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Der Gletscher im Westerwald

Pfennig Magazin • 27.3.1841

Die Längenangaben und andere Maße des Originaltextes wurden in das metrische System umgerechnet.

Im Juni 1840 hat man im Westerwald, und zwar am Fuß und südlichen Abhang eines breiten, etwa 160 m hohen Basaltbergs, der unter dem Namen Dornburg bekannt ist (unweit des Dorfes Frickhofen im nassauischen Amt Hadamar), eine Stelle gefunden, wo sich im ganzen Jahr eine ansehnliche Eismasse erhält. Die Urheber dieser Entdeckung waren Tagelöhner, welche von dem am steilen Bergabhang aufgehäuften Basaltgeröll Steine für den Wegbau sammeln wollten, die sie zu ihrem großen Erstaunen in 50 cm Tiefe unter der Oberfläche fest aneinandergefroren fanden. Bei genauerer Untersuchung hat sich ergeben, dass die Eisbildung in den Zwischenräumen des Basaltgerölls bis zu 6 – 7 Meter Tiefe hinabreicht. Weiter hinab folgt eine Art von Reif in regelmäßigen sechsseitigen Kristallen und in 8 m Tiefe hört die Eisbildung völlig auf. In der Länge und Breite mag diese Eisschicht, welche sich im Winter ausbreitet und im Sommer zusammenzieht, eine Ausdehnung von 12 – 15 m haben. Wo die Zwischenräume nicht ganz mit Eis erfüllt waren, drang aus den Vertiefungen mit einer im Frühjahr und Sommer besonders großen Heftigkeit ein Luftstrom, dessen Temperatur 1° C war.

Eine nachteilige Wirkung der Kälte ist an der Vegetation der Umgegend nirgends zu bemerken, vielmehr wird die Eisstelle, die selbst nur aus nacktem Geröll besteht, nach dem Tal zu von einem üppigen Wuchs junger Kiefern begrenzt. Die Ursachen jener Eisbildung liegen nicht in klimatischen Verhältnissen, sondern in den eigentümlichen Lagerungsverhältnissen des Gerölls, das aus großen Basaltstücken ohne beigemengten Sand oder Erde besteht, sich in einem Winkel von 45° am Abhang hinaufzieht und in der oberen und mittleren Region ganz nackt daliegt.

Die wahrscheinlichste Erklärung jener Erscheinung möchte folgende sein. In die Zwischenräume des Gerölls senkt sich im Winter die kalte Luft herab und teilt ihm ihre strenge Kälte mit; der auf das Geröll fallende Schnee wird in Folge der nach Süden gerichteten Neigung der Fläche, welche die Sonnenstrahlen fast senkrecht treffen, und wegen der dunkeln Farbe des Gesteins schnell geschmolzen, aber das mit der niedrigsten Temperatur einsickernde Schneewasser friert in dem kalten Geröll sogleich wieder und häuft sich als Eis an. Da es von einem so schlechten Wärmeleiter umgeben ist und die leichtere warme Luft im Sommer nicht überall eindringen kann, erhält es sich auch im Sommer.

Seit der Entdeckung des Eises an der Dornburg haben die Ärzte der Umgegend die Anwendung desselben zuweilen den Landleuten zu Aufschlägen verordnet. Am Fuß des Berges fließen sehr wasserreiche kalte Quellen zutage aus, von denen die eine 5,5° C, die andere 6° C, die dritte 9 – 10° C Temperatur hat. Die Stelle ist übrigen auch in historischer Hinsicht interessant. An die Dornburg, auf deren Gipfel sich ein riesenhafter Steinwall unbekannter (vermutlich germanischer) Zeit hinzieht, knüpfen sich viele wunderliche Sagen. Auf einem Basaltberg gegenüber steht eine aus der ersten Zeit der Verbreitung des Christentums herrührende Kapelle des heiligen Blasius und auf einer andern nahen Bergkuppe finden sich Reste von altem Mauerwerk, in denen man eine germanische Opferstätte zu erkennen glaubt.

• Auf epilog.de am 5. Juni 2017 veröffentlicht

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