Berliner Bauwerke

Das Geschäfts- und Wohnhaus von C. Spinn

Leipziger Straße 83
Architekten Kayser & von Großheim

Deutsche Bauzeitung • 3.7.1880

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Das im Folgenden nach Grundriss und Fassade zur Darstellung gebrachte Haus ist für den Kaufmann Carl Spinn, Mitinhaber des Luxus-Möbel-Geschäfts Spinn & Mencke, der Spiegel-Manufaktur J. C. Spinn & Comp. und Leiter der Aktien-Gesellschaft für Bronze-Fabrikation J. C. Spinn u. Sohn, erbaut. Es wurde im Frühjahr 1877 begonnen und gelangte im Frühjahr 1879 zur Vollendung. Bei einer Frontlänge von 19 m beträgt seine Höhe bis zum Hauptgesims 22 m und bis zur Spitze des krönenden Dachkamms nahezu 30 m; es überragt damit fast sämtliche Häuser der Leipziger Straße und fällt schon infolgedessen von weitem ebenso ins Auge, wie es bei näherer Betrachtung durch seine Monumentalität und seine Gestaltung im Einzelnen anzieht.

Geschäfts- und Wohnhaus von C. Spin

Da die Gewohnheit der Berliner Bevölkerung die Anordnung von Verkaufslokalen, die höher als im ersten Stock liegen, nicht gestattet, so sind auch hier nur das Kellergeschoss, das Erdgeschoss und der erste Stock als Geschäftslokale eingerichtet, während die drei oberen Stockwerke je zwei größere und zwei kleinere Mietwohnungen enthalten. Maßgebend für die Gestaltung des durchaus nach Gesichtspunkten der Rentabilität entworfenen Grundrisses war die Bedingung, dass der zum ausschließlichen Gebrauch der Firma Spinn & Mencke bestimmte erste Stock ein einziges, zusammenhängendes, hell beleuchtetes und nicht durch Treppeneinbauten unterbrochenes Geschäftslokal bilde. Es ergab sich hieraus eine zentrale Anordnung des Haupthofs und der Haupttreppe. Die Letztere ist als eine breite, nur bis zum ersten Stock emporführende Prachttreppe innerhalb eines durch Seiten- und Oberlicht hell erleuchteten Treppenhauses von 6,5 m im Quadrat angeordnet, das, durch große mit Spiegelscheiben versehene Öffnungen mit den anliegenden Magazinräumen zusammen hängend, auch diesen noch reichliches Licht gewährt.

Für die Treppe zu den oberen drei Geschossen ist vom ersten Stock an ein besonderes Treppenhaus angelegt; die als Zugang zu den kleinen Hinterwohnungen dienenden beiden Nebentreppen sowie die zugehörigen Lichthöfe haben an den seitlichen Grenzen des Grundstücks ihren Platz erhalten. Der mittlere Hinterhof ist mit dem Hof des demselben Besitzer gehörigen Grundstücks Kronenstraße 30 u. 31 vereinigt.

Die Gestaltung des Grundrisses im Einzelnen, welche – unter den hier gegebenen, zu möglichster Raumersparniss drängenden Bedingungen – auf einer sehr ausgedehnten Verwendung von Eisenkonstruktionen fußt, gibt im Übrigen zu besonderen Bemerkungen keinen Anlass. In Betreff der durchweg mit besonderer Sorgfalt ausgeführten Konstruktionen mag noch erwähnt werden, dass die mit ihrer Sohle 1,25 m unter dem, höchsten Grundwasserstand liegenden Keller mit einer Zement-Dichtung von Czarnikow & Comp. versehen worden sind.

Geschäfts- und Wohnhaus von C. Spin

Eine etwas eingehendere Berücksichtigung erheischt die künstlerische Ausgestaltung des Baus. Für die Fassade desselben, welche durchaus in ein System von Stützen und Öffnungen aufgelöst ist, haben die Architekten den Stil deutscher Renaissance gewählt – nicht nur weil dieser zu einer bei den eigenartigen Zwecken des Baues erwünschten reichen und individuellen Entwicklung der Fassade Gelegenheit gab, sondern vor allem, weil derselbe für eine künstlerische Komposition innerhalb des Rahmens der durch das Bedürfnis gegebenen Verhältnisse den freiesten Spielraum gewährte – ein Motiv, das die von Hellenisten und Gotikern so häufig nur als eine Mode-Torheit betrachtete Wiederaufnahme dieser Stilrichtung für Bauten modernen Programms überhaupt wohl am meisten begünstigt hat und ihr eine dauernde Anwendung sichern dürfte. Wie maßvoll und mit welcher sicheren Meisterschaft die schwierige Aufgabe in diesem Falle gelöst ist, zeigt die hier mitgeteilte Fassadenansicht, welche freilich von der Reliefwirkung des fein abgewogenen, auf das sorgfältigste studierten Details keine genügende Vorstellung gewährt. Zu der trefflichen Erscheinung der Fassade tragen auch die für sie verwendeten Materialien nicht wenig bei. Das architektonische Gerüst des Erdgeschosses und ersten Stock umfassenden Unterbaues ist mit poliertem schwedischem Granit in drei verschiedenen Farben von Kessel & Röhl bekleidet; Kapitelle und Schilde der Pfeiler sowie die Laternen sind von der Aktiengesellschaft J. C. Spinn & Sohn in echter Bronze hergestellt; das reich durchgebildete Vorgitter des Torwegs ist von E. Puls in Eisen geschmiedet. Der obere Teil des Baus zeigt französischen Kalkstein (Banc Royal aus den Brüchen St. Vaast und Conflans-Sainte-Honorine) und verdankt seine Ausführung den Unternehmern Leuenberger & Rathgeb.

Im Innern des Baus haben der Eingangsflur und das Treppenhaus einen besonders reizvollen Schmuck erhalten. Ersterer ist mit einer in den eigenen Werkstätten von Spinn & Mencke ausgeführten Holzdekoration versehen worden; in Eichenholz geschnitzte Pfeiler, zwischen welchen die einen Einblick in die Kaufläden des Erdgeschosses gewährenden Spiegelscheiben eingelassen sind, tragen eine reich gestaltete Holzdecke, deren Füllungen intarsienartig gemalt sind. Die Wände des Treppenhauses zeigen eine schön entwickelte Stein-Architektur, zu der die von Schwager und Max Schultz & Comp. zierlich durchgeführte Eichenholz-Treppe, die reichen Eisenvergitterungen der Öffnungen, die ornamentierte Glasdecke und die drei von Prof. Ewald nach Skizzen der Architekten entworfenen, von Jessel hergestellten farbigen Fenster in wirkungsvollen Gegensatz treten. Es mag auf diese Fenster, die nach dem Vorbild der Renaissance lichtfarbige Figuren und Ornamente auf hellem Grund zeigen, hier besonders aufmerksam gemacht werden, da dieselben für die Anwendung von Glasmalereien in einem modernen Bau als fast unübertreffliche Muster gelten können. Sämtliche Skulpturen des Inneren und Äußeren sind nach Modellen des Bildhauers Otto Lessing ausgeführt.

Die Kosten des Baus haben bei einer bebauten Grundfläche von rd. 734 m² auf etwa 560 000 M [Entspricht im Jahr 2020 rund 6,2 Mill. €] sich gestellt, was pro m² einen Preis von rd. 681 M, pro m³ einen Preis von rd. 27,80 M ergibt.

• Auf epilog.de am 3. Juli 2022 veröffentlicht

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