestimmten Widerstand entgegensetzt, wird die Lieferung abgenommen.

In ähnlicher Weise wird jede Radbandage und jede Schiene nur aus derartig geprüften Lieferungen entnommen. Bei Anlagen und Baulichkeiten, bei denen die Materialprüfung an sich nicht möglich ist, bestehen bestimmte Vorschriften für die Ausführung, die eine hinreichende Sicherheit gegen Einsturz bieten. Wenn sich trotzdem eine Katastrophe, wie der Einsturz des Rehbergtunnels bei Altenbeken, ereignen konnte, so muss man wohl annehmen, dass hier unvorhergesehene Zustände, wie beispielsweise ein plötzlich auftretender Gebirgsdruck, mitgewirkt haben. Sicherlich bildet dies keine Entschuldigung für den Unfall, aber immerhin eine Erklärung.

Neben diesen Maßregeln zur Sicherung des Materials sind nun die zur Sicherung des Betriebs zu nennen. Die vornehmste dieser Einrichtungen ist die von Werner Siemens erfundene elektrische Blockierung der Strecke. Das Prinzip des Blocks ist kurz Folgendes: die Bahnstrecke ist in einzelne Abschnitte, die sogenannten Blockstrecken, geteilt, und grundsätzlich und ein für alle Mal soll nur ein Zug sich auf einer Blockstrecke befinden. Es soll nur dann ein zweiter Zug in die Strecke einfahren dürfen, wenn der erste sie verlassen hat. Wird diese Vorschrift befolgt, so sind natürlich Zusammenstöße unmöglich. Um die Befolgung zu erzwingen, sind die folgenden Einrichtungen vorgesehen. Je zwei Blockstrecken sind durch einen Signalmast geteilt. Steht der Signalarm an diesem Mast waagerecht, so darf kein Zug das Signal passieren. Vielmehr muss dazu der Arm erst um 45° gehoben, muss die Strecke, wie der Fachmann sagt, freigegeben werden. Weiter befindet sich nun auf jeder Blockstrecke ein sogenannter Blockapparat, der mit den beiden nächsten Blockstrecken in eigenartiger Verbindung steht. Nehmen wir einmal an, ein Zug befinde sich auf der ersten Blockstrecke und fahre in die zweite ein. Sobald er eingefahren ist, muss der betreffende Blockwärter hinter ihm das Signal waagerecht stellen, das heißt, die Strecke sperren, denn vorläufig darf ja nun kein anderer Zug mehr einfahren. Sobald er das Signal gesenkt hat, drückt er gegen einen Hebel seines Blockapparats. Dadurch fällt im Blockapparat der zurückliegenden Station eine rote Scheibe, und es erscheint eine weiße, während ein Induktorwecker durch sein Schnurren und Rasseln die Aufmerksamkeit des dortigen Beamten erregt. Für diesen bedeutet nun die weiße Scheibe, dass der Zug aus seiner Blockstrecke heraus ist, und dass er diese daher für weitere Züge freigeben kann. Für gewöhnlich ist dabei das Signal noch mit dem Blockapparat derartig verbunden, dass der Wärter es überhaupt nur heben, also die Strecke freigeben kann, wenn der nächste Block auch wirklich freigemeldet hat. Bei solcher Anordnung ist ein Unfall praktisch ausgeschlossen, solange es sich um zweigleisige Strecken handelt, solange also auf einem Gleis nur Züge in der gleichen Richtung verkehren. Denn unbefugterweise kann ja kein Wärter ein Signal heben, solange es durch den vorliegenden Block verriegelt ist. Der Signalwärter könnte also nur vergessen, nach der Durchfahrt eines Zugs das Signal wieder waagerecht zu stellen. Dann wird er aber auch vergessen, die Strecke nach rückwärts frei zumelden, und es tritt wohl eine Betriebsstockung, aber kein Unfall ein. Ein solcher könnte praktisch nur durch Böswilligkeit, die natürlich nicht in Frage kommt, hervorgerufen werden, da ein Versagen der Blockapparate bei ihrer gegenwärtigen technischen Vollkommenheit kaum in Frage kommt.

Zusammenstöße sind daher nur auf eingleisigen Strecken denkbar, weil sich hier die Verhältnisse in der Tat sehr kompliziert gestalten. Daher soll man solche Strecken bei einigermaßen lebhaftem Verkehr zweigleisig ausbauen.

Für die eingleisige Strecke gibt es nur ein absolut sicheres System, das Stab- oder Knüttelsystem, das wir in einfachster Form im Spreetunnel in Berlin haben. Dort existiert ein Holzknüttel bestimmter Art, und nur der Fahrer, der im Besitz des Knüttels ist, darf in den eingleisigen Tunnel einfahren. Da es nun nur einen Knüttel gibt, so kann logischerweise auch nur ein Wagen im Tunnel sein, und Zusammenstöße sind absolut ausgeschlossen. Man hat versucht, dieses an sich unendlich einfache Prinzip in Amerika auch für kompliziertere Betriebe unter dem Namen Staff-System auszubilden, aber vorläufig sind diese Apparate noch nicht zur Einführung in Deutschland reif. Hier wird man wohl oder übel verkehrsreiche Strecken zweigleisig ausbauen müssen und dadurch bei Verwendung der landläufigen Blockapparate vor Kollisionen völlig gesichert sein.

Entnommen aus dem Buch:
Der Ingenieur, Journalist und Schriftsteller Hans Dominik (1872 – 1945) gehört zu den erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren Deutschlands. Neben zahlreichen Romanen und Kurzgeschichten verfasste er vor allem auch populärwissenschaftliche Beiträge für Zeitschriften und Jahrbücher. Für dieses Buch wurden seine verkehrstechnischen Plaudereien und Betrachtungen zusammengetragen und vermitteln dem Leser einen unverfälschten Blick auf die Verkehrsgeschichte des jungen 20. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 12,90 | 92 Seiten | ISBN: 978-3-7534-7686-5

• Auf epilog.de am 18. Januar 2024 veröffentlicht

Reklame