Berlin-Anhalter Eisenbahn

Eröffnung der Strecke Wittenberg – Jüterbog

Vossische Zeitung • 11.9.1841

Berlin. Die Eröffnung der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn hat diesen Morgen stattgehabt. War gleich dieselbe nicht mit veranstalteten Feierlichkeiten verbunden, so bildete das Ereignis doch an sich selbst eine freudige Feierlichkeit, die durch das schönste mildeste Herbstwetter begünstigt wurde. Merkwürdig war es zu sehn, wie Leben und Verkehr erweckend es bis in die inneren Teile der Stadt wirkte – denn schon inmitten derselben sah man gefüllte und bepackte Droschken zu ungewöhnlich früher Stunde dem Anhaltischen Tor zueilen, und in der Nähe desselben waren die Straßen von einem Verkehrsgeräusch erfüllt, dass sie den lebhaftesten der Stadt gleich stellte.

Auf dem Bahnhof selbst aber sah man erst, wie ungemein der Andrang war. Große Packwagen kamen an und alle Türen des Billettverkaufs und der Paket-Büros waren belagert. Der Knoten scheinbarer Verwirrung löste sich jedoch bald, und um 7¼ Uhr hatten die Reisenden die sämtlichen Wagen des ersten Zuges (denn der große Andrang hatte zwei nötig gemacht) eingenommen. Unter den Abreisenden befanden sich auch Ihre Königl. Hoh. die Frau Prinzessin Karl von Preußen. Das Direktionspersonal machte diese erste Fahrt bis Köthen mit. Fünf Minuten nach halb acht setzte sich der erste Zug, durch die Lokomotive der ›Courier‹ befördert, in Bewegung. Er bestand aus acht Wagen der drei Klassen, drei Packwagen und drei Reise-Equipagen. Der zweite Zug, von der vaterländischen Lokomotive ›Borsig‹, unter Aufsicht des Erbauers selbst geführt, folgte dem ersten nach einer Viertelstunde. Er bestand aus fünf Passagier-, drei Packwagen und zwei Reise-Equipagen. Eine große Menge von Zuschauern hatten sich eingefunden, um Zeuge dieser ersten Akte der vollständigen Tätigkeit der neuen Bahn zu sein, welche nunmehr drei so bedeutende Städte, wie Berlin, Leipzig und Magdeburg, der anziehenden Zwischenpunkte nicht zu gedenken, in eine Nachbarschaft von wenigen Stunden gebracht hat.

Der Zug, der aus Köthen diesen Morgen abgegangen war, traf diesen Mittag um ¾ auf zwei Uhr mit bekränzter Lokomotive hier ein. Die Ankunft hatte sich um eine Stunde verzögert, wie wir hören, weil der Koks nicht von geeigneter Qualität und die Schienen durch starken Tau sehr schlüpfrig waren. Der Abgang des Mittagszuges von hier wurde dadurch eben so lange aufgehalten und eben so die Ankunft des um Mittag aus Köthen abgegangenen Zuges, welcher den hiesigen bei Zahna abwarten musste. Gewiss werden ähnliche Verzögerungen für die Zukunft vermieden werden, da sie, wegen des Anschlusses an die Magdeburger Bahn, für die Reisenden äußerst unangenehm werden könnten. Es sind heute in 4 Zügen hin und zurück über 1000 Personen befördert.

Entnommen aus dem Buch:
Am 15. Juni 1880 wurde das neue Empfangsgebäude der Berlin-Anhalter Eisenbahn am Askanischer Platz dem Verkehr übergeben. Doch die Eröffnung des imposanten Bauwerks von Franz Schwechten war nur eine Etappe des 1871 begonnenen Umbaus des Anhalter Bahnhof in Berlin. Auf einer Länge von 5 km wurden neben dem Personenbahnhof ein Güterbahnhof, Werkstätten, Aufstell- und Verschiebegleise und viele weitere Anlagen neu errichtet. In zeitgenössischen Originaltexten werden die Anfänge der Berlin-Anhalter Eisenbahn, der Umbau des Bahnhofs und die Architektur der Gebäude geschildert. Zahlreiche Fotos und Zeichnungen illustrieren dieses Zeitdokument der Berliner Verkehrs- und Architekturgeschichte.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 98 Seiten | ISBN: 978-3-7431-9651-3

• Auf epilog.de am 1. Oktober 1997 veröffentlicht

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